© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/02 05. April 2002

 
Die fatale Überzeugung militärischer Unfehlbarkeit
Bernhard Zürner beleuchtet die inkonsequente Linie Hitlerscher Kriegsführung
Baal Müller

Bernhard Zürner, der vor zwei Jahren bereits mit seinem Buch "Der verschenkte Sieg" über den "Urplan Barbarossa" bekannt wurde, hat in seinem neuesten Werk nun die Ergebnisse seiner jahrzehntelangen Forschungen zum Zweiten Weltkrieg vorgelegt: "Hitler - Feldherr wider Willen?" begnügt sich weder mit einer bloßen Schilderung der Kriegsereignisse, noch ist es eine neue psychologisierende Hitler-Biographie; Zürner macht vielmehr den bislang einzigartigen Versuch, Hitlers strategische Leistungen und Fehler sowohl aus seiner Persönlichkeitsstruktur wie auch aus seinem stets äußerst gespannten Verhältnis zur Wehrmachtgeneralität herzuleiten.

Keiner der beiden beständig konkurrierenden Seiten werden pauschal alle Erfolge und Mißerfolge zugeordnet; statt dessen beschreibt Zürner Kapitel für Kapitel die wichtigsten militärischen Operationen in ihrer jeweiligen Besonderheit und charakterisiert den Strategen Hitler so nüchtern, wie es ihm die Abneigung gegen den Politiker Hitler erlaubt.

"Feldherr wider Willen" ist eine Selbstzuschreibung Hitlers, die nichts über die Ursachen des Krieges aussagt, sondern allein seine Führbarkeit in den Augen des obersten Kriegsherrn beschreibt: Hitler sah sich gezwungen, die operative Planung so weit wie möglich selbst in die Hand zu nehmen, da er seinen Generalstab für zu zögerlich und zu sehr in einem militärischen Denken befangen hielt, das sich bereits in den Stellungskriegen und Materialschlachten des Ersten Weltkriegs als überholt erwiesen habe. Tatsächlich schienen ihm die Erfolge der ersten Kriegsjahre Recht zu geben: Unorthodox setzte er sich über die Bedenken der Fachleute hinweg, verfolgte eine schnelle und bewegliche Kriegführung mit wendigen Täuschungsmanövern und überraschenden Operationen, unter Ausnutzung der jeweiligen Schwächen des Gegners und geschicktem Einsatz sich ergänzender Waffengattungen. Er entwickelte den Sichelschnitt-Plan, der später oft Erich von Manstein zugeschrieben wurde und warf damit Frankreich in sechs Wochen nieder. Gerade diese anfänglichen Erfolge des militärischen Laien, die selbst seine entschiedensten Gegner sprachlos machten und ihren Widerstand lähmten, wurden Hitler jedoch zum Verhängnis: Sie nährten in ihm die fatale Überzeugung seiner strategischen Unfehlbarkeit, die sich beim Ostfeldzug noch mit dem rassenideologischen Wahn grundsätzlicher Überlegenheit verband, und ließ ihn nicht mehr zwischen berechtigten und unberechtigten Vorbehalten der Experten unterscheiden. Von seinem ungeheuren Willen getrieben, schwankte er zwischen der Illusion totaler Machbarkeit und Anfällen tiefster Depression, in denen er innovative und als richtig erkannte Pläne zugunsten konventionellerer Vorstellungen des Generalstabs aufgab, um sie später unter veränderten Bedingungen dann doch durchsetzen zu wollen. Besonders deutlich zeigt sich dies nach Zürner in seinem "Urplan Barbarossa", der 1941 einen schnellen Zugriff auf die sowjetischen Ölquellen im Kaukasus vorsah, dann aber wegen der Moskau-Offensive vernachlässigt wurde. Nach deren Scheitern sah Hitler seine ursprüngliche Strategie bestätigt und griff sie im folgenden Jahr wieder auf, als es aufgrund gewaltiger sowjetischer Truppenmassierungen jedoch schon längst zu spät war. Ähnliches wiederholte sich 1944 bei den Abwehrmaßnahmen gegen die amerikanische Landung in Frankreich: Hitler vermutete zunächst richtig, daß sie in der Normandie erfolgen werde, schwenkte dann ohne rechte Überzeugung zur Auffassung der Generale um, die einen Angriff bei Calais erwarteten, um ihn dann schließlich mit geteilten Kräften an beiden Orten nicht mehr abwehren zu können. Rationale Planung wechselt mit zwanghafter Besessenheit, plötzliches Einknicken folgt auf unbedingtes Wollen: Hitler wird zum Sklaven eines Willens, der Unmögliches möglich machte und dabei zuletzt das Wirkliche vergaß.

Bernhard Zürner: Hitler - Feldherr wider Willen? Vowinckel Verlag, Stegen a. Ammersee 2001, 360 Seiten, 25,30 Euro


 
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