© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/02 19. April 2002

 
Fasziniert von Banden und Sekten
Nahost-Konflikt: Israel und die deutsche Linke - ein bis heute ungeklärtes Verhältnis
Werner Olles

Auf Einladung des "Bundesverbandes jüdischer Studenten in Deutschland" (BJSD) hielt der israelische Botschafter Asher Ben-Nathan am 9. Juni 1969 im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Frieden in Nahost" in der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität einen Vortrag, in dem er die israelische Position erläuterte. Bereits bei seinem Eintreffen im bis auf den letzten Platz besetzten Hörsaal VI dröhnten ihm Parolen wie "Axel Springer - Ben-Nathan, eine Clique mit Dajan" und "Ha, ha, ha, Al Fatah ist da!" entgegen.

Die bereits kochende Stimmung schlug endgültig um, als der Botschafter die Existenz des Staates Israel und einer zionistischen Politik als Selbstverständlichkeit bezeichnete. Der ehemalige SDS-Vorsitzende K.-D.Wolff forderte ihn auf, sich bei den von Ben-Nathan wegen ihres Protestes gegen die Friedenspreisverleihung an den senegalesischen Staatspräsidenten Senghor als "Neo-Nazis" bezeichneten Studenten zu entschuldigen, was dieser jedoch ablehnte. Sein weiterer Vortrag ging in wütenden Sprechchören unter.

Mit resignativem Unterton sprach der Botschafter dann von einem "geschichtlichen Ereignis, daß diese Diskussion heute abend unmöglich gemacht wird: Dies nämlich ist in Deutschland das letzte Mal vor 34 Jahren geschehen". Als in dieser aufgeheizten Atmosphäre SDS-Mitglieder, die Frankfurter Fatah-Gruppe und Angehörige des Nationaldemokratischen Hochschulbundes (NHB) das Podium zu stürmen versuchten, verließ der Botschafter den Hörsaal.

Zwei Tage später lud der Allgemeine Studentenausschuß (AStA) den antizionistischen israelischen Linksradikalen Eli Löbel zu einer Podiumsdiskussion ein. Löbel hatte kaum mit seiner Rede begonnen, als ein älterer Zuhörer nach vorn trat und ihn einen "Verräter am Judentum" nannte. Daraufhin erstürmten mehrere Männer das Podium und begannen mit Knüppeln auf den Referenten und die Studenten einzuschlagen. Einer schleuderte einen schweren Filmprojektor auf den Kopf des am Boden liegenden Löbel, dem es im letzten Moment gelang, sich zur Seite zu rollen. Mit gezogenen Messern verfolgten die Männer die flüchtenden palästinensischen Studenten und antizionistischen Israelis.

Vor dem Hörsaalgebäude warteten derweil mit Pistolen bewaffnete Komplizen der Schläger in Mercedesfahrzeugen mit laufenden Motoren, während Einsatzkräfte der Polizei auf der gegenüberliegenden Straßenseite tatenlos zusahen. Mehrere deutsche Studenten und Palästinenser wurden mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Abdallah Franghi und Amin el-Hindi, die beiden Vertreter der "Generalunion palästinensischer Studenten" (GUPS), trugen Gehirnerschütterungen und Knochenbrüche davon und konnten die Klinik erst nach mehreren Wochen wieder verlassen.

Der BJSD-Vorsitzende Dan Diner erklärte die Ausschreitungen damit, daß "unter der Voraussetzung, daß unter den Schlägern Juden waren, diese Männer offensichtlich in der Zeit des Nazi-Terrors aufgewachsen sind, und daß sie die KZs durchlebt haben..." Tatsächlich kamen die Schläger jedoch aus dem Frankfurter Rotlichtmilieu, wo sie als Bodyguards jüdischer Halb- und Unterweltbosse bekannt waren.

Die Bundesregierung bezeichnete die Störaktionen des SDS als "bedrückend". Es sei "beschämend", daß der israelische Botschafter mit "antisemitischen Parolen" niedergeschrien wurde. Das Präsidium der Deutsch-Israelischen Gesellschaft appellierte an alle Studenten, sich geschlossen gegen die antiisraelische Agitation und den Meinungsterror des SDS zur Wehr zu setzen, bevor aus der deutschen Studentenschaft "eine neue Judenfeindschaft im Gewand des Antizionismus" entstehe. Der Schriftsteller Günter Grass bezeichnete die Methoden des SDS als "faschistisch".

Terror-Tourismus in den Libanon und nach Jordanien

In einer umfangreichen Erklärung wies der SDS-Bundesvorstand die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entschieden zurück, die Sprechchöre gegen Ben-Nathan seien Ausdruck eines "Antisemitismus der Linken" gewesen. Nur einen Monat später flog eine Gruppe SDS-Funktionäre auf Einladung der El-Fatah und der "Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas" (DFLP) in den Nahen Osten, um im Libanon und in Jordanien verschiedene Guerilla-Ausbildungslager zu besuchen und das palästinensische Revolutionsmodell einschließlich Schießübungen mit der Kalaschnikow kennenzulernen.

Nachdem in westdeutschen Medien erste Berichte über diese Art von Revolutionstourismus erschienen, beschloß die Gruppe zurückzufliegen. Bei der Ankunft in Frankfurt von Journalisten auf die Möglichkeit angesprochen, auch nach Israel zu reisen, um sich aus Gründen der Objektivität ein Bild von den dortigen Verhältnissen zu machen, erklärte Hans-Jürgen Krahl: "Was sollen wir in Israel? Dort gehen wir hin, wenn es sozialistisch geworden ist!"

Daß die radikale "Neue Linke" sich gegen das offizielle Israel stellte, sollte sich als Fanal einer tiefgehenden Entfremdung erweisen. Ein bislang "eher still und verhalten geäußertes traditionell altlinkes Unbehagen an Israel" (Dan Diner) kippte nun um in eine uneingeschränkte Solidarität für den nationalen Befreiungskampf der unterdrückten und vertriebenen Palästinenser, wobei der moralische Standort des jüdischen Staates eindeutig ausgemacht zu sein schien. Zwar war das Palästinaengagement der jungen Linken gewiß auch Ausdruck eines symbolischen Wiederholungszwanges, denn der reale Konflikt wurde in längst vergessen geglaubte Traditionszusammenhänge der historischen Linken gestellt und vom eigentlichen Ort seines Geschehens tief in die Psyche der mit dem Holocaust notorisch verbundenen Deutschen versenkt. Daher schwankte das Verhältnis der deutschen Linken stets zwischen einer irrationalen Überidentifikation mit den Überlebenden jenes Holocaust, einem nur notdürftig als "Antizionismus" kaschierten linken Antisemitismus, der sich hierzulande vor allem in den siebziger Jahren gegen "jüdische Spekulanten" richtete und einer antikolonialistisch geprägten identifikatorischen Solidarität mit den Palästinensern.

Am leichtesten hatten es noch die orthodoxen Kommunisten der DKP, die sklavisch den ideologisch unreflektierten "Antizionismus" der DDR-Staatspartei SED nachbeteten. Aber auch die militante "Neue Linke" begann sich tabu- und normenbrecherisch vom Philosemitismus ihrer Eltern zu emanzipieren. Ende November 1969 erschien eine Ausgabe der Berliner Untergrundzeitung Agit 883 mit einer Erklärung der "Tupamaros Westberlin", die einen mißglückten Bombenanschlag auf die Jüdische Gemeinde rechtfertigte: "Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus hat gezündet. Berlin dreht durch. Die Linke auch. Springer, der Senat und die Galinskis wollen uns ihren Judenknax verkaufen. In das Geschäft steigen wir nicht ein. Bei uns ist Palästina. El Fatah - Schlagt zu!"

Dieses paradoxe Bild einer internationalistisch getragenen Kritik aus Deutschland als prinzipiell antisemitisch abzutun, traf zwar nicht ganz den Kern der Sache, aber gänzlich frei von Spurenelementen "antisemitisierender" Traditionsbestände war die linksradikale Gesinnung keineswegs. Nirgendwo kam dies deutlicher zum Ausdruck, als im Juni 1976 ein "Kommando Che Guevara" der "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) unter Führung der Frankfurter "Revolutionäre Zellen" (RZ)-Terroristen Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann einen Airbus der Fluggesellschaft Air France in ihre Gewalt brachte und nach Uganda entführte. In Entebbe nahmen die Entführer dann eine Selektion zwischen jüdischen und nichtjüdischen Passagieren vor. Während die nichtjüdischen Männer, Frauen und Kinder freigelassen und nach Paris ausgeflogen wurden, zwang man die 70 israelischen und 34 anderen jüdischen Passagiere ausnahmslos an Bord zu bleiben. Wenige Tage nach der geglückten Befreiung durch ein israelisches Spezialkommando, bei der sämtliche Geiselnehmer erschossen wurden, fand man eine der Geiseln, die 75jährige jüdische Britin Dora Bloch, mit durchschnittener Kehle in einem Wald nahe des Flughafens.

Israel war für die deutsche Linke ein Problem

Diese Aktion öffnete manchen der linksradikalen Sympathisanten des palästinensischen Befreiungskampfes die Augen und bewies, daß auch die rechte linke Gesinnung vor Falschem nicht schützte. Aber deutsche Linksterroristen um den RZ-Chef Johannes Weinrich hatten schon 1974 bei der von Wadi Haddad gegründeten PFLP-SO, einer noch radikaleren Abspaltung der PFLP, angeheuert.

Daß das Phänomen Israel für das christlich-okzidental, kulturell grundierte Bewußtsein der deutschen Linken ein Problem von erheblicher Tragweite darstellte, war jedoch bereits 1972 öffentlich sichtbar geworden. Als ein Kommando des aus der "PLO-Sicherheit" unter Führung von Abu Iyad und Amin el-Hindi hervorgegangen "Schwarzen September" das Olympische Dorf in München überfiel und israelische Sportler als Geiseln nahm, hatten wiederum deutsche Linksterroristen logistische Hilfe geleistet. Ungebrochen schien die Faszination der mythisierten Figuren jener postpolitischen palästinensischen Banden- und Sektenstrukturen. Und so konnte die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft in Frankfurt am Main den mörderischen Überfall auf die israelische Olympiamannschaft als "Münchner Aktion" schönfärben, die eine "Kriegshandlung im Befreiungskampf des palästinensischen Volkes" gewesen sei. Der an der Frankfurter Universität ausgehängte Text endete mit den üblichen Schlagworten: "Nieder mit dem Zionismus!" und dem Hinweis, daß "die über 40 Milliarden Mark Wiedergutmachung der BRD an Israel" nur dazu dienten, diesen "Wachhund des Imperialismus künstlich hochzupäppeln".

Die Differenz zwischen realitätsgerechter Wahrnehmung und antisemitischer Täuschung und zwischem dem Denken einer aufklärerischen Linken und den blutigen Manifestationen des national-palästinensischen Todestriebs hatte sich längst widersprüchlich und doppelgesichtig amalgamiert. Die Wiederkehr des Verdrängten prallte bei einer allein universalistischen Werten verpflichteten Linken ab, und das an Auschwitz gehärtete Bewußtsein des kollektiven jüdischen Gedächtnisses vernahm die pro-palästinensischen Gesänge als in zynischer Vernichtungslust schwelgende Choräle. In der Tat waren sie ein seltsamer Zwitter aus Kontinuität und Bruch.

Den Kausalzusammenhang zwischen dem geschichtstheologischen Hintergrund des Post-Zionismus und dem sozialistischen Internationalismus, der individuelle Gleichheit und Freiheit und den Selbstverzicht auf Nation und Nationalität gleichermaßen vertritt, vermochten in der jüdischen Staatlichkeit Israels nur wenige überzeugte Linksradikale zu erkennen. Dennoch rückten in den neunziger Jahren verschiedene Fraktionen der extremen Linken entschieden von ihrer Fundamentalkritik am Zionismus ab. Besonders die "Antidoitschen" um die Zeitschrift Konkret und der von der ehemaligen DDR-Jugendzeitung Junge Welt abgespaltene Jungle World spürten auf dem psychischen Resonanzboden Deutschlands unbewußte Ablagerungen eines irrlichternden Antisemitismus, der sich paradoxerweise mittels humanistischer Prinzipien anti-antisemitisch speiste.

In diesem unauflösbaren Konflikt schlugen sich die "Antidoitschen" auf die Seite Israels, um bestimmte "unheilige Allianzen" und Verschmelzungsphänomene zwischen linken und rechten Antiimperialisten und dem palästinensischen Befreiungskampf psychisch und intellektuell zu entmischen. Der klammheimliche Abschied dieser linksextremen Fraktion vom Antiimperialismus trug jedoch seinerseits Züge einer typisch deutschen Identitätsduselei, weil er die Last der eigenen Vergangenheit zwar verspürte, durch seine philosemitische Rationalisierung aber schließlich jedes moralische Maß verlor.

Die deutsche Linke hüllt sich in Schweigen

Während die Mehrheit der deutschen radikalen Linken heute Sympathie für allerlei identitäre arabisch-islamistische Banden und Sekten zeigt und unter dem Motto "Zivilisation ist Völkermord!" begeisterte Grußadressen an palästinensische Selbstmordattentäter schickt, solidarisiert sich ein kleinerer Teil als Resultat der Aufklärung und in der Ahnung des apotheotischen Moments einer fundamentalistischen Israel-Kritik in Deutschland mit dem jüdischen Staat.

Daß die Juden mittels ihres Staates inzwischen selbst zu handelnden politischen Subjekten geworden sind und ihre Rolle als historisch-unschuldige Opfer längst zugunsten einer aktiven und ihre Lebensinteressen verteidigenden Militärpolitik aufgegeben haben, ist nur die eine Seite. Die andere Seite ist, daß die deutsche Linke sich bei der Suche nach einer angemessenen Lösung des Nahost-Konfliktes in ein vor sich selbst zu verantwortendes Schweigen hüllt. Aber das seit 1947 offene palästinensische Recht auf einen eigenen Staat bei Anerkennung und Garantie der Sicherheit Israels läßt sich nicht mehr auf die lange Bank schieben.

Es war daher verdienstvoll, daß Günter Grass Israel an die Räumung der besetzten Gebiete erinnert hat und "auch die Besitznahme palästinensischen Bodens und seine Besiedlung" als "kriminelle Handlung", die "rückgängig gemacht werden muß" bezeichnete. Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, warf dem linken Schriftsteller daraufhin vor, es müsse bei aller Kritik deutlich werden, "daß Israel Opfer und nicht Täter in diesem blutigen Terrorkampf ist". Grass stelle sich "auf eine Stufe mit den radikalen Feinden Israels" und "in die Reihe derjenigen nichtjüdischen Intellektuellen in Deutschland, die schon seit Jahren direkt oder indirekt die staatliche Existenz Israels in Frage zu stellen suchen".

Genau dies hat Grass nicht getan - aber das Dilemma der Kritik an der Politik Israels läßt die Folgen unserer Realgeschichte immer wieder mit den ideellen Folgerungen aus der Geschichte kollidieren. Um diese Vermengung von realitätsgerechter Wahrnehmung und antisemitischer Täuschung zu entwirren, gibt es vielleicht nur eine Lösung: Sich dem Palästinakonflikt pragmatisch und nicht ideologisch zu nähern. Damit dürfte die Linke jedoch Schwierigkeiten haben.


 
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