© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002


Debatte um die Wehrpflicht
Wer dient eigentlich noch?
Dieter Stein

Ich erinnere mich durchaus gerne an meine Wehrdienstzeit zurück. Nach dem Abitur im Schwarzwald ging es am 1. Juli 1988 nach Lüneburg in die Theodor-Körner-Kaserne.

Ein durcheinandergewürfelter Haufen, überwiegend aus der Lüneburger Heide, Uelzen, Hannover und Hamburg, war zusammengekommen: ein Abiturienten-Quartal. Da es eine Einheit war, die sich in der Tradition der Kavallerie verstand (ein springender Reiter als Bataillonsabzeichen), kam ein Teil aus "besserem Hause", mit "von und zu", Seidenhalstuch, Barbour-Jacke, Cordhose und hochgezogener Augenbraue. Eine Handvoll Spätgezogener, darunter ein Ex-Häftling und ein langhaariger Hippie, der die Verweigerung nicht hingekriegt hatte, rundeten das Bild ab.

Beim ersten Antreten: unbeholfenes Herumstehen, letzte Versuche von arrogantem Aufbegehren. Es war ein Genuß, wie die rauhbeinigen Ausbilder den in Markenklamotten angetretenen Schnöseln entgegentraten und der Nachwuchsintelligenz mit minimalem Vokabular zeigten, wo es lang geht. Letzte Versuche, die in jahrelangem Besuch höherer Schulen eingeübte Endlosdebatten nun auf den Sinn von "Gemeinsamem Ausdauertraining" (GAT) im Panzerkombi bei Regen auszudehnen, scheiterten kläglich. Und nach einigen Wochen entstand Kameradschaft selbst zwischen Freiherrn von Rosen und dem Ex-Knacki aus Bleckede.

Da Einzelkinder zur Regel werden, ist es bei der Bundeswehr oft das erste Mal, daß sich manche mit anderen auf engstem Raum zu arrangieren lernen.

1988 betrug die Wehrdienstdauer noch 15, heute sind es neun Monate. Auch diese Monate sind eine Zeit, in der dem einzelnen bedeutet wird, daß es eine Gemeinschaft gibt, die einem nicht nur Rechte garantiert, sondern gegenüber der man auch Pflichten hat. Eine Gemeinschaft, der man zu dienen hat, jeder einzelne. Und für die man auch sein Leben gibt, wenn diese Gemeinschaft von außen bedroht ist.

Dieser Sinn soll nun in der aktuellen Debatte über die Wehrpflicht in Frage gestellt werden. Richtig ist, daß die Wehrgerechtigkeit eine Farce ist, wenn nur noch jeder siebte Wehrpflichtige tatsächlich eingezogen wird. Das fördert das Bewußtsein, sich stets im Leben durchmogeln zu können, sich um Dienste drücken zu können.

Es ist deshalb ein bedenkenswerter Vorschlag, die Bundeswehr in einen professionellen Teil, der überwiegend aus Berufssoldaten bestückt wird, und einen zweiten Teil aufzusplitten, einer Art Heimatschutz, der überwiegend mit Wehrpflichtigen bedient wird. Wichtig dabei ist, daß überhaupt jeder dienen muß. Und wenn es dafür in der Bundeswehr nicht ausreichend Aufgaben gibt, dann eben beim Technischen Hilfswerk oder beim Roten Kreuz. Jeder sollte einmal in seinem Leben Dienst geschrubbt haben, ohne zu fragen: "Was bekomme ich dafür?"

Wenn die Allgemeine Wehrpflicht abgeschafft wird, muß eben eine allgemeine Dienstpflicht eingeführt werden, notfalls für Männer und Frauen.


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