© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/02 05. April 2002


Hallenbadreport: Züchtiger geht es nicht
Der Sprung ins leere Becken
Angelika Willig

Im Sommer ist die schönste Zeit für Hallenbäder. Nur noch ein paar Wochen und die Massen werden wieder an den Kassen der Freibäder Schlange stehen, um den zuvor aufgetragenen Ölfilm gleichmäßig auf dem Wasser zu verteilen und große Mengen Pommes Frites mit Eis und Sahne in sich hinein zu schlingen. Dann leeren sich die Hallen zwar kaum, doch nehmen sie im Vergleich mit den grauenhaften Freibadbildern geradezu exklusiven Charakter an. Ein Hallenbader geht nicht ins Freibad, und wenn es 30 Grad sind. Dann steckt er lieber zu Hause die Beine in kaltes Wasser.

Einen kritischen Blick auf die Spezies des gemeinen Freibadbenutzers haben wir Ellen Kositza zu verdanken (JF 35/01). Diesmal ist das Gegenstück an der Reihe. Der Zug zum Wasser ist nahezu allen Menschen eigen, was sich an dem stetigen Bedürfnis nach Strandurlaub zeigt. Einst kamen wir aus dem Wasser, und da wollen wir auch wieder hin. Es ist eine elementare Sehnsucht - doch im "Wie" zeigt sich das kulturelle Niveau. Während kindliche Naturen wie unser Verteidigungsminister sich beim Plantschen wunschlos glücklich fühlen, schwimmen andere mit militärischer Disziplin ihre vorgeschriebenen Bahnen. Das Hallenbad hat Sinn nur für Spartaner; nebeneinander herschwatzende Damen und springende Kinder wirken störend und werden mit bösen Blicken bedacht. Beim Schwimmen will der Schwimmer möglichst ungestört sein. Ähnlich wie der Langläufer möchte er seinen Gedanken Gelegenheit geben, den durch Endorphinausstoß ermöglichten Höhenflug anzutreten. Doch leider, kaum daß man sich auf die nächste Seminararbeit oder die Vernichtung des Konkurrenten konzentriert hat, kommt einem dieser fette Glatzkopf in die Quere, und man muß sich schnellstens mit der Frage beschäftigen, ob ausweichen und wenn ja, wohin. Man kann es nicht anders sagen: Die meisten Schwimmer sind höfliche, zivilisierte Menschen. Doch auch unter Zivilisierten ist es unangenehm, einen relativ beengten Raum zu teilen. Und man glaubt ja gar nicht, wie viel Platz ein Mensch einnimmt, wenn er die Gliedmaßen von sich streckt - was beim Brustschwimmen unvermeidlich ist. Da zieht man an einem Kameraden vorbei und denkt schon gar nicht mehr an dessen Existenz, schon stößt der eigene Fuß gegen etwas Lebendiges - es kann nur die äußerste Spitze des umschifften Hindernisses sein. Die Erfahrung des Menschen als eines Gegenstands im wahrsten Sinne des Wortes ist auch bei anderen Gelegenheiten zu machen, zum Beispiel im überfüllten Vorraum eines Kinos oder auf den Gängen vollbesetzter Züge. In öffentlichen Verkehrsmitteln tritt der Effekt erst beim Aussteigen ein, bis dahin sind die Fahrgäste - ähnlich wie die Teilnehmer von Massenveranstaltungen - von einem gemeinsamen Interesse und daher von Sympathie getragen. Aus diesem Grund wünscht man es sich, daß alle im gleichen Rhythmus und gleicher Geschwindigkeit schwämmen, dann nämlich ergäbe sich trotz vieler Leute kaum ein Konflikt. Stattdessen kehren sich aber die Individualitäten bei manchen gar zu deutlich hervor. Obwohl sie sicher schneller könnten, "stehen" die Karpfen nahezu bewegungslos im Wasser und versperren den Durchgang. Während andererseits die Forellen im Kraulstil natürlich schneller sind, als Brustschwimmer je sein können, und vor sich rechts und links alles zur Seite fegen. In manchen Bädern hat man für solche Exemplare bereits eigene Bahnen eingerichtet. Am schlimmsten sind die Schollen, die sich platt auf den Rücken legen und leise mit den Flossen schlagend dahintreiben, bis sie an ein Hindernis prallen.

Ob Sonne oder Regen, morgens um sieben sammelt sich vor dem städtischen Hallenbad eine kleine Traube von Disziplinierten, die sich vom Freibad-Fettwanst deutlich abhebt. Allerdings sind die Herrschaften gern etwas älter. Die Auffassung, daß alte Menschen nicht mehr so viel Schlaf brauchen, erfährt hier ihre Bestätigung. Die anderen kommen vor Arbeitsbeginn. Von Siegfried Unseld hört man, daß er täglich schwamm, bevor er den Verlag aufsuchte. Trotzdem sind nicht alle, die ins Hallenbad gehen, Verleger oder ähnlich illustre Persönlichkeiten. Die soziale Zusammensetzung des Publikums bleibt weitgehend ein Rätsel. Anders als im Freibad, wo der Liegeplatz mit Nahrungsmitteln, Büchern und Zeitschriften, Behältern aus mehr oder weniger anspruchsvollen Materialien schon einigen Stoff liefert, bleibt hier alles dezent verschlossen und die Kennzeichnung auf eine schnell im Wasser verschwindende Badekleidung reduziert. Einmal abgesehen vor der kleinen Galerie häßlicher Gummischuhe, die sofort zur Assoziation mit Fußpilz führt.

Neben dem privaten Vergnügen sind Hallenbäder auch ein Politikum. Das merkt man gerade mit schmerzlicher Deutlichkeit, da viele geschlossen, die Preise bei den übrigen kräftig angehoben werden sollen. Der Privatmensch steht vollkommen ratlos. Für Besserverdienende gäbe es zwar die Alternative der Hotelschwimmbäder, doch wer noch einigermaßen beweglich ist, dem sind die exklusiven Becken einfach zu klein. Der große Swimmingpool ist aber den Millionären vorbehalten, denn der ist richtig teuer - darum die öffentliche Sparmaßnahme. Früher hat man das Wasser nur alle paar Tage gewechselt und mit viel Chlor die Hygiene einigermaßen aufrechterhalten. Nach Chlor riecht es inzwischen nicht mehr, nur einen zarten Duft nach Sauberkeit kann der Schwimmer noch Stunden später auf der Haut wahrnehmen. Das hat alles seinen Preis. Auch das zahlreiche Badepersonal will besoldet sein. Ein Ertrinkender wird zwar ziemlich selten vorkommen, aber wachsam sein heißt es gegenüber sexuellen Belästigungen oder üblen Sitten wie der, ungeduscht ins Wasser zu tauchen, außerdem wird man nicht einen Bademeister allein hinstellen können, bei dem ereignisarmen Job braucht jeder mindestens einen zur Unterhaltung. Dafür ist das Schwimmen bis dato wirklich preiswert. Eine kleine Erhöhung wäre zu verkraften - aber doch nicht diese angebliche Einsparung.

Da predigen die Krankenkassen seit Jahr und Tag, wieviele Kosten durch ein "gesundheitsbewußtes Leben" einzusparen wären, und die Sportmediziner erklären das Schwimmen für einen idealen Ausgleichssport. Doch der Staat kennt offenbar höhere Rücksichten. Es ist zuzugeben, daß die deutsche Jugend an zunehmender Verfettung leidet - aber ist das nicht besser, als wenn sie "hart wie Kruppstahl und zäh wie Leder" geblieben wäre? Sicher befürchten die Politiker, durch zu viele Schwimmbäder und zu niedrige Eintrittspreise den Rechtsextremismus zu befördern. Das fängt schon mit der ethnischen Homogenität der Besucher an. Zwar ist die Badeordnung vielerorts auch in türkischer Sprache ausgehängt, doch kommen die ausländischen Jugendlichen fast nur im Rahmen des schulischen Schwimmunterrichts. Ältere Migranten meiden die Hallenbäder ganz. Die Schließungen richten sich also gezielt gegen die deutsche Bevölkerungsgruppe und stellen daher einen Akt der Humanität dar. Das Argument der "Volksgesundheit" gegen die Schließungen anzuführen, entlarvt nur die wahren Motive der Hallenbadfraktion.

Weiter ist nicht zu bestreiten, daß der Sprung ins kalte Naß eine gewisse Überwindung kostet. Selbstüberwindung aber ist der erste Schritt zur Aggression. Schließlich steht vor dem Stadtbad Berlin-Wilmersdorf trotz Protesten immer noch die lebensgroße Bronzeplastik mit Breker-Body und Badekappe - damit auch jeder sieht, wo der Hase hinläuft. Keiner will bestreiten, daß viele Schwimmbadbesucher harmlose und sogar anständige Bürger sind, die unter den Maßnahmen unschuldig leiden. Doch ohne Opfer ist der Kampf gegen Rechts nicht zu gewinnen.


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