© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/02 19. April 2002

 
Gestörte Kommunikation
Eine Ausstellung klärt über Ausmaß und Methoden der Post- und Telefonkontrolle in der DDR auf
Ekkehard Schultz

Aktuelle Untersuchungen zeigen, daß in den letzten Jahren die Beschäftigung mit der SED-Diktatur in breiten Teilen der Bevölkerung nicht nur stark abgenommen hat, sondern auch die direkte Wissensvermittlung über diese Thematik an Schulen und Hochschulen stark eingeschränkt wurde. Damit haben es die ehemaligen DDR-Eliten und ihre westdeutschen Ableger leicht, ihre Forderung nach einer "Achtung von DDR-Biographien" zur generellen Verharmlosung des SED-Staates zu nutzen. Die planmäßige Verklärung des sozialistischen Teilstaates als "moderate Diktatur", ja sogar als Staat, der in verschiedenen Bereichen eine Vorbildfunktion für die heutige Gesellschaft habe, hat nicht zuletzt diese Erscheinungen gefördert.

Daß der SED-Staat auch in den letzten Jahren seines Bestehens den Bürgern Grundrechte in eklatanter Weise verweigerte, zeigt die jüngste Ausstellung des Berliner Museums für Kommunikation. Ihr Titel "Ein offenes Geheimnis - Post- und Telefonkontrolle in der DDR" ist zugleich Programm: Hier werden die Eingriffe des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sowie des Ministeriums des Innern (MdI) im Post- und Fernmeldewesen erörtert und anhand von Alltagserfahrungen von Bürgern exemplarisch dokumentiert. Die Konzeption der Ausstellung besorgten die Bundesbeauftragte für die Akten des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes, Marianne Birthler, und das Museum für Kommunikation. Unterstützung bei der Beschaffung von Originalwerkzeugen und -dokumenten gewährte die MfS-Gedenkstätte an der Runden Ecke in Leipzig.

Tatsächlich war die planmäßige staatliche Verletzung des in der DDR-Verfassung garantierten Grundrechts auf das Post- und Telefongeheimnis den meisten Bürgern bekannt. So ahnten viele, daß das berühmte "Knacken" in der Telefonleitung nicht nur ein Hinweis auf die marode Technik war; das Ausbleiben des ersehnten Geschenkpaketes nicht vergeßlichen Verwandten, sondern diebischen Kontrolleuren geschuldet war. Allerdings blieben bislang die Dimensionen dieser praktischen Postzensur weitgehend unbekannt.

Die Ausstellung gewährt einen eindrucksvollen Einblick in die Geschichte einer "gestörten" oder "zerstörten Kommunikation", als die sie der Direktor des Museums, Joachim Kallinich, betrachtet. Allein in der für die Postkontrolle zuständigen Abteilung M des MfS waren im Oktober 1989 2.192 Mitarbeiter beschäftigt. Besonders beachtlich ist der rasche Anstieg der MfS-Schergen im letzten Jahrzehnt der DDR. Vergleicht man die Anzahl der Mitarbeiter von 1989 mit 1980, stellt man fest, daß sich innerhalb dieses Zeitraumes die Anzahl der eingesetzten Mitarbeiter mehr als verdoppelte.

Die Mitarbeiter der Staatssicherheit saßen innerhalb der Verteilzentren in vom normalen Postbetrieb getrennten Räumen, zu denen nur sie Zugang hatten. Ihre Anwesenheit war nur wenigen Postbediensteten bekannt. Diejenigen, die über dieses Wissen verfügten, waren angewiesen, deren wahre Identität gegenüber anderen Angestellten stets zu verschleiern. Generell benutzten MfS-Angestellte für die Außendarstellung normale Dienstausweise der Deutschen Post.

Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen waren Nachfragen durch Postangestellte natürlich nicht auszuschließen. Diese "neugierigen" Mitarbeiter wurden entweder von der Post in andere Dienststellen versetzt bzw. gekündigt. Daneben verfügte das MfS über spezielle "konspirative Objekte", die nur den eigenen Mitarbeitern zur Verfügung standen. Daß jedoch immer Mißtrauen im Spiel war - gemäß der Parole Mielkes, niemandem zu trauen - beweist, daß die Schnüffelarbeit grundsätzlich immer nur von mindestens zwei Mitarbeitern in einem Raum erledigt werden durfte.

Die Dimension der Überwachung war beachtlich: Täglich wurden DDR-weit circa 90.000 Briefe geöffnet. 96 Prozent der im deutsch-deutschen Verkehr versendeten Päckchen und Pakete durchliefen mindestens eine Kontrolle. Obwohl die letztere im Regelfall durch die Zollkontrolle des MdI erfolgte, behielt sich das MfS zusätzliche Möglichkeiten vor. So war es möglich, daß Sendungen zunächst vom MdI und später nochmals von der Staatssicherheit kontrolliert wurden. Nicht unbedeutend waren die wirtschaftlichen Einnahmen durch die Entnahme von gesetzlich untersagten Dingen, wie zum Beispiel Bargeld, das grundsätzlich dem Staatshaushalt der DDR zur Verfügung gestellt wurde. Allein von 1984 bis 1989 belief sich dessen Gesamtbetrag auf 32 Millionen DM. Hinzu kamen Gelegenheitsentnahmen: Häufig wurden Mitarbeiter des MfS mit entnommenen Kleinwaren "belohnt".

Die Ausstellung ist nicht nur unter historischen Gesichtspunkten wertvoll. Sie weist zugleich höchst aktuelle Züge auf. Die Folgen des eklatanten Eingriffs in die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte hat die (mittel-)deutsche Gesellschaft bis heute nicht überwunden. Mit der nicht zuletzt durch die Teilnahmslosigkeit der meisten West-Medien geförderten DDR-Nostalgie wurde eine Wertedebatte in Kraft gesetzt, die eine Renaissance der realsozialistischen Lehren begünstigte. In diesem Zusammenhang ist die Feststellung Marianne Birthlers ein wertvolles Indiz, die es als "unverständlich" und "beunruhigend" bezeichnete, heute gehäuft gefragt zu werden, was es ausmache, wenn Gespräche abgehört und Post kontrolliert werde.

Den besten Lernort für die junge Generation stellen in der Ausstellung nicht die interessanten Originalobjekte wie Heiß- und Kaltdampfgeräte sowie Handschließmaschinen dar, die das MfS für seine Schnüffel- und Bespitzelungstätigkeit nutzte und teilweise extra zudiesem Zweck konstruierte, sondern jene Bilder, die Berge zerrissener Ansichtspostkarten zeigen. Da liegen die nie ihren Empfänger erreichenden Grüße der nächsten Verwandten und Bekannten - von Großmutter, Onkel, Schulkamerad, Ehefrau,Kindern und Freunden. Da liegen die zu Papierschnipseln reduzierten, zumeist harmlosen und banalsten - doch zur Erhaltung menschlicher Verbindungen doch so wichtigen - Kommunikationsmittel. Da liegen Tausende und Abertausende Erinnerungen, die eine Macht zerstörte, um menschliche Beziehungen zu beschädigen oder sogar auszulöschen: zur Isolierung von Menschen, die "Westkontakte" dem normierten Handeln nach der Doktrin einer Parteiclique vorzogen.

Die Ausstellung weist nicht nur auf die Kontrollinstanzen und ihre Arbeitsweise hin, sondern fordert ihre Besucher zum Nachdenken über die eigene Verstrickung innerhalb des DDR-Systems auf. Nicht zuletzt im eigenen Hause habe es von ehemaligen Postbediensteten der DDR Widerstände gegen die Ausstellungskonzeption gegeben, gab Kallinich zu, als die Zusammenarbeit zwischen Post und MfS zum Thema gemacht wurde. Nach denWorten Birthlers enthält die Ausstellung einen expliziten Aufruf zum Engagement für Freiheits- und Bürgerrechte. Sie zeigt darüber hinaus die Gefahren, die in der Umklammerung des Staates durch Parteien und Organisationen mit absolutem Wahrheitsanspruch liegen.

 

Die Ausstellung im Berliner Museum für Kommunikation wird bis zum 1. September gezeigt. Eintritt frei. Der Katalog kostet 17,80 Euro (im Museum), 35 Euro (Buchhandlung).


 
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