© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/02 05. April 2002

 
Betrachtungen des Halbmondes
Bassam Tibi und Bernhard Maier öffnen weitere Fenster zum Verständnis einer großen Weltreligion
Wolfgang Saur

H eute ist die Kenntnis über den Islam, seine Grundlagen und Geschichte, seine Völker und Kulturen zu einem Desiderat für jeden von uns geworden, findet die Begegnung mit Muslimen in einer globalen Welt doch allenthalben statt, allerdings nicht immer friedlich und konstruktiv. Um aus dem banalen anything goes der Multikultur zu einem wirklichen interpersonalen und -kulturellen Dialog zu kommen, benötigen wir aber vor allem intelligente, die hektischen Verkürzungen des Augenblicks konterkarierende Informationen.

Es sind in den letzten Jahren brauchbare Handbücher erschienen, die sich auf den Islam als ganzes beziehen, so etwa bei Herder und Beck. Jetzt hat der Kröner-Verlag mit gewohnter Perfektion ein eigenes Koran-Lexikon publiziert, das die islamkundlichen Nachschlagewerke dankenswert ergänzt. Der in Bonn lehrende Religionswissenschaftler Bernhard Maier erschließt in über 400 sorgfältig erarbeiteten Artikeln die heilige Offenbarungsschrift der Muslime und behandelt systematisch deren Voraussetzungen und historisches Umfeld, die koranische Theologie, Frömmigkeit und Ethik, schließlich sämtliche Orts- und Personennamen der koranischen Heilsgeschichte und deren biblische Entsprechungen. Dazu treten Kommentare zur Aufzeichnung und Überlieferung sowie zu den Propheten-Worten (Hadit, Sunna), Porträts ausgewählter islamischer Denker und Mystiker und zahlreiche biographische Würdigungen europäischer Gelehrter aus der Forschungsgeschichte der Orientalistik. Glossar und wertvolle Bibliographien runden das kleine Kompendium ab, das man dem Laien als unverzichtbare Hilfe bei der Koranlektüre und dem Fachmann für seinen wissenschaftlichen Handapparat wünschen möchte.

Die islamische Geschichte läßt sich nach drei großen Imperien strukturieren: Auf die erste, kriegerisch-expansive Dynastie der Omaiyyaden (661-750) in Damaskus folgte das "goldene Zeitalter" der Abbasiden (750-1258) mit ihrer Residenz Bagdad; diese kulturelle Blüte erlischt im Mongolensturm, doch ab 1300 bauen die Osmanen ein neues Universalreich auf. Im 16. Jahrhundert ist das Mittelmeer islamisch dominiert, doch beginnt der türkische Niedergang schon im Jahrhundert darauf. Parallel zur politischen Stagnation und kulturellen Defensive vollzieht sich die europäische Expansion, bis zum Höhepunkt des Kolonialismus um 1900 und zur atlantischen Globalisierung in unseren Tagen. Die Geschichte hat also im Zusammenleben und Widerstreit von Christentum und Islam einander folgender Paradigmen universaler Ordnung erlebt: die islamische Expansion wurde von der europäisch-amerikanischen abgelöst. Die Frage also, "wie es zu der zeitgenössischen Situation unserer Welt gekommen ist", führt so zurück auf die islamische Geschichte, die stets "von weltweiter Bedeutung" war und deshalb als "ein wesentliches Element für die Gestaltung der Menschheit studiert werden sollte" (Hodgson).

Diese Problematik treibt auch Bassam Tibi um, den temperamentvollen, in Göttingen und Harvard lehrenden Politologen und Islamexperten. Der umtriebige Mann hat jetzt zum Thema eine programmatische Abhandlung verfaßt, die sich anschließt an seine Bücher "Kreuzzug und Djihad" (1999) und "Der Islam und Deutschland - Muslime in Deutschland" (2000). Seine "Einladung in die islamische Geschichte" ist ein flammendes Plädoyer für die Errichtung islamhistorischer Lehrstühle hierzulande, die es schon seit geraumer Zeit in den USA gibt. Diese Aufgabe wird traditionell von der Islamkunde wahrgenommen, in der allerdings Philologie und Religionswissenschaft dominieren.

Im Zeichen heutiger Weltpolitik und Weltzeit fordert Tibi nun einen Paradigmenwechsel zu einer sozialwissenschaftlichen Historiographie ("Islamologie"). Nicht ganz zu unrecht schreibt er im Hinblick auf aktuelle Konflikte: deren "geostrategische, ökonomische und soziokulturelle Bedingungsfaktoren" seien mit Textkritik und Philologie nicht zu erklären. Im neuen Buch nun entwickelt er für die islamische Geschichte grundlegende Strukturbegriffe wie Umma oder Kalifat, stellt eine Typologie islamischer Kriegsmuster auf und interpretiert die Metamorphose des Djihad vom Expansionskrieg zum modernen Terrorismus.

Aus seiner multiplen Perspektive nimmt Tibi stärker als andere kommunikative Asymmetrien und demokratische Defizite der Wissenschaft wahr und polemisiert gegen einen Zusammenhang von "Imperialismus, Exotismus und Forschung", den er dem heutigen akademischen Betrieb in Europa unterstellt. Daß Politik und Öffentlichkeit nicht frei sind von Momenten westlicher Überlegenheit, wird man gerne einräumen, daß jedoch ausgerechnet die Orientalistik die Muslime "inferiorisiere" und deshalb "entkolonialisiert" werden müsse, tendiert ins Sonderbare. Vollends auf dieser Linie liegt seine bizarre Polemik gegen die deutschen Universitäten. Sein Essay, eine Denkschrift über das Studium der islamischen Geschichte und deren Aufnahme in den Kanon, über Methodik und die Probleme des interkulturellen Dialogs ist somit auch ein Dokument für die Untiefen und Turbulenzen geworden, die die schwierige Auseinandersetzung mit dem Anderen mit sich bringt.

Bildtext: Arabische Astronomen im 12. Jahrhundert: Das kulturelle Niveau der islamischen Abbasiden wurde erst mit der Renaissance erreicht

Bernhard Maier: Koran-Lexikon. Kröner Verlag, Stuttgart 2001, 210 Seiten, 13,80 Euro

Bassam Tibi: Einladung in die islamische Gesellschaft, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2001, 215 Seiten, 19,90 Euro


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen