© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/02 19. April 2002

 
Winfried Hermann
Der letzte Mohikaner
von Christian Vollradt

Von Ernst Niekisch stammt der zunächst paradox anmutende Ausspruch, die Sozialdemokratie sei eine weltliche Form des Katholizismus: Ein "Gewirr von Dogmen, unverrückbaren Lehrsätzen" machte er für diese Einschätzung verantwortlich. Wie erst hätte der alte Revolutionär dann die Grünen apostrophiert, mit ihren geradezu jenseitigen Glaubensbekenntnissen, der gestrengen Scheidung von Gut und Böse und ihren strikten Ordensregeln?

Um bei diesem Bilde zu bleiben, könnte man den Tübinger Bundestagsabgeordneten Winfried Hermann als Dominikaner bezeichnen, der wider seiner ins Weltliche abdriftenden Parteifreunde den wahren Glauben hütet. Als sich die Grünen in ihrem kürzlich renovierten Grundsatzprogramm vom Dogma des Pazifismus nun auch theoretisch verabschiedeten, stimmte Hermann gegen die Formulierung, daß Krieg eine "ultima ratio" sein könne und beharrte mit wenigen anderen auf der Abschaffung der Nato.

Daß der Südwesten zum Synonym für den Realoflügel geworden ist, mag neben den beiden Spitzenleuten Kuhn und Schlauch auch an der Tatsache liegen, daß sich die Grünen hier in erster Linie aus der bürgerlichen Ökologiebewegung speisten. Ihr stand Hermann bisher eigentlich nicht fern, zumal er im Bundestag dem Ausschuß für Umwelt, Natur und Reaktorsicherheit stellvertretend vorsteht und beruflich bis 1998 in Stuttgart an der Volkshochschule den Lehrbereich Umwelt und Gesundheit verantwortete.

Der 1952 in der Bischofsstadt Rottenburg am Neckar geborene Hermann ging nach dem Abitur zum Studium ins nahe (aber protestantische) Tübingen, um danach bis 1984 als Lehrer für die Fächer Deutsch, Politik und Sport noch ein Stück neckarabwärts in Stuttgart tätig zu sein; an schwäbischen Gepflogenheiten gemessen, ist er also richtig in der Welt herumgekommen. Als linker Besitzstandswahrer profilierte sich Hermann aber erst mit der Weigerung, dem Afghanistan-Einsatz zuzustimmen. Er verkörperte so das schlechte Gewissen einer Partei, die 1990 noch auf vor Kasernen verteilten Flugblättern forderte: "Wenn ihr den Befehl bekommt, in einen Krieg irgendwo auf der Welt zu gehen, dann sagt NEIN und begeht Fahnenflucht!"

Mit seinem Festhalten am pazifistischen Glauben konnte sich Hermann auf dem Landesparteitag immerhin ein Stück weit behaupten; zwar nicht gegen den Suevo-Türken Cem Özdemir, den man im Landesidiom einen "Meegetse" der Medien nennen würde, aber gegen den wirtschaftsliberalen Polarisierer und Haushaltspolitiker Oswald Metzger. Doch er und Hermann werden wohl nicht wieder in den Reichstag einziehen. Doch der "Dogmatiker" darf sich in seiner Haltung auf eine alte schwäbische Weisheit berufen, die eigentlich dem Haushaltsexperten vom Realo-Flügel besser zu Gesicht gestanden hätte: "Aus amma Scheißhafa wird nia a Subbeschissel!"


 
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