© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/02 03. Mai 2002

 
"Wir sind Frankreichs erste Partei"
Dominique Chaboche, Mitbegründer und Vize-Präsident des Front National, über den Anti-Le Pen-Sturm und die Wende in Paris
Ivan Denes/ Moritz Schwarz

Herr Chaboche, in der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen hat Jean-Marie Le Pen überraschend seinen sozialistischen Konkurrenten Lionel Jospin aus dem Rennen geworfen. Erstmals ist es dem Front National gelungen, in der Stichwahl um das höchste Staatsamt den Herausforderer zu stellen.Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Chaboche: Es ist Jean-Marie Le Pen, der seit Jahrzehnten auf die Gefahren aufmerksam macht, die auf Frankreich lauern. Die Franzosen haben endlich begriffen, daß Le Pen eben der beste Diagnostiker ist und suchen daher nun bei ihm auch das beste Arzneimittel. Frankreich hat die Augen geöffnet: Der Wähler hat es links versucht, er hat es rechts versucht, aber keine Seite war bisher dazu in der Lage, die Hauptprobleme des Landes zu lösen.

Welches Ergebnis erwarten Sie für die nächste Runde der Wahlen am 5. Mai?

Chaboche: Es ist schon ein beachtlicher Erfolg, daß Le Pen in der zweiten Runde für die Präsidentschaft kandidiert. Aber selbst wenn er nicht gewählt werden sollte, unsere Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hat sich gewandelt. Wir sind heute Frankreichs erste Partei.

Werden Sie zwanzig Prozent übersteigen?

Chaboche: Ich sage ihnen offen, meine Erwartungen sind hoch. Wir werden wohl sogar bei weitem zwanzig Prozent übersteigen. Ich habe die berechtigte Hoffnung, daß wir nicht nur die Zwanzig-, sondern auch die Dreißig-Prozent-Marke übersteigen. Ich hoffe sogar, daß wir vierzig Prozent erreichen werden.

Halten Sie denn das Wahlergebnis der ersten Runde wirklich für ein klares Bekenntnis zur politischen Grundüberzeugung des Front National, oder ist es nicht vor allem der Frustration der Franzosen über die Kohabitation und dem Ärger über die vielen politischen Skandale in Frankreich geschuldet?

Chaboche: Es war sicherlich eine Wahl gegen die politische Kaste in Frankreich, die es nicht vermochte, unsere Probleme zu lösen und das Leben der Franzosen zu verbessern. Aber man hat statt dessen Le Pen das Vertrauen geschenkt.

Nun wird die Straße mobilisiert, ein "Aufstand der Anständigen" soll Le Pen um jeden Preis verhindern. Welche Erfolgschancen hat diese "Volksfront"-Politik?

Chaboche: Als wir uns um die notwendigen Unterschriften für eine Teilnahme an der Wahl bemüht haben, hat man versucht, Jean-Marie Le Pen auszuschließen. Erfreulicherweise ist die gesamte politische Klasse, mit einigen Ausnahmen, darunter Herr Chirac, dagegen aufgestanden und hat darauf hingewiesen, daß ein Ausschluß Le Pens, der schließlich viereinhalb Millionen Wähler vertritt, mit einer demokratischen Wahl unvereinbar wäre. Und jetzt, nachdem er bei den Wahlen den zweiten Platz belegt hat, soll Le Pen auf einmal kein Demokrat mehr und es gerechtfertigt sein, ihn von der Wahl auszuschließen?

Ist es nicht erstaunlich, daß das französische Bürgertum sich lieber mit den Kommunisten verbündet, statt Le Pen eine Chance zu geben?

Chaboche: Diesbezüglich bin ich mir nicht so sicher. Man sollte nicht allzu viel darauf geben, was gewisse Medien behaupten, die schließlich in der Hand bestimmter Lobbys sind. Man sollte das nicht mit seiner Vorstellung vom französischen Volk vermengen. Die Menschen sind unzufrieden mit der gegenwärtigen Situation, sie sind irritiert, wenn sie zum Beispiel sehen, daß ihre Kinder nicht mehr zur Schule zu gehen, da sie auf die Straße geschickt werden um zu demonstrieren. Viele Bürger werden darauf reagieren, und das bestärkt meine Hoffnungen bezüglich des 5. Mai. Es ist eine zu merkwürdige Koalition, die sich da von ganz links bis ganz rechts zusammengefunden hat.

Was meinen Sie mit dieser wiederholten Andeutung?

Chaboche: Es ist doch klar, daß das alles organisiert und manipuliert ist. Eine ganz merkwürdige Sache. Ich erlaube mir, Ihnen ganz offen meine Meinung zu sagen: Ich bin überzeugt, daß dahinter die Freimaurerei steckt. Es sind die Freimaurer, die die Drähte ziehen, weil sie meinen zu erkennen, daß hier eine Gefahr für sie lauert.

Welche Erfolgschancen rechnen Sie sich für die am 9. und 16. Juni stattfindenden Wahlen zur Nationalversammlung aus, zumal das Wahlrecht - Mehrheitswahl statt Verhältniswahl - gerade deswegen geändert wurde, um Le Pen aus dem Parlament herauszuhalten.

Chaboche: Wir werden einige Abgeordnetenmandate erzielen, wenn auch, dank des Mehrheitswahlrechtes,nicht allzu viele. Diese Abgeordneten werden sich jedoch unbedingt gegen eine sogenannte Republikanische Front stellen. Wenn Jaques Chirac meint, daß er auf diese Weise Frankreich regieren könne, dann irrt er. Ich sage voraus, daß er dann schnurstracks in eine Staatskrise hineinschlittern wird.

Sie meinen tatsächlich, daß es während einer zweiten Amtszeit von Jacques Chirac zu einer Staatskrise kommen wird?

Chaboche: Ja, denn die Leute, die jetzt auf die Straße gehen - oder besser gesagt, auf die Straße getrieben wurden - werden, sobald Chirac gewählt worden ist, erneut auf die Straße gehen und Reformen einfordern. Deshalb sage ich voraus, daß Chirac seine Amtszeit nicht planmäßig beenden wird. Dabei glaube ich nicht, daß er von alleine zurücktreten wird. Schließlich hat er das1997 auch nicht getan, nachdem er die Nationalversammlung aufgelöst hat und von den Wählern abgelehnt wurde.

Das heißt, Chirac und die RPR stehen heute nicht mehr für die Kraft der nationalreformerischen Ideen des General de Gaulles?

Chaboche: Auf keinen Fall. Trotz der erheblichen Differenzen, die wir mit dem General hatten, etwa in Bezug auf die Algerienfrage, liegt es auf der Hand, daß wir es heute sind, die General de Gaulles Ideen tragen. Denn de Gaulle hat seine Politik immer auf die Nation, die nationale Unabhängigkeit und die nationale Souveränität gerichtet. Es sind dieselben Ideen und Werte, die wir heute gegenüber den Franzosen vertreten. Wenn es heute also eine wirklich gaullistische Partei in Frankreich gibt, dann ist es der Front National.

Um politischen Einfluß zu nehmen, brauchen sie Bündnispartner. Wer kann das sein, und wie wollen sie diese gewinnen?

Chaboche: Der jüngste Erfolg hat bereits viele Leute veranlaßt, zu uns zu kommen. Ich bin, was diese Frage betrifft, zuversichtlich, da die Menschen bekanntlich am Ende doch dem Sieger nachlaufen.

Sie sind einer der Mitbegründer des Front National. Was hat sie 1972 veranlaßt, eine neue Partei zu gründen?

Chaboche: Ich habe mich schon vor der Gründung des Front National für verschiedene politische Bewegungen engagiert.1965 war ich gemeinsam mit Jean-Marie Le Pen in einem Ausschuß. Ich war schon damals von der Richtigkeit seiner Analyse überzeugt und von seiner Qualität als Mensch. Die neue nationale politische Bewegung, die wir ins Leben gerufen haben, war nicht nur volksnah, sondern auch sozial profiliert - da war ich selbstverständlich mit dabei.

Ist der Front National wirklich frei von Rassismus und Antisemitismus?

Chaboche: Das sind völlig falsche Anschuldigungen. Wir sind lediglich gegen die Einwanderungspolitik, wie sie die verschiedenen Regierungen von links oder von rechts in den letzten dreißig Jahren verfolgt haben.

Wie ist denn Ihre Position in der Einwanderungsfrage?

Chaboche: Wir haben dabei aber überhaupt nichts gegen die Einwanderer. Im Gegenteil, wenn ich arbeitender Mensch in einem Land wie Sri Lanka wäre, der sechzig Stunden in der Woche zu arbeiten hat und dann umgerechnet nur etwa 250 France verdiene, dann würde ich auch versuchen, nach Frankreich zu gelangen, wo ich das Vierfache bekomme, ohne zu arbeiten. Wir kritisieren nicht die Einwanderer, sondern die Einwanderungspolitik.

Angeblich plant Brüssel während der Präsidentschaft der Dänen eine Regelung , die der Frage der Einwanderungspolitik Priorität in ganz Europa einräumen soll.

Chaboche: Auch wenn sich viele dessen nicht bewußt sind, ist das das gravierendste Problem unserer Zeit: Die Staaten sind im Begriff, ihre Souveränität zu verlieren, zumal sogar im französischen Parlament siebzig Prozent aller Gesetze, die verabschiedet werden, nichts anderes sind, als die Übernahme der Direktiven aus Brüssel. Und mit der Einführung des Euro geht das noch viel weiter. Damit geht ein wesentlicher Teil des Selbstbestimmungsrechtes verloren. Das Prägen eigenen Geldes ist ein ursprünglicher Bestandteil der staatlichen Unabhängigkeit unserer Republik. Wir sind im Begriff, uns Brüssel zu unterwerfen. Wir hoffen, daß der Front National diese Spirale mit einer neuen Politik eines Tages wird aufhalten können. Wenn aber die Dinge so weiterlaufen wie bis jetzt, dann wird sogar die Zeit kommen, in der der Dollar den Euro ersetzen wird. Und das nicht einmal in allzu ferner Zeit. Ich gehe darauf sogar eine Wette ein.

Ein Staatspräsident Le Pen würde den Austritt Frankreichs aus der Europäischen Union anstreben?

Chaboche: Nein, was wir wollen, ist die Verträge neu auszuhandeln, damit wir dieselben Ausnahmeregelungen erzielen, wie sie etwa Dänemark oder Großbritannien haben. Wenn das nicht möglich sein sollte, dann werden wir allerdings selbstverständlich anstreben, aus dem Europa, so wie es heute ist, auszutreten. Denn wir sind gegen ein supranationales, gegen ein föderales Europa. Wir sind für ein Europa der Vaterländer und Nationen, ein Europa, das eventuell eine konföderierte Form annehmen könnte.

Wie schätzen Sie die Reaktionen auf Ihren Wahlerfolg in Deutschland ein, und wie bewerten Sie die augenblickliche politische Lage in Deutschland?

Chaboche: Bundeskanzler Schröder hat bekanntlich mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen, die auch der Globalisierung geschuldet sind. Und ich glaube, daß die Völker Europas die Integration in ein globales System immer stärker ablehnen werden, da es die Völker beherrscht und zerknirscht. Ich bin der Meinung, daß dagegen die Nation der angemessene Rahmen für eine harmonische Entwicklung der Völker ist. Das, was für Frankreich wahr und richtig ist, ist auch für Deutschland wahr und richtig. Selbst wenn der deutsche Staat aus geschichtlichen Gründen sich von unserem unterscheidet.

 

Dominique Chaboche geboren 1937 in Paris. Der Vize-Präsident des Front National ist heute Stadtrat in Rouen und Regionalrat im Departement Haute-Normandie. Der Unternehmer gründete 1972 zusammen mit Jean-Marie Le Pen die Partei. Von 1984 bis 1986 war er Abgeordneter des Europäischen Parlamentes und danach bis 1988 der französischen Nationalversammlung.

 

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