© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002

 
Pankraz,
Oliver Kahn und der Star als Opfertier

Mit Zorn sprechen in diesen Tagen die Wirtschaftsteile vieler Zeitungen von den "irren Summen", die den Fußballstars "in den Hintern geblasen" würden, nur damit sie ihre Beine regen und hin und wieder mal ein Tor schießen. Das sei, heißt es, eine "Marktverzerrung", mit den Regeln rationaler Ökonomie gänzlich unvereinbar.

Aber was heißt rationale Ökonomie? Ist die Gier der Massen und der Medien auf "Stars", seien es nun Fußballer oder Sänger, Rennfahrer oder Boxenluder, denn rational oder wenigstens "ökonomisch" im ursprünglichen Sinne des Wortes, also haushälterisch, Einnahmen und Ausgaben in ein sinnvolles Verhältnis zueinander bringend? Davon kann doch in Wahrheit keine Rede sein.

Vielmehr ist der Starkult in unserer "modernen", säkularisierten Gesellschaft ein riesiges vormodernes Monument der Irrationalität, ein Opferstein, vor dem weder nach Kosten noch nach sonstigen Verlusten gefragt wird. Je mehr Verluste, umso besser. Was im aktuellen Starbetrieb passiert, das passierte früher, in "primitiven" Gesellschaften, beim sogenannten "Potlatsch": Die Stämme gerieten plötzlich außer Rand und Band, verfraßen, verschenkten oder zerstörten alles, was sie vorher mühsam an Reichtümern angesammelt hatten, konnten sich gar nicht genug tun im Aufrichten von fratzenhaften Fetischen und Götzenbildern, vor denen sie sich dann im Staube wälzten.

Das Bezahlen und Überbezahlen von Fußballern oder Rennfahrern ist wenigstens insofern noch "rational", als man Sieg oder Niederlage sieht, (passiver) Teilnehmer eines Spiels wird, das Rangordnungen schafft, Hierarchien, Belohnungen für wahrnehmbare Anstrengungen. Doch wie verhält es sich mit jenen Popkonzerten, bei denen bis zur reinen Künstlichkeit zurechtoperierte Monster à la Michael Jackson Töne von sich geben, bei deren Anhörung Tausende von an sich gut erzogenen jungen Mädchen in Hysterie und Ekstase verfallen, sich total gehen lassen, das Proszenium besprenzen und scharenweise in Ohnmacht fallen? Auch hier fließt am Ende viel, viel Geld, ohne daß im mindesten erkennbar würde, für was es ausgegeben worden ist.

Auch hier gibt es natürlich Gewinner, wobei man nicht so sehr an die tönenden Monster selbst denken sollte als an deren Manager und an die vielen Parasiten, die sich um die Monster sammeln. Was früher die Priester waren, die bei den Potlatschs und anderen Verschwendungsorgien ihren schlauen Schnitt machten, das sind heute die Konzertagenten und die Parasiten, vor allem in den Medien. Sie machen Umsatz, sie sind ein Wirtschaftsfaktor. In eine sinnvolle, gar mathematisch berechenbare Ökonomie lassen sie sich dennoch nicht einordnen, ihr Umsatz ist von Moden und anderen kaum einsehbaren tiefenpsychologischen Konstellationen abhängig, die in kein volkswirtschaftliches Seminar passen.

Ein Teil der Starpresse behandelt regelmäßig das Thema "Der Star als Opfer". Da wird das "schwere Los" vieler Stars und Sternchen ausgemalt, der Verlust an Privatheit und Intimität, den sie erleiden müssen, die erfolgsbedingten Trennungen und Scheidungsgeschichten, die Drogenprobleme, auch der Horror, der sich bei ihnen einstellt, wenn sie nicht mehr "in" sind, von den Agenten und den Medien vergessen werden. Das öffentliche Mitleid für solche Schicksale hält sich in Grenzen; man durchschaut die Gemachtheit der Angelegenheit, die Heuchelei und den obszönen Druck auf die Tränendrüsen.

Übersehen wird dabei, daß die modernen Stars in einer gewissen Beziehung tatsächlich Opfer sind, daß sie von der Gesellschaft tatsächlich geopfert werden wie in alten Zeiten jene Jünglinge und jungen Mädchen, die man in manchen Gegenden (man denke an den Minotaurus auf Kreta) regelrecht züchtete, damit sie eines Tages geopfert würden. Man hielt sie gut, verehrte sie wie Götter, privilegierte sie in vielerlei Hinsicht, und wenn man sie zum Opferaltar führte, bekränzte man sie und brachte ihnen Heilrufe dar - aber geschlachtet wurden sie trotzdem.

Später trat der schweißtreibende sportliche Wettbewerb, der "Agon", an die Stelle der blutigen Opferzeremonie. Die Sieger im Sport, die Olympiasieger, wurden nach wie vor ungeheuer gefeiert und bekränzt, Polyklet oder Myron fertigten herrliche Statuen von ihnen, die in den Tempeln aufgestellt wurden, Pindar widmete ihnen Oden, doch geschlachtet wurden sie nicht mehr. Nur ging der Agon oft bis zur totalen Erschöpfung, bis zum Umfallen und zum Infarkt. Ein reines Zuckerlecken war auch das Leben der antiken Sportler nicht.

Das Opfertum der heutigen Stars, auch der singenden und gestikulierenden Popstars, gleicht natürlich viel mehr dem der antiken Sportler als dem der passiven Minotaurusopfer. Je höher sie aufsteigen, umso höher werden die Einsätze in Form von Preisgaben, die manchmal bis an die Grenze der Entmenschlichung reichen. Sie erleiden kompletten Autonomieverlust, gehören nicht mehr sich selbst, müssen das tun und verlautbaren, was das Publikum von ihnen getan sehen und verlautbart hören will. Und es ist ein massenorientiertes, von niederen Instinkten getriebenes, grausames, letztlich gnadenloses Publikum.

Im Gegensatz zu den real geschlachteten Minotaurusopfern von einst gibt es bei den meisten modernen Stars ein Leben nach dem Opfergang, doch es ist - von wenigen Ausnahmen abgesehen - eine Art Zombieleben. Der "Star von einst", auf Shows und Galas mitunter aufgeschminkt und vorgeführt, tapert aus der Kulisse und gibt einige einstudierte Erinnerungsfetzen zum Besten, und der Zuschauer denkt bei sich: "Mein Gott, ist der alt geworden! Da hab' ich mich wohl besser gehalten."

Noch als Zombie leistet der Star Opferdienst. Man kann verstehen, daß er in seiner aktiven Zeit (siehe Oliver Kahn) ungern auf hohe Einkünfte verzichten mag, auch bei leeren Kassen.


 
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