© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002

 
"Die Ernte wird Bitternis sein"
Der ehemalige israelische Außenminister Shlomo Ben-Ami über die Krise in Palästina und die internationale Kritik an Israel
Moritz Schwarz

Herr Professor Ben-Ami, Israel hat als Reaktion auf die schlimmste Serie von Selbstmordattentaten, die Ihr Land je erlebt hat, die wichtigsten Städte des Westjordanlandes besetzt und die palästinensische Autonomiebehörde quasi zerschlagen. Ist das der Beginn eines neuen Nahostkrieges?

Ben-Ami: Ich hoffe nicht, aber in der Tat ist die Lage wirklich ernst.

Gemäß der dem Prinzip der Eskalation innewohnenden Logik steuert Ihr Land geradewegs in einen neuen Krieg.

Ben-Ami: Es liegt nicht im Interesse Israels, die Situation eskalieren zu lassen, in unserem Interesse liegt es vielmehr, die Eskalation einzudämmen. Daß das derzeit nicht gelingt, ist zu einem großen Teil auch die Schuld der internationalen Gemeinschaft.

Das klingt allerdings nach einer Ausrede.

Ben-Ami: Lassen Sie mich erklären: Die internationale Gemeinschaft ist mit einer Verurteilung Israels schnell zur Hand, wenn wir einmal von der Legitimität des internationalen Rechtes abweichen. Wir haben unsere Truppen 2000 in voller Übereinstimmung mit den Vereinten Nationen aus dem Libanon zurückgezogen, die Grenze wurde auf den Millimeter genau von den Emissären Kofi Annans festgelegt. Nun verletzten die Libanesen die Grenze - wo bleibt da die Einmischung der internationalen Gemeinschaft? Das ist das Problem, da€ wir Israelis mit der internationalen Gemeinschaft haben: Dieselbe internationale Gemeinschaft, die erwartet, da€ wir Ihre Kritik an uns gefõlligst ernstnehmen, wenn wir einmal die internationalen Konventionen verlassen, schweigt, wenn dieses Unrecht uns Israelis betrifft.

Wie reagieren die Israelis auf die Kritik aus Europa?

Ben-Ami: Die Menschen hier sind von den Europäern in hohem Maße enttäuscht. Besonders darüber, daß die Europäer keinen Blick für die Komplexität des Konfliktes haben und sich offenbar überhaupt nicht in die schwierige Situation der Israelis hineinversetzen können.

Die Europäer haben zu wenig Verständnis für die existenzielle Bedrohung, in der sich Israel trotz seiner militärischen Stärke befindet?

Ben-Ami: Genau so ist es.

Die Tatsache, daß Israel eine starke Armee hat, verleitet die Europäer zu dem unterschwelligen Gefühl, es sei "unfein", diese gegen die schwächeren Palästinenser einzusetzen.

Ben-Ami: Wie sollen wir sonst reagieren? Wenn Sie ein Hund beißt, beißen Sie ihn dann zurück? Wenn die Palästinenser uns mit Selbstmordattentätern terrorisieren, sollen wir dann unsererseits Bomben in palästinensischen Restaurants und Einkaufsstraßen legen? Unser Instrument, uns zu verteidigen, ist unsere Armee. Im Augenblick der Wahrheit setzen wir sie zu unserem Schutz ein und schicken nicht unsererseits Selbstmordattentäter unter die Palästinenser. Für die Europäer ist es leicht, Israel zu kritisieren und manchmal geschieht dies sogar mit einem antisemitischen Unterton.

Sie setzen Kritik an Israel mit Antisemitismus gleich?

Ben-Ami: Nein, überhaupt nicht. Aber wenn wir unseren Blick nach Europa wenden, sehen wir sehr häßliche Dinge, denken Sie an die brennenden Synagogen in Frankreich. Wir wünschen uns nur - lassen Sie mich das noch einmal wiederholen - in Europa mehr Bewußtsein für die Komplexität unserer Probleme. Europas Stimme könnte in Israel so viel mehr Gewicht haben, wenn Ihr Europäer, da wo es angebracht ist, euch auch einmal gegen die Palästinenser stellen und sie mit einigen grundlegenden Wahrheiten konfrontieren würdet. Statt dessen lõ€t die europõische Kritik an den Palõstinensern die der Kritik an uns Israelis entsprechende Schõrfe regelmõ€ig vermissen.

Tatsächlich steht Europa bekanntlich im Zweifel auf der Seite Israels. Vielleicht resultiert aus einem schlechten Gewissen wegen dieser Parteilichkeit eine gewisse Zurückhaltung gegenüber den Palästinensern.

Ben-Ami: Lassen sie mich ein banales Beispiel nennen: Angeblich erwägen die Mitglieder des Nobel-Kommittees in Norwegen die Aberkennung des Friedensnobelpreises für Shimon Peres. Was aber ist mit Arafat? Diesbezüglich macht man sich in Norwegen offenbar keine Gedanken. Wenn wir Israelis so etwas hören, dann fragen wir uns wirklich, was sich die Europäer denn dabei eigentlich denken.

Auch die USA kritisieren mittlerweile Israel.

Ben-Ami: Ja, aber der Grund, warum die Kritik der USA einen viel größeren Einfluß in Israel hat, liegt nicht nur darin, weil sie uns mit Waffen unterstützen, sondern weil sie mitunter gegenüber Arafat auch mal die Dinge beim Namen nennen. Das gibt den USA dann auch die moralische Position, uns zum Rückzug aus den Autonomie-Gebieten aufzufordern.

Dann sehen Sie diese Aufforderung als berechtigt an?

Ben-Ami: In der Tat ist das nicht die richtige Zeit für Schuldzuweisungen, sondern nun ist es vor allem wichtig, sich zu fragen, wie die gegenwärtige Krise so schnell wie möglich beendet werden kann. Ich hoffe sehr, daß, was die Krise im Norden unseres Landes angeht, internationaler Druck auf den Libanon und Syrien die Situation dort unter Kontrolle halten wird. Was die Krise um die Palästinenser-Gebiete angeht, möchte ich klarstellen, daß ich von Anfang an, auch im Parlament, gegen die Politik der Invasion gewesen bin.

Allerdings konnte sich Israel doch kaum noch länger diese Serie von Bombenattentaten bieten lassen.

Ben-Ami: Natürlich, Israel war gezwungen, irgendeine Art militärischer Antwort zu geben. Keine Regierung der Welt hätte es sich leisten können, auf eine solche wahnsinnige Welle der Gewalt, wie wir ihr in den letzten Wochen ausgesetzt waren, nicht zu reagieren. Aber auf der anderen Seite hat die laufende Militäroperation "Schutzschild" nicht die geringste politische Perspektive, und deshalb wird sie am Ende auch rein gar nichts erreichen.

Immerhin erlaubt sie, einer Reihe von angeblichen Terroristen habhaft zu werden.

Ben-Ami: Man muß begreifen, daß die Infrastruktur des Terrors keine physische ist. Sie mag zwar auch physische Elemente haben, aber in erster Linie besteht sie aus einer bestimmten Geisteshaltung. Denn tatsächlich stellt sie vor allem eine Zurückweisung der israelischen Besatzung dar - das muß man verstehen, das muß unsere Regierung verstehen! Wir müssen einen Weg aus dieser Krise finden, aber dieser Weg kann nicht mit Waffengewalt gebahnt werden, sondern nur durch eine politische Initiative.

Sie sprechen, als gebe es den gescheiterten Friedensprozeß nicht. Sie haben zuvor selbst bestätigt, daß kein Land der Welt eine solche Serie von Terrorangriffen einfach hinnehmen könne. Wie soll denn die politische Alternative aussehen, von der Sie sprechen?

Ben-Ami: Ich versuche zu erklären, daß wir gar keine Wahl haben. Das Fatale ist, daß wir zwar einerseits zu einem militärischen Gegenschlag gezwungen waren, andererseits aber überhaupt jede Art von militärischer Reaktion unzulänglich ist - und zwar mit Blick auf unsere eigenen Sicherheitsinteressen. Denn eine Staatsmacht hat gegen eine Nationalbewegung grundsätzlich kein wirksames Mittel zur Abschreckung. Eine Staatsmacht kann eine andere Staatsmacht abschrecken, sie kann eine reguläre, organisierte Armee abschrecken, aber niemals ein System wie das, über welches Arafat verfügt, dessen einziges Ziel es ist, die Situation zu destabilisieren. Militõrische Reaktionen m÷gen auf eine solche Herausforderung unvermeidbar sein, aber sie sind immer auch aussichtslos. Das mag paradox klingen, aber so ist es.

Aber woher soll die politische Initiative kommen, angesichts des eben offenbar werdenden Scheiterns einer politischen Lösung zwischen Juden und Arabern?

Ben-Ami: Die internationale Gemeinschaft unter der Führung der Vereinigten Staaten muß eine Plattform für den Frieden bilden.

Muß eine Friedensinitiative nicht von den Streithähnen selbst ausgehen, wenn sie eine Chance haben soll, später auch verwirklicht zu werden?

Ben-Ami: Nein, es gibt keine Aussicht, jemals noch zu einer bilateralen Übereinkunft zu kommen. Wir müssen zu den Grundsätzen der Initiative Präsident Clintons zurrückkehren. Diese Grundsätze widersprechen in keiner Weise den Grundsätzen der saudischen Initiative, sie ergänzen sich sogar. Dies könnte die Plattform für den Frieden sein, die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durchgesetzt werden muß, um zu einer vernünftigen Lösung des Konfliktes zu kommen. Die Parteien, Palästinenser und Israelis, müssen auf eine internationale Konferenz geladen werden, wo sie unter der Vermittlung der USA, Europas, Ru€lands und der wichtigsten arabischen Staaten zu einem Ergebnis kommen müssen.

Friede ohne den Willen der Beteiligten?

Ben-Ami: Vergessen Sie das. Wir haben alles getan, was wir tun konnten, schalten Sie den Fernseher ein, und sehen Sie sich das Ergebnis an.

Wie soll ein solcher Friede von außen stark genug sein, um zu bestehen?

Ben-Ami: Es ist schlicht die letzte Hoffnung - entweder wird eine internationale Konferenz eine Lösung finden, oder es wird überhaupt keine Lösung geben.

Weshalb legen Sie so großen Wert auf die Europäer, von denen Sie doch so enttäuscht sind?

Ben-Ami: Wir brauchen die Europäer, denn ein Pax Americana funktioniert im Nahen Osten nicht. In Palõstina hat nur ein international garantierter Friede eine Chance. Aber ich m÷chte Ihnen einen weiteren Grund nennen, warum wir uns hier einen internationalen Frieden wünschen: Weil wir auch einem etablierten Palõstinenserstaat nicht trauen. Arafat hat keinen geordneten, sondern einen chaotischen Staat aufgebaut û schon morgen k÷nnte er von den Extremisten der äHamasô oder des äIslamischer Heiliger Kriegô beherrscht werden. Werden sie wirklich die Friedensvereinbarungen respektieren?

Welche Rolle wird Jassir Arafat in Zukunft noch spielen?

Ben-Ami: Arafat wird auch in Zukunft der Führer der Palästinenser sein.

Wird Ariel Scharon akzeptieren, daß Arafat der Führer der Palästinenser bleibt?

Ben-Ami: Scharon ist nicht derjenige, der das zu entscheiden hat. Die internationale Gemeinschaft sieht in Arafat einen Partner, was bleibt uns also übrig, als ihn auf einer solchen Konferenz zu akzeptieren. Wahrscheinlich habe ich mehr gegen Arafat einzuwenden als Scharon, aber es ist nicht unsere Entscheidung, zu bestimmen, wer der Vertreter der Gegenpartei ist.

Dennoch kritisieren Sie Arafat?

Ben-Ami: Ich lehne den Arafat-Romantizismus der Europäer völlig ab, man hat manchmal den Eindruck, ihr verwechselt Arafat mit Mutter Theresa.

Tatsächlich war Arafat einst auch ein Terrorist.

Ben-Ami: War? Das ist er heute noch!

Ist das nicht politische Rhetorik, denn wenn Sie ihn wirklich dafür halten würden, müßten Sie ihn liquidieren - aber sogar Scharon gewährt ihm freien Abzug.

Ben-Ami: Nein, Arafat ist tatsächlich ein Terrorist, weil er den Terrorismus als strategische Waffe nutzt. Aber er ist eben auch der Führer der Palästinenser. Wir Israelis sind wegen seiner Doppelrolle nicht in der Lage, mit ihm eine verläßliche Übereinkunft zu erzielen, deshalb müssen wir uns auf eine Initiative von dritter Seite verlassen.

Mann muß Israel vorwerfen, daß es eine echte Unabhängigkeit der Autonomiebehörde nie zugelassen hat. Letztlich mußte die Behörde vielen Palästinensern doch wie der verlängerte Arm der israelischen Besatzungsherrschaft erscheinen.

Ben-Ami: Das ist in der Tat richtig, doch die Schuld dafür sehe ich zu gleichen Teilen auf unseren Schultern, wie auf denen der Palästinenser lasten. Beide Seiten haben schwere Fehler gemacht: wir durch unseren Siedlungsbau und sie, indem sie den Friedenswillen in Israel durch Terroranschläge zerschmettert haben. Beide haben wir den Friedensprozeß auf dem Gewissen. Dies ist kein Kampf des Guten gegen das Böse, hier gibt es Recht und Unrecht auf beiden Seiten. Deshalb ist es jetzt auch nicht an der Zeit, eine Liste der Vergeltung zu erstellen, sondern endlich eine L÷sung zu finden.

Müßte Ihre Partei Premierminister Scharon nicht unter Druck setzen, um dessen Politik der Intervention zu beenden?

Ben-Ami: Meine Partei verhält sich, offen gesagt, schlicht verantwortungslos. Ich habe mich von Anfang an gegen unsere Beteiligung an dieser "Regierung der nationalen Einheit" ausgesprochen, und der Einfluß der Arbeitspartei in der Regierung ist ja auch gleich Null.

Statt auf die Arbeitspartei politisch zuzugehen, hat Scharon am Montag zwei national-religiöse Parteien in die Koalition aufgenommen.

Ben-Ami: Ein weiterer Grund, die Koalition zu verlassen! Statt dessen sollte die Arbeitspartei die Menschen in Israel für eine Friedensalternative mobilisieren.

Wird die Arbeitspartei die Koalition verlassen, wenn sich die Lage noch weiter zuspitzt?

Ben-Ami: Ich befürchte, da wird sich wenig rühren, denn es ist eine allgemeine menschliche Schwäche, daß weiche, sichere Ministersessel nur ungerne verlassen werden.

Es droht die Verquickung mit einer weiteren Krise: Würde die Mehrheit der Israelis einen Angriff der USA auf den Irak begrüßen?

Ben-Ami: Ich glaube, daß ein Angriff auf den Irak gar nicht möglich ist, solange sich die israelisch-palästinensischen Verhältnisse in solch einer Situation befinden, denn die USA brauchen für einen Angriff die Zustimmung der wichtigen Vertreter der arabischen Welt.

Selbst wenn Scharon die Truppen morgen zurückzöge, haben Terror und Invasion nicht bereits auf Jahre hinaus die psychologische Grundlage für den Frieden zerstört?

Ben-Ami: Diese Invasion ist letztendlich nichts weiter als eine große Aussaat des Terrorismus, denn sie bereitet in der Tat dem Haß und der Verzweiflung nur neuen Boden. Die Ernte wird Bitternis sein.

 

Prof. Dr. Shlomo Ben-Ami geboren 1943 in Marokko, wanderte er 1955 nach Israel aus. Er studierte Geschichte in Tel Aviv und Oxford. Seit 1996 sitzt er für die Arbeitspartei im Parlament. Gegenwärtig ist er Mitglied im Verteidigungs- sowie im auswärtigen Ausschuß. Bis März 2001 war er als Außenminister Vorgänger von Shimon Peres, davor Minister für innere Sicherheit unter Premierminister Ehud Barak.

 

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