© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/02 26. April 2002

 
Gegenangriff
Mecklenburg-Vorpommern: Anzeige gegen Ermittler
Lennart Lopin

Viel Lärm um Nichts oder gesetzeswidriger Umgang mit Steuergeldern? Diese Frage stellt sich im Augenblick in Mecklenburg- Vorpommern, wo die gesamte SPD-Landtagsfraktion unter dem Generalverdacht der Untreue steht. Die Staatsanwaltschaft Schwerin unter Oberstaatsanwalt Hans-Christian Pick hat die Aufhebung der Immunität des SPD-Fraktionsvorsitzenden Volker Schlotmann (45) und des Fraktionsgeschäftsführers Reinhard Dankert (50) beantragt (die JF berichtete). Doch nicht die SPD allein ist ins Visier der Justiz geraten: Aufgrund eines ähnlichen Tatbestands laufen Ermittlungen auch gegen eine Mitarbeiterin der CDU-Fraktion.

Hintergrund ist ein Streit um den legitimen Einsatz öffentlicher Gelder, die den Fraktionen zur parlamentarischen Arbeit zustehen. Im Mai vergangenen Jahres kam es zum Eklat zwischen CDU und SPD. Eine halbseitige Anzeige der CDU-Fraktion in der Bild-Zeitung, die SPD-Ministerpräsident Harald Ringstorff an seine Wahlversprechen erinnern sollte, machte unter dem Titel "Recht auf Faulheit?" auf die "verheerende Abwanderung, Bildungsmisere und Jugendarbeitslosigkeit" in Mecklenburg-Vorpommern aufmerksam.

Die SPD-Fraktion reagierte daraufhin mit einer Gegenanzeige. Diese "Gegendarstellung" (Schlotmann) hatte jedoch weniger Berichtigung als Beleidigung im Sinn. In der 11.670 Mark teuren Anzeige hieß es, daß die CDU "ignorant und selbstgefällig sei" und sich über "Spendenskandal" und "Tote Vögel im Landtag" charakterisiere. Schließlich schritt die Staatsanwaltschaft ein und benachrichtigte beide Fraktionen, daß sie nach Paragraph 54 Abs. 2 des Abgeordnetengesetzes wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder ermittle.

Zum Zankapfel zwischen Landtag und Rechnungshof hatte sich der unlautere Umgang mit den Fraktionsgeldern bereits 1995 entwickelt, nachdem der Präsident des Rechnungshofes, Uwe Tanneberg, in der Nutzung der für Parteibelange zweckentfremdeten Mittel einen Verstoß gegen das geltende Recht sah. Tatsächlich läßt die Formulierung des Gesetzes aber Zweifel an dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft aufkommen. Zwar verbietet das Abgeordnetengesetz, daß die Fraktionskasse für "Parteiaufgaben" herangezogen wird, erlaubt jedoch deren Einsatz zum Zwecke der "Information der Öffentlichkeit". Zumindest die PDS- Fraktionsvorsitzende Angelika Gramkow versteht daher die Welt nicht mehr und fordert die Gerichte auf, sich aus der Arbeit des Parlamentes herauszuhalten.

Somit könnte die Angelegenheit eher ein Fall für das Landesverfassungsgericht werden. Immerhin brauchte die Staatsanwaltschaft elf Monate, um aus dem Verdacht der Untreue erste Konsequenzen zu ziehen und die Aufhebung der Immunität des Fraktionsvorsitzenden zu fordern, der nachweislich die Anzeigenschaltung in Auftrag gab.

Die CDU verhält sich währenddessen auffällig ruhig. Obwohl sie mit rund 30.000 Mark doppelt so viel Geld in die fragwürdige Schlammschlacht investierte , gab es bei ihr keinen Fraktionsbeschluß und so muß sich lediglich die Pressesprecherin verantworten.

Inzwischen stellt sich die Frage, ob die Schweriner Staatsanwaltschaft, die die Ermittlungen leitet, mit diesem ungewöhnlichen Vorgehen von eigenen Mißständen ablenken will. Seit Anfang April läuft gegen sie eine Strafanzeige wegen Verschleppung eines Prozesses, die seit dem 21. April von der Generalstaatsanwaltschaft in Rostock weitergeführt wird: Neun Jahre lang forschte die Behörde, um die Hintergründe eines "ausländerfeindlichen" Übergriffs in Boizenburg auszuloten. Als sich herausstellte, daß die Rädelsführer für den Verfassungsschutz arbeiteten und bereits für mehrere andere Gewaltdelikte verantwortlich waren, verzögerte sich die Anklage, bis sie plötzlich ganz fallengelassen wurde. Ganz nebenbei trat auch der Präsident des Verfassungsschutzes zurück.

Justizminister Erwin Sellering (SPD) sagte vergangene Woche, es bestehe der begründete Verdacht der Strafvereitelung im Amt. Angesichts solcher Vorgänge muß es also nicht wundern, wenn die nervöse Staatsanwaltschaft in Schwerin jetzt zur Tat geschritten ist.


 
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