© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/02 05. April 2002

 
Demontagen
Mit 95 Jahren starb der Filmregisseur Billy Wilder
Werner Norden

Berühmt geworden ist er vor allem mit den Marilyn Monroe-Komödien "Das verflixte siebente Jahr" (1955) und "Manche mögen's heiß" (1959). Darüber wird oft vergessen, daß Wilder in seinen in den vierziger Jahren gedrehten "schwarzen" Filmen scharfe Kritik an den amerikanischen Institutionen und Mythen übte. In "Frau ohne Gewissen" (1944), bei dem Raymond Chandler am Drehbuch mitarbeitete, herrscht düsterer Pessimismus. Wilder entwickelt seine Handlung in einer Atmosphäre der Kälte und des Dunkels. Gezielt demontiert er den Mythos der amerikanischen Frau. Barbara Stanvyok, die den jungen Versicherungsangestellten Fred MacMurray zum Mord an ihrem reichen Gatten überredet, ist alles andere als eine naive, blonde Unschuld, sondern ein vom Luxus verwöhntes, von der Habgier verdorbenes, kaltschnäuziges Geschöpf. Aber in einer Gesellschaft, die keine Heimat mehr kennt, haben selbst Erotik und Geld ihre Balance verloren und führen nur noch zu Gewalt und Verbrechen.

In "Das verlorene Wochenende" (1945) ist es der Alkohol, dem der gescheiterte Schriftsteller Ray Milland hoffnungslos verfallen ist, in "Boulevard der Dämmerung"(1950) Hollywoods gnadenloses Starsystem, das den erfolglosen, jungen Drehbuchautor William Holden tragisch an einen alten Stummfilmstar kettet, und in "Reporter des Satans" (1951) der Sensationsjournalismus, der den kleinen, schäbigen Reporter Kirk Douglas über Leichen gehen läßt.

Wilders Figuren leben im Schatten, mit den tragischen und romantischen Helden der "Schwarzen Serie" wie etwa Humphrey Bogart haben sie nichts gemeinsam. Dennoch bilden Wilders pessimistische Attacken gegen eine Welt, in der noch allemal den Stärkeren recht gegeben wird, mit den düster-romatischen Geschichten des Film Noir von Hawks, Huston und anderen Regisseuren eine Einheit.

1958 verfilmte Wilder Agatha Christies Bühnenstück "Zeugin der Anklage". Trotz der humoristischen Einschübe, die Wilder für Charles Laughton schrieb, entwickelt sich die Handlung schließlich sehr "schwarz". Besonders die subtilen Akzentverschiebungen, die der Regisseur in der Charakterisierung der Figuren vornahm, und sein sinnreiches Einsetzen von Objekten, die sich im Original nicht finden, machen aus dem Film ein imponierendes Inventar bervorzugter Themen und Effekte Wilders.

In der Nacht zum Gründonnerstag ist Billy Wilder, der letzte große Geschichtenerzähler Hollywoods, im Alter von 95 Jahren in seinem Haus in Beverly Hills gestorben.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen