© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/02 19. April 2002

 
Kolumne
Wechselwinde
Hans-Helmuth Knütter

Politische Lagediagnostiker und solche, die sich dafür halten, wollen eine seltsame Zeittendenz beobachtet haben: Überall wehe der Wind neuerdings nach Rechts. Nicht etwa die antifaschistischen Narren behaupten das. Die leben ja vom Kampf gegen Rechts und wittern deswegen den faschistischen Popanz auch da, wo gar keiner ist. Auch seriöse Beobachter revidieren die Ansicht, Europa werde sozialdemokratisch.

In 13 von 15 Staaten der Europäischen Union gab es rötliche Regierungen. In Deutschland machte die SPD hemmungslos die PDS salonfähig, um ihre Posten und ihren Einfluß mittels eines weiteren willfährigen Partners zu sichern, wenn es mit den Grünen einmal nicht mehr klappen sollte. Kaum hat der Staatsbürger diese Lage zur Kenntnis genommen, verändert sich die politische Wetterlage schon wieder.

Seit 2000 verlieren die Leftisten in Europa eine Wahl nach der anderen. Nur noch sieben Regierungen sind ihnen geblieben, und von denen wackelt so manche. Was fürchten die Linken? Haben sie wirklich Angst vor einer rechten Welle oder wollen sie nur die eigenen Anhänger mit dem faschistischen Gespenst ängstigen? Ihr Verhalten erklärt sich aus ihrer Konzept- und Theorielosigkeit. Sie können sich nicht mehr positiv, über attraktive sozialistische Ziele definieren, sondern nur negativ, über ein Feindbild. Das haut allerdings nicht mehr hin. Weder in Österreich, wo alle Hetze nicht zum Sturz der ÖVP/FPÖ-Regierung führte, noch in Italien. Trotz Haider, Berlusconi und Fini ist kein Faschismus ausgebrochen. Die Anti-Rechts-Hetze ist durch die Wirklichkeit widerlegt. In Deutschland tun die etablierten Linken nach wie vor, als stünde ein neues 1933 bevor. "Die Kräfte des Hasses und der Intoleranz vergiften das politische Klima", warnte Gerhard Schröder vor weiteren rechten Erfolgen. Ausgerechnet der Ausgrenzer, der Erfinder jener "Anständigen", die mit Spitzelei und Meinungsterror zeigen, was sie von Toleranz und Freiheit halten. Dabei gibt es in Deutschland gar keine wählbare "Rechte", die Rot-Grün ablösen könnte. So kann sich die Anti-Rechts-Propaganda nur gegen die CDU/CSU richten, der alle ihre Distanzierungen nichts nützen. Sie wird trotzdem unter Faschismusverdacht gestellt.

Wir leben in wendereichen Zeiten. Die bisherigen Mehrheiten waren stabil, sie hielten über mehrere Legislaturperioden. Warum soll nicht etwas mehr Bewegung ins Parteiensystem kommen? Vielleicht trägt das sogar dazu bei, die unerträglich stickige, von Denunziation vergiftete Atmosphäre zu reinigen und durch häufigeren politischen Wechsel von Parteien und Funktionären erfreulich durchzulüften.

 

Prof. Dr. Hans-Helmuth Knütter lehrte Politikwissenschaften an der Universität Bonn.


 
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