© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002

 
Der lange Kampf um Palästina
Naher Osten II: Die Geschichte der Staatsgründung Israels und die Strategie der Siedlungspolitik
Steffen Königer

Was macht den Staat, die Nation Israel aus? Wie kommt es zu dieser Staatwerdung nach der 2000jährigen Diaspora (Der Flucht des Volkes Israel aus dem Land Judäa) in einem Land, daß mit seinen 20.770 Quadratmetern genauso groß ist wie das Bundesland Sachsen-Anhalt? Orthodoxe Glaubensanhänger befürworten zudem gar keine Inanspruchnahme von Land, da es ihnen zufolge erst ein "Erez Jisrael" (Land Israel) geben kann, wenn der Messias erscheint. Überdies hatte die "Nation Israel" ein einmaliges Merkmal: Mit der Bundeslade, die der Überlieferung nach die Gesetzestafeln des Mose beinhaltet, besaßen die Juden ein "Portatives Vaterland", das sich eben nicht auf einen bestimmten Ort festlegen ließ, und das schon während der überlieferten 40jährigen Wanderschaft der jüdischen Stämme aus Ägypten das Zentrum des jüdischen Glaubens darstellte. Es war der Wille, die lange Suche nach einem eigenen Land endlich zu beenden, der die ersten "Alijas" (Einwanderungswellen) auslöste. Bereits 1882 flohen russische Juden vor Pogromen nach Palästina, gefolgt von der zweiten Alija in den ersten Jahren der Jahrhundertwende (1904 bis 1914).

Walter Laqueur beschrieb in seinem Werk "Der Weg zum Staat Israel. Geschichte des Zionismus" in dreizehn Thesen, daß es keineswegs ein von vornherein festgelegtes Ziel war, durch gezielte Siedlungspolitik ein Land entstehen zu lassen. "Bis zu den dreißiger Jahren hatte die Zionistische Bewegung keine klare Vorstellung von ihrem Endziel. Herzl (Theodor Herzl 1860-1904, Begründer des politischen Zionismus) erklärte, ein jüdischer Staat sei eine Notwendigkeit für die Welt, später sprachen er und seine Nachfolger nur selten von einem Staat, teils aus taktischen Gründen, hauptsächlich jedoch, weil sie keine klare Vorstellung hatten, wie ein solcher Staat entstehen sollte. Zwei Generationen zionistischer Führer ... glaubten, daß Palästina irgendwann einmal jüdisch werden würde, ohne Anwendung von Gewalt oder List, als Ergebnis fortdauernder Einwanderung und Ansiedlung sowie stiller und geduldiger Arbeit."

Nichtsdestotrotz bildete sich nach dem Ende der britischen Mandatsträgerschaft ein Land, dessen Gründer sich in der Hauptsache aus geflohenen Juden des europäischen Holocaust rekrutierten. Die "Vatiqim" (vor der Staatsgründung eingewanderten) fingen schon vor der Proklamation an, ihren Anspruch auf nationale Eigenständigkeit mit der Inbesitznahme von Land zu verdeutlichen.

Der jüdisch-nationale Staatwerdungsprozeß, nach dessen Gründung im Jahre 1948 es zur ersten jüdisch-arabischen, kriegerischen Auseinandersetzung kam, wurde vor allem mit wirtschaftlichen Mitteln betrieben. Im Vordergrund stand der Bodenkauf von lokalen jüdischen Großgrundbesitzern. Vorerst war eine Eroberung mit militärischen Mitteln schon aufgrund des Kräfteverhältnisses zu den umliegenden arabischen Staaten nicht möglich. Die Ausdehnung und Kolonisierung erfolgte so zum allergrößten Teil mittels Spenden. Dieser Boden wurde nicht zu ökonomischen Zwecken benötigt, sondern sollte lediglich als staatliches Territorium zur Verfügung stehen. Noch vor der Proklamation am 14. Mai 1948 bauten Siedler zahlreiche sogenannte Kibbuzim. Meist in Nacht- und Nebelaktionen errichtete man eilig Bretterbuden, die, noch nach Ottonischem Gesetz, am nächsten Tag nicht mehr abgerissen werden brauchten, wenn sie ein Dach trugen. In diesen Kibbuzim, in denen heute nur noch drei Prozent der Israelis leben, gibt es gemeinsam nutzbare Einrichtungen wie Küche, Speisesaal und Wäscherei und keine individuellen Lohnzahlungen - jeder arbeitet für die Gemeinschaft. Nicht zu verachten ist hier die enorme Menge an Kapital, das auch zu diesen Zwecken von den USA zur Verfügung gestellt wurde. Bis 1973 erhielt Israel 18 Milliarden Dollar teils aus staatlichen Fonds, teils aus Spenden.

Zur Festigung der Strukturen des Landes sendete man eindeutige Signale an die Juden, die sich noch in der Welt verstreuten. Bei Rückkehr in das Land erhielten die "Olim" (Juden, die nach der Staatsgründung einwanderten) automatisch die Staatsbürgerschaft und konnten sich niederlassen. Es gab sogar gezielte Aktionen für die Rückholung aus arabischen Ländern wie zum Beispiel die "Operation Esra und Nehemia", bei der 1950/51 mit der Luftwaffe Israels 100.000 Juden aus dem Irak per Luftbrücke eingeflogen wurden. Ähnliches leistete der junge Staat mit der "Operation Zauberteppich" im Jemen.

Die Pälastinenser wurden zum Spielball der Staaten

In direkter Folge kam es zur Flucht und Vertreibung von ungefähr 850.000 Palästinensern in den Libanon, nach Syrien, Jordanien und Ägypten. Große Flüchtlingslager entstanden, von denen bis heute noch einige Bestand haben. In mehreren Wellen flüchteten die Palästinenser und wurden selbst in arabischen Staaten zum Spielball der jeweiligen Staatsführungen. Der Großteil der Palästinenser verblieb im heutigen Westjordanland.

Die aggressive Siedlungspolitik war jedoch nicht zu Ende. Als Israel 1967 im Sechs-Tage-Krieg völlig überraschend Ägypten, Jordanien und Syrien angriff, verlor Israel 700 Mann, die arabischen Staaten 18.000 Soldaten. Die Armee zog sich nicht freiwillig zurück. Nach dem Krieg um den Suez-Kanal, bei dem auch Frankreich und England eingriffen, hatte Israel sich noch dem Druck beugen müssen und seine Truppen nach sechs Monaten von der Sinai-Halbinsel zurückgezogen. Nun besetzte die Armee die Golanhöhen, das Westjordanland, den Gazastreifen und die Sinai-Halbinsel und blieb. Wieder begannen - trotz UN-Resolution (Nummer 242 vom 22. November 1967) - Siedlungen wie Pilze aus dem Boden zu schießen. Nach dem Friedensschluß mit Ägypten verpflichtete sich Israel, sich in zwei Schritten von der Sinai-Halbinsel zurückzuziehen. 1983 war der Rückzug abgeschlossen und alle Siedlungen, die man errichtet hatte, wurden aufgegeben.

Das Kernland, der Hauptzankapfel zwischen den Juden und Palästinensern sind die Stadt Jerusalem und das angrenzende Westjordanland. Hier sind die Siedlungen weit über das Land verstreut, das Israel 1967 besetzte und das bis zum 6-Tage-Krieg als Transjordanien dem Jordanischen Königreich zugeordnet war.

Obwohl Israel nach internationalem Recht dazu verpflichtet war, das zuvor geltende Recht des besetzten Landes beizubehalten, wendete Israel seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen eine komplexe Kombination von jordanischem Recht, britischen Notstandsverordnungen und israelischen Militärerlassen an, um Land, auf dem es seine Siedlungen zu errichten gedachte, zu konfiszieren. Von Anbeginn der Besetzung des Westjordanlandes wurde der größte Teil des Landes per Militärerlaß beschlagnahmt. Die Methoden, nach denen vorgegangen worden ist, sind so einfach wie wirkungsvoll:

- Die Militärbehörden können Land als "gesperrt für militärische und Sicherheitszwecke" erklären.

- Für militärische oder Sicherheitszwecke gesperrtes Land wird nachfolgend oftmals "für militärische Nutzung" requiriert.

- Jegliches Land, das nicht zur Nutzung durch den islamischen "Waqf" (ein treuhänderischer Verwalter islamischer Ländereien) bestimmt oder auf Einzelpersonen eingetragen ist, wird zum Staatsland erklärt.

- Land kann "zur Nutzung durch die Allgemeinheit" enteignet werden.

- Land im Westjordanland wird als "verlassen" bezeichnet, wenn der Eigentümer die Gegend - aus welchen Gründen auch immer - verließ.

Wurde nun Siedlergruppen, die sich vorrangig aus Neueinwanderern, Familien des Mittelstands, jungen Paaren, Arbeitslosen, Religiösen und aus extremistischen Organisationen zusammensetzten, Land zugeteilt, so hatten diese rechtlichen und wirtschaftlichen Sonderstatus. Sie konnten sich mit staatlichen Darlehen ihr Land urbar machen, Häuser bauen und Infrastrukturen festigen. Außerdem unterstehen die israelischen Juden israelischem Recht und können somit bis in die jetzige Zeit nicht von der Autonomiebehörde belangt werden.

Ein weiterer Ansatzpunkt für die Kritik aus den arabischen Ländern sind die Wasserreservoirs, die Israel scheinbar mit Absicht unter seine Autonomie stellte. So sind die Golanhöhen im Norden des Landes nicht nur ein wichtiger strategischer Ausgangspunkt für arabische Agressionen gewesen, sie beherbergen auch eine der wichtigsten Wasserquellen der gesamten Region: den Jordan, der von Israel für die in Teilen sehr intensive Landwirtschaft genutzt wird. Blühende Felder sind der Stolz der Siedler, die Leben in die Wüste brachten. Nur haben manche auch den Hang zur Übertreibung: Es ist für einen Palästinenser schwer einzusehen, warum bei ihm der Wasserhahn oftmals trocken bleibt, während sein in Sichtweite liegender jüdischer Nachbar Reisfelder bestellt. So liefern Uneinsichtige nur einen weiteren Grund, Ablehnung und Haß gegen die Besatzungsmacht zu empfinden.

Ohne Frage bieten die Golanhöhen eine Möglichkeit, das in einer 150 bis 240 Meter unter dem Meeresspiegel gelegenen Siedlungsgebiet der Juden mit Artillerie zu verwüsten. Der wahre Hintergrund dürfte jedoch das nächste Konfliktauslösende Moment für die Region sein: Dem Krieg um das Land, folgt der Krieg um das Wasser.

Besetzte Gebiete mit jüdischen Siedlungen (viele ohne Abbildung): Die gegen das Völkerrecht und zahlreiche UN-Resolutionen verstoßende Siedlungspolitik schafft Tatsachen. Seit 1967 entstanden im Gazastreifen 33, auf den Golanhöhen 44 und im Westjordanland 246 Siedlungen, die oft Ziel von palästinensischen Anschlägen sind. Im Gazastreifen leben 681.000 Araber und 4.000 Juden, auf den Golanhöhen 145.000 Araber und 14.000 Juden und im Westjordanland 1,4 Millionen Araber und 95.000 Juden.


 
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