© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002

 
CD: Gitarrenmusik
Musik für Insaiter
Walter Thomas Heyn

Die 1874 komponierten "Bilder einer Ausstellung" von Modest Mussorgski kennt jeder, vor allem in der Orchesterfassung von Maurice Ravel. Mittlerweile sind über 40 verschiedene Fassungen für die unterschiedlichsten Instrumentalkombinationen auf dem Markt. Nun legen zwei bemerkenswerte Interpreten - der 1953 als Sohn europäischer Eltern in Bolivien geborene Komponist und Gitarrist Jaime Mirtenbaum Zenamon und der 1968 in Rom geborene und am Mozarteum Salzburg ausgebildete Geiger Alessandro Borgomanero - eine Version dieses Klassik-Welthits für Violine und Gitarre vor, die sie "Pictures" genannt haben. Auf den ersten Blick scheint dies ein abenteuerliches Unterfangen, denn beide Instrumente sind zu einer tour de force gefordert, um dem Originalwerk in seiner ganzen Schönheit gerecht zu werden. Die Platte hat etwas viel Hall, aber das musikalische Ergebnis ist insgesamt vorzüglich. (Kreuzberg records, Vertrieb: Ama-Verlag, Wesselinger Straße 2-8 / 50321 Brühl.)

Anhörenswert sind vor allem die "Promenaden", das "alte Schloß" (von der Gitarre in einen mystischen Fantasy-Nebel getaucht), die originellen "Kücklein in ihren Eierschalen", die in dieser Besetzung einen völlig anderen, sehr witzigen Charakter bekommen. Bei "Samuel Goldenberg und Schmuyle" agiert die Violine fast im Stile eines Kletzmer-Geigers und macht den Gehalt des kleinen Charakterstückes sehr sinnfällig.

Zwei von Zenamons eigenen Kompositionen sind ebenfalls eingespielt worden. Die Suite caricaturas Nr.2 bietet Tanzsätze und kontrapunktische Formen, die an ältere Musikmodelle angelehnt sind, alles durchweg entspannend und wohlklingend. Viel interessanter sind die "3 Retardos", in denen der Komponist zwar auch barocke Formen zitiert, aber gleichzeitig auch viele Elemente jazziger und lateinamerikanischer Musizierformen verwendet. Besonders im "Diálogo", dem abschließenden 3. Satz musizieren die Interpreten mit hingebungsvollem Spielwitz und in heiterer Lockerheit. Hohes Lob!

Heitor Villa-Lobos wurde 1887 in Rio de Janeiro geboren. Er lebte ab 1923 in Paris und bereicherte das Gitarrenrepertoire um wesentliche Werke. Dies betrifft vor allem die zwölf Estudos, seine mit gitarristischen Raffinessen und Schwierigkeiten gewürzten "legendären" Studienwerke, die Andreas Segovia, der Wegbereiter des modernen Gitarrenspiels, 1953 erstmals bei Eschig herausgegeben hat.

Wer den Mut hat, diese Etüden auf einer CD einzuspielen, muß sich außergewöhnlichen Maßstäben stellen. Iwan Tanzil, 1963 in Jakarta geboren und aus einer chinesisch-holländischen Familie stammend, wird selbst hochgreifenden Erwartungen gerecht. Nach drei bemerkenswerten CD-Veröffentlichungen in den letzten Jahren, legt der Künstler nun seine Einspielung der "Complete Guitar Works" von Heitor Villa-Lobos vor. (Kreuzberg Records, Vertrieb: Ama-Verlag.)

Iwan Tanzil hat einen unaufdringlichen, kultivierten Ton und verfügt über eine ausgefeilte Skalen- und Akkordtechnik. Nichts klappert, klirrt oder zerrt. Und Tanzil schlägt mitunter rasante Tempi an, die keinen Vergleich scheuen müssen. Auch die rhythmischen Raffinessen dieser oftmals lateinamerikanisch inspirierten Musik bringt er überzeugend zu Gehör. Lyrische und verträumte Klänge benutzt Tanzil für die "5 Chôros", die die CD einleiten, allesamt Frühwerke von Villa-Lobos, die noch in Brasilien entstanden sind und denen man die Verwurzelung in der europäischen Folklore deutlich anhört.

Für die abschließenden "5 Préludes" (entstanden 1940) erarbeitete sich Tanzil wohlausgewogene Versionen, angefüllt mit zarten Klangstudien und agogischen Abstufungen. Sehr hörenswert!


 
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