© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/02 19. April 2002

 
Grenzenlose Infektionen
Rotkreuz-Europakonferenz in Berlin: Die Warnung vor der Ausbreitung von HIV und Tuberkulose
Matthias Bäkermann

Mit einem Appell zur Achtung von humanitären Mindeststandards bei Konflikten - in Anspielung auf die momentane Situation in Palästina - hat Bundespräsident Johannes Rau am Montag die VI. Europäische Rotkreuz- und Rothalbmond-Regionalkonferenz eröffnet. Weitere Gäste der Konferenz werden Bundesaußenminister Joseph Fischer und die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth sein. Bis zum 19. April beschäftigen sich 350 Delegierte aus 51 europäischen Staaten mit dem Thema "Gesundheit und Migration, mit dem Ziel, neue Aktionen und Strategien zu entwickeln". Das offizielle Konferenzprogramm führt allerdings an der Wahrheit vorbei - es geht nämlich um Krankheit und Migration.

In der Eingangspressekonferenz unterstrich der Präsident des gastgebenden Deutschen Roten Kreuzes, Knut Ibsen, die Notwendigkeit, gerade die uneinheitlichen Gesundheitsstandards in Europa zu thematisieren. "Wir stehen vor einer schleichenden Gesundheitskrise. Ohne entsprechende Programme werden durch die rapide ansteigenden HIV-Infektionen in Osteuropa in Verbindung mit der Tuberkulose Millionen Menschen sterben." Ziel der Konferenz sei die Entwicklung eines Aktionsplans für einheitliche europäische Gesundheitsstandards. Besonders die Tuberkulose (TB), Deutschen aus Nachkriegsjahren noch als "Schwindsucht" gegenwärtig, hat sich weltweit in einem erschreckenden Maße ausgebreitet.

Wie der Generalsekretär des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK), Robert Loddenkemper, bereits vor zwei Jahren feststellte, sind ein Drittel der Weltbevölkerung (etwa zwei Milliarden Menschen) mit TB infiziert, davon 95 Prozent in den Entwicklungsländern (zu denen aus medizinischer Sicht auch Rußland gehört). Dabei wird die Erkrankung der Infizierten vorwiegend unter schlechten Lebensbedingungen wahrscheinlich. Speziell in Osteuropa sind die Erkrankungsfälle laut Loddenkemper dramatisch angestiegen, besonders mit steigenden Anteilen von gegen Medikamente resistenten Tuberkolusestämmen. Dies habe auch Auswirkungen auf Deutschland, das als ein Ziel der Migrationsbewegungen besonders wegen der hier niedrigen TB-Kontrolle und Therapiemaßnahmen bedroht sei, warnte Loddenkemper. In Rußland stürben derweil schon 30.000 Menschen jährlich an Tuberkulose.

Auch die Ausbreitung von Aids ist nach den dramatischen Zuständen im südlichen Afrika in erster Linie in der ehemaligen Sowjetunion und Osteuropa festzustellen. Mehr als 250.000 neuer HIV-Infektionen wurden nach Angaben von UN-Aids in diesem Raum gezählt. Viele der nach Europa strebenden Flüchtlinge aus aller Welt kommen mittlerweile aus oder über Osteuropa - insbesondere Litauen, das sogar als Hintertür des Westens für illegale Einwanderer gilt - und mit ihnen nicht selten die Infektionskrankheiten. Stefan Etgeton, Geschäftsführer der Deutschen Aids-Hilfe, beschrieb 2000 auf der Fachtagung zum Welt-Aids-Tag, daß "die Migranten mit HIV und Aids in der Arbeit der Deutschen Aids-Hilfe an Bedeutung gewonnen" hätten. Bei den HIV-Neudiagnosen habe diese Gruppe bereits nach den Homosexuellen den größten Anteil.

Die Lösungsmöglichkeiten, die auf dem diesjährigen Regionalkongreß entwickelt werden dürften, werden eher am Problem vorbeigehen. Wie der Präsident der Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften, Juan Manuel Suáres, betonte, steige vor allem "die Bedrohung von Migration durch Fremdenfeindlichkeit und Rassismus". Die Forderung nach konkreten Schritten, wie etwa der Zwangstest auf HIV oder TB für Asylbewerber, wurde bislang noch nicht gestellt. Die gewünschte Prophylaxe in den Herkunftsländern, die beschlossen werden soll, wird an den Widrigkeiten der Praxis leider scheitern.


 
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