© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/02 26. April 2002

 
Überwältigt von der Kraft des Ortes
Berliner Stadtschloß: Die Auswahl der internationale Expertenkommission liegt im Dunkeln / Fachwissen paart sich mit "fortschrittlicher" Gesinnung
Alexander Barti

Seit zwölf Jahren diskutiert man die städetbauliche Gestaltung der Berliner Mitte. Seitdem wurden unzählige Vorschläge gemacht und vieles umgesetzt. Der Lustgarten wurde nach alten Plänen von Schinkel rekonstruiert, ebenso die Schloßbrücke, die Alte Nationalgalerie, der Schinkelplatz neben dem Kronprinzessinnenpalais. Das DDR-Außenministerium, ein häßlicher Plattenriegel gegenüber vom "Palast der Republik", wurde gleich nach der Wende "zurückgebaut"; Bertelsmann rekonstruiert zur Zeit wieder die alte Kommandantur Unter den Linden als Hauptstadtrepräsentanz und die ebenfalls in den sechziger Jahren zerstörte Schinkelsche Bauakademie (heute gegenüber dem Auswärtigen Amt) läßt sich nur durch ein wiedererichtetes Eckfragment erahnen. Bei jedem dieser Bauvorhaben wurde gelobt und gemault, aber am heftigsten kämpfte man um die Hoheit über den Schloßplatz, der bis zur Wende Marx-Engels Platz hieß.

Der 1994 von Bund und Land ausgelobte Internationale Städtebauliche Ideenwettbewerb "Spreeinsel" blieb ebenso unbefriedigend wie das 1997/98 veranstaltete Interessenbekundungsverfahren. Die Politik konnte oder wollte sich nicht auf eine einheitliche Postion einigen; und die Bürgerlichen in der Kohl-Ära trauten sich nicht, "Erichs Lampenladen" als Symbol eines menschenverachtenden Systems abzureißen. So erhoffte man sich - beschlossen von Bund und Berliner Senat im Herbst 2000 - Rettung und Frieden von einer internationalen Expertenkommission.

Vor gut 15 Monaten traten die Experten zusammen; am 17. April legten sie den Abschlußbericht vor, in dem nochmals ausführlich erläutert wurde, wie man sich die Bebeauung des Schloßplatzes in Berlin vorstellt - und warum man sich mehrheitlich für eine relativ genaue Rekonstruktion des ehemaligen Hohenzollerndomizils entschieden hatte.

Wie nach jeder Pressekonferenz, die die Expertenrunde in den letzten Monaten veranstaltet hatte, las man anderntags zum Teil wütende Kommentare und Berichte in den Zeitungen. Die Fraktion der Schloß-Gegner zeichnete ein düsteres Bild der "preußischen Reaktion", die mit der Rekonstruktion Einzug halten würde - die Schloß-Befürworter hingegen wollten endlich den ersten Spatenstich tun.

Das ehemalige Sprachrohr der DDR-Jugend, Junge Welt, stellte folgerichtig im Sinne des "Klassenkampfes" fest, daß die Kommission wohl empfehlen werde, "in der Mitte von Berlin ein Bauwerk zu errichten, das von außen wie das alte Hohenzollernschloß aussieht und nur im Inneren ein bißchen moderner sein soll. Toll, das marode Berlin braucht also ein wiederaufgebautes Symbol des Feudalismus. Genügend Typen mit einem 'von' im Namen haben sich in den vergangenen zwölf Jahren ja auch in der Hauptstadt breitgemacht. Da bleibt dem republikanischen Berlin nur der sehnsüchtige Gedanke an die Franzosen und ihren Sturm auf die Bastille."

Politik fällt nicht vom Himmel, sondern wird von Menschen gemacht. Daher ist es bemerkenswert, daß über die Berufung, Zusammensetzung und Arbeitsweise der Kommission praktisch nirgendwo ausführlicher berichtet wurde. Analysiert man den biographischen und parteipolitischen Hintergrund der Experten, fällt auf, daß nach ihrer Berufung niemand ernsthaft an ein Votum für den Wiederaufbau des Schlosses glauben konnte.

Öffentliche Ausschreibungen zur Mitarbeit gab es nicht

In der Internationalen Expertenkommission "Historische Mitte Berlin" saßen 17 Mitglieder unterschiedlicher Fachrichtungen und sechs Moderatoren als Vertreter der Bundesregierung und des Senats von Berlin. Wie man sie ermittelt hatte, konnte ihr Pressesprecher auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT nicht sagen; ein öffentliches Bewerbungsverfahren fand nicht statt. Kommissionsmitglieder und Moderatoren hatten gleichermaßen eine Stimme; waren die Moderatoren nicht anwesend, konnten Vertreter benannt werden, die allerdings kein Stimmrecht hatten. Alle Beschlüsse wurden in offener Abstimmung bei der Anwesenheit von zwei Dritteln der Mitglieder herbeigeführt.

Die Moderatoren der Bundesebene waren: Der Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse (SPD), Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) und Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin (SPD). Für das Land Berlin moderierten bis zum 29. November 2001 Reinhard Führer (CDU) und nach ihm Walter Momper (SPD) als Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Peter Strieder (SPD) als Senator für Stadtentwicklung und als Kultursenatoren Christoph Stölzl (CDU) bis zum 16. Juni 2001, danach bis zum 17. Januar 2002 Adrienne Goehler (Die Grünen) und seitdem Thomas Flierl (PDS).

Man wird wohl mit Blick auf die erlesene Schar unterstellen dürfen, daß sich in den Reihen der Moderatoren nicht besonders viele ostelbische Junkersprößlinge tummeln, die nichts anderes im Kopf haben, als die "preußische Trutzburg der Reaktion" wiederzuerrichten. Ähnlich "reaktionär" in Geist und Herkunft zeigen sich die weiteren 17 Experten: Hannes Swoboda (SPÖ), geboren 1946 in Bad Deutsch Altenburg, verdiente sich als Lokalpolitiker in Wien seine politischen Meriten. Seit Juni 1988 war er Stadtrat für Stadtentwicklung, seit November 1996 sitzt er im Europaparlament. Im jahr 2000 wurde er zum Vorsitzenden der Expertenkommission berufen.

Peter Conradi (SPD) gehörte als Präsident der Bundesarchitektenkammer dem Gremium an. Der 1932 im westfälischen Schwelm geborene Fachmann war von 1958 bis 1960 Mitglied im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), trat 1959 in die SPD ein und wurde 1972 in den Bundestag gewählt. Er war bis zuletzt einer der vehementesten Gegner einer Schloßrekonstruktion und erklärte sich nicht bereit, die Abstimmung anzuerkennen.

Laurenz Demps wurde als Kenner der Stadtgeschichte geladen. Er lehrt als Gastprofessor an der Humboldt-Universität am Institut für Geschichtswissenschaft. Mit Friedrich Dieckmann kam ebenfalls ein Berliner in die internationale Kommission. Der 1937 in Landsberg geborene Schriftsteller und Publizist lebt in Berlin-Treptow. 1972 bis 1976 war er Dramaturg am (Ost-) Berliner Theater "Berliner Ensemble". Dieckmann ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der Freien Akademie der Künste zu Leipzig und des PEN-Clubs. In einer Pressemitteilung der Berliner Architektenkammer vom 5. November 1996 sprach sich Dieckmann für eine "erhaltende Weiterentwicklung des Palastes der Republik" aus, da er eine "anerkannte historische Bedeutung" habe.

Diese Pressemitteilung hatte auch Franziska Eichstädt-Bohlig (Die Grünen) unterzeichnet - und auch sie findet man in der Expertenrunde. Geboren wurde Eichstädt-Bohlig 1941 in Dresden, sie wuchs aber in Westdeutschland auf; nach ihrem Architekturstudium in Hannover war sie als Stadtplanerin tätig. 1989 wurde sie - parteilos, aber von der Alternativen Liste (AL) nominiert - Stadtbaurätin in Berlin-Kreuzberg; 1993 trat sie den Grünen bei und gelangte 1994 in den Bundestag.

Ein besonderes Schmankerl in der Expertenkommission dürfte der 75jährige Architekturhistoriker Bruno Flierl sein, Vater des inzwischen zum Kultursenator avancierten Thomas Flierl (PDS). Flierl senior war 1962 bis 1964 Chefredakteur der DDR-Zeitschrift Deutsche Architektur und lehrte von 1973 bis 1984 an der Kunsthochschule Weißensee und an der Humboldt-Universität. In seinem Werk "Berlin baut um - Wessen Stadt wird die Stadt?" (1998) verurteilt Flierl den Umgang mit der DDR-Architektur und plädiert für ihre Erhaltung.

Kleihues gehört zu den bekanntesten Architekten

Ein gewisses Gegengewicht zur sozialistischen Nostalgie in der Expertenrunde dürfte Barbara Jakubeit (CDU) gewesen sein. Jakubeit war nach Architekturstudium und Referendarausbildung Architektin in Karlsruhe. Später leitete sie das Staatliche Hochbauamt in Baden-Baden und anschließend das Baureferat der Oberfinanzdirektion Karlsruhe. Von 1990 bis 1994 war sie Präsidentin der Bundesbaudirektion, anschließend lehrte sie an der TU Darmstadt. 1996 wurde ihre langjährige Beratertätigkeit für den damaligen Kanzler Helmuth Kohl (CDU) mit der Berufung als Senatsbaudirektorin in Berlin belohnt. Den Posten nutzte sie, um 1997 in dem ehemaligen Staatsratsgebäude zu einer Diskussion um die Gestaltung des Schloßplatzes zu laden ("Schloß - Palast - Haus Vaterland", Basel 1998). Nach der rot-roten Machtübernahme mußte Jakubeit ihren Staatssekretärsposten räumen und wechselte in den Vorstand des Frankfurter Flughafens Fraport AG.

Eher unbekannt ist der Finanzfachmann Peter Klemm (CDU). Geboren wurde er 1928 in Jena; dort und in Marburg studierte er Jura, mit anschließender Promotion. 1964 wechselte er in das Bundesfinanzministerium und bekleidete 1989 bis 1994 den Posten eines Staatssekretärs.

Mit Josef Paul Kleihues ist einer der prominentesten Architekten der Gegenwart unter den Experten. Der 1933 im westfälischen Rheine geborene Kleihues studierte sein Fach in Stuttgart und Berlin. Von 1973 bis 1994 lehrte er an der Universität Düsseldorf. In dieser Zeit war er Initiator der "Dortmunder Architektentage" und Planungsdirektor für die Neubaugebiete der Internationalen Bauausstellung Berlin (IBA). Kleihues war Gastprofessor in New York (Cooper Union) und New Haven (Yale); von 1994 bis 1998 lehrte er an der Kunstakademie Düsseldorf. 1996 gründete er sein Architektenbüro "Kleihues und Kleihues". In Berlin baute er unter anderem die Checkpoint-Arkaden, das "Haus Liebermann" neben dem Brandenburger Tor und das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung.

Merkwürdig mutet die Berufung des Präsidenten der Bundeszentrale für Politische Bildung, Thomas Krüger (SPD), an. Krüger, geboren 1959 in Buttstädt/Thürigen, absolviert eine Ausbildung zum Plaste- und Elastefacharbeiter und studierte nach dem Abitur 1976 Theologie in Berlin. 1977 bis 1979 war er Mitglied im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB). In der Wendezeit gründete er die SDP in Berlin. Von 1990 bis 1992 war Krüger stellvertretender Landesvorsitzender der SPD, von 1991 bis 1994 Senator für Jugend und Familie. In der 13. Wahlperiode (1994-1998) saß Krüger im Bundestag. Nach seinem Ausscheiden berief man ihn zum Chef der Bundeszentrale für Politische Bildung nach Bonn, wo er sich seitdem auch im "Kampf gegen Rechts" profiliert hat.

Mit Klaus-Dieter Lehmann konnte die Expertenrunde wieder einen sehr angesehenen Fachmann aufnehmen. Mit 38 wurde der gebürtige Breslauer und diplomierte Physiker Direktor der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main. Er baute die Bibliothek in wenigen Jahren zur benutzerstärksten in Deutschland aus. Später wurde er Generaldirektor der Deutschen Bibliothek, die Lehmann 1990 in der Funktion eines "Nationalbibliothekars" mit der Deutschen Bücherei in Leipzig vereinigte, ohne das es zu den berüchtigten deutsch-deutschen Reibereien kam. Diese Qualität prädestinierte ihn zu höheren Weihen, die er mit der Präsidentschaft der Stiftung Preußischer Kulturbesitz auch bekam. In dieser Funktion muß Lehmann, der sich gerne als "Kulturmanager" sieht, eine Vielzahl von unterschiedlichen Museen zusammenführen und dem modernen Tourismus ebenso erschließen, wie dem Wunsch nach optimalen Forschungsbedingungen. Daß Lehmann klare Vorstellungen hat, bemerkte man spätestens in der heiklen Frage der "Beutekunst", in der er einer der Verhandlungsführer der Bundesregierung war. Dezidiert sprach er sich bei den Gesprächen mit den Staaten der ehemaligen Sowjetunion gegen einen Verzicht auf die Rückführung der gestohlenen Kulturschätze aus.

Von ähnlichem Kaliber ist der 1935 geborene Helmut Engel. Er war über viele Jahre Landeskonservator von Berlin und ist heute Honorarprofessor für Stadtbildpflege an der Technischen Universität Berlin und Geschäftsführer der 1999 gegründeten Stiftung Denkmalschutz Berlin.

Projektentwickler wachten über die Verwertbarkeit

Ein ausgewiesener Fachmann in Fragen des Städtebaus ist Vittorio Magnago Lampugnani, Professor für Geschichte und Theorie der Architektur an der Eidgenössisch Technischen Hochschule in Zürich. Lampugnani, geboren 1951 in Rom, studierte in Rom und Stuttgart und blieb bis 1980 wissenschaftlicher Assistent in der Württembergischen Metropole. Anschließend war er - unter Kleihues - vier Jahre lang Berater der Internationalen Bauausstellung Berlin (IBA), dann lehrte er für ein Jahr an der Universität Harvard (USA). Von 1986 bis 1995 gab Lampugnani außerdem die Fachzeitschrift Domus heraus.

Mit Ernst Freiberger und Jerry I. Speyer waren zwei finanziell schwergewichtige Investoren und Projektentwickler in der Kommission; sie sollten darauf achten, daß das Schloßplatz-Projekt ökonomisch verwertbare Dimensionen bekommt. Speyer, Chef des New-Yorker Immobilienunternehmens Tishman-Speyer Properties, spricht fließend Deutsch; seine Firma war auch an der Errichtung des Sony-Centers am Potsdamer Platz beteiligt und baut zur Zeit an dem gigantischen Projekt "Lehrter Bahnhof" in Berlin mit.

Wieso die Kommission trotzdem für die Rekonstruktion gestimmt hat, erklärte Swoboda überraschend mit der "Kraft des Ortes": Anfangs dem Schloß abgeneigt, kam er, je länger er sich mit dem Schloß beschäftigt habe und je öfter er dort entlangging, zu dem Schluß, daß man es bauen müsse. Der Mehrheit der Experten dürfte es ebenso ergangen sein - das Votum ist gefallen, aber warum wird noch immer diskutiert?

 

Für das Schloß: Günter de Bruyn, (Schriftsteller) "Ich bin für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses, weil:

1. das historische Berlin wieder seine Mitte braucht und die Straße Unter den Linden ihren passenden Abschluß - und zwar genau diesen;

2. weil die historische Gerechtigkeit es erfordert, daß der barbarische Abriß durch Ulbricht nicht als endgültig hingenommen werden darf."

(Quelle: www.berliner-schloss.de)

 

 

Gegen das Schloß: "Sobald der gegenwärtige 'Zwang zum Schloß' wegfiele, gäbe es viele interessante Möglich-keiten, den Platz zukünftig zu nutzen. Ein uneingeschränkter Ideenwettbewerb könnte diese ermitteln und eine solide Grundlage einer tatsächlich demokratischen Entscheidungsfindung sein. (...) Bis dahin sollte der Palast der Republik selbstverständlich zwischengenutzt werden."

(Quelle: www.unwille.in-berlin.de )


 
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