© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/02 19. April 2002

 
CD: Pop
Lebenshilfe
Peter Boßdorf

Die Herkunft von Popmusikern läßt in der Regel nicht auf das schließen, was sie ins Werk setzen. Ausnahmen findet man insbesondere im Alpenraum. In seinen Rückzugsgebieten siedeln noch heute ethnische Hinterlassenschaften aus vorgeschichtlicher Zeit. Sie ließen alle bekannten Überlagerungen ungerührt über sich ergehen, ohne daß sie dadurch in ihrem Wesen beschädigt worden wären. Da sie nur so sein können, wie sie sind, wird ihnen auch die Globalisierung, die sich angeblich zur Zeit ereignet, nichts anhaben können.

Seit knapp einem Jahrzehnt gibt das Duo Attwenger einen Einblick in die Seelenlandschaften dieser vorindogermanischen Populationen. Ausgehend von spartanischen und sozusagen traditionellen Arrangements aus Schlagzeug, Ziehharmonika und Mundartsprechgesang, der auch schon mal in einen Geschwindigkeitsrausch verfallen konnte, haben sich Markus Binder und Hans-Peter Falkner dabei im Laufe der Jahre zu immer ausgetüftelteren Klängen durchgewurstelt. Die größere Bandbreite musikalischer Ausdrucksmittel, die anhand der jüngsten Veröffentlichung "Sun" (Trikont) nachzuvollziehen ist, entlastet von dem bei vielen Menschen unausrottbaren Drang, auch einmal etwas anderes zu sagen, obwohl es doch eigentlich gar nichts anderes zu sagen gibt.

Attwenger schärfen das Gespür für die Unterscheidung zwischen Empirie und Spekulation. Was außerhalb des unmittelbaren Lebenskreises liegt, entzieht sich eigentlich einer Beurteilung. Wer hier seinen "hausvaschtaund" bemüht, handelt unredlich und liefert sich Interpretationsmustern aus, die irgendwelchen undurchsichtigen und unappetitlichen Interessen dienen. "Wos ma dengan des song ma ned an jiedn": Daher spielen die Musiker nach eigener Bekundung am liebsten in Gegenden, "die abseits der kapitalistischen Akkumulierung" liegen. Viel Auswahl haben sie da nicht mehr.

Die Erinnerung an prä- oder postkapitalistische Lebensentwürfe läßt sich aber nicht allein durch anstrengende und auch sicher zumeist enttäuschende Fernreisen pflegen. Eine Alternative für traditionsbewußte Menschen ist und bleibt der klassische Punk. Gerade jene, die der Leistungsgesellschaft mehr oder weniger erfolgreich angehören, haben durch ihn die Chance, ihre Entfremdungserfahrungen zum Ausdruck gebracht zu hören.

Dieses Metier beherrschen die in Freiburg ansässigen Musiker Jens Teichmann, Gregor Jehle, Markus Heinzel und Egbert Landes. Unter dem Namen Liquid Laughter Lounge Quartett wenden sie sich Genießern zu, die es als unschicklich empfinden, vor einer nicht mehr zu irritierenden Öffentlichkeit den Empörten zu markieren, wo doch das Lächeln des um den Lauf der Welt Wissenden im Spiegel so pläsierlich zu betrachten ist. Auf ihrer nicht weiter bezeichneten jüngsten CD (Ritchie Records/ Flight 13) bieten sie ein besonders hübsches Spiegelbild an, geradezu knisternde, schleppende Klänge, die der Phantasie des Hörers nahelegen, sich in irgendeine morbide Bar, wie man sie aus Kultfilmen kennt, hineinzudenken und sich auszumalen, wie man dort einen der vielen Mißerfolge des Lebens begießt.

Diese Form der Lebenshilfe ist nicht zu unterschätzen: Ein ganzes Genre von Nick Cave bis Gott weiß wohin beutet das Bedürfnis der Mittelschichten aus, große Gefühle aus banalen Anlässen zu entwickeln, und es wäre schade, wenn dieses Quartett hieran nicht wenigstens ein bißchen partizipieren könnte. Mißlungen, wenn auch gewollt ambitioniert ist allerdings der Versuch, den Unterhaltungswert einer von Heinrich Heine aus der Matratzengruft geführten Klage zu ergründen. Die Versöhnung von Kneipe und Kunst scheint Bertolt Brecht in der Tat nicht transzendieren zu können.


 
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