© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/02 26. April 2002

 
Dr. Watsons Kollegen
Gerichtsmedizin nach 1933
Matthias Bäkermann

Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts mußten Gerichtsmediziner als belächelte "Leichenbeschauer" um ihre Anerkennung als Wissenschaftler kämpfen. Die preußische Hochschulverwaltung meinte gar, jeder Dr. Watson habe auch das Zeug zum Gerichtsarzt.

Solche Randständigkeit dürfte dafür verantwortlich sein, daß die Gerichtsmedizin bei Historikern, die dem Konnex von Wissenschaft und Politik nachspürten, unbeachtet blieb. Zu Unrecht, wie die erste umfassende Geschichte der Gerichtsmedizin im Dritten Reich dokumentiert, die der Leipziger Medizinhistoriker Friedrich Herber nun vorlegt. Die eminent politisch-praktische Relevanz der Disziplin ergibt sich schlagend schon aus dem Ablauf einer einzigen Fachtagung, den die "Gesellschaft für gerichtliche, soziale Medizin und Kriminalistik" 1940 ausrichtete. Zur ersten "Kriegstagung" konnte sie Roland Freisler, einen Vertreter Heydrichs sowie "viele Kriminalbeamte des Sicherheitsdienstes aus dem Generalgouvernement" begrüßen. Man hörte Referate über die "Kriminalistischen Ergebnisse bei der Aufklärung der Greuel an den Volksdeutschen" während des "Bromberger Blutsonntags". Mit der Person des Vorsitzenden der Gesellschaft, dem Breslauer Ordinarius Gerhard Buhtz, eröffnet Herber seiner Fachgeschichte Zugang zur Weltpolitik: Buhtz war es, der die Internationale Ärztekommission an Katyns Massengräber führte.

Soweit wie Herber diese politische Dimension, die sich nicht in der Zuarbeit für Polizei, Justiz und Wehrmacht erschöpfte, soweit wie er überhaupt die Diffusion von Wissenschaft und Politik in einem vermeintlichen "Orchideenfach" institutions- und personalgeschichtlich analysiert, hat er eine Forschungslücke geschlossen. Zu monieren ist, daß Herber zeithistorisch oft ideologischen Vorgaben folgt, die während seiner Leipziger Studienjahre um 1960 galten. Das wirkt sich begrifflich aus, wenn er penetrant von "faschistischen" Wissenschaftlern spricht, berührt aber auch Inhaltliches, wenn er den "Faschismus" im Fach so monolithisch präsentiert, daß er Bruchlinien, etwa dem Konflikt zwischen Buhtz und dem Reichsinnenministerium, nicht nachgeht.

Friedrich Herber: Gerichtsmedizin unterm Hakenkreuz. Militzke Verlag, Leipzig 2002, 541 Seiten, Abb, 29 Euro.


 
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