© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/02 05. April 2002

 
Unter dem Pflaster
Nachruf auf den Kabarettisten Matthias Beltz
Werner Olles

Vor ein paar Wochen hatten wir noch miteinander telefoniert. Wann immer es sein Terminkalender erlaubte, kam er zu unserem "Renegatenstammtisch", an dem sich Literaten und Publizisten zwanglos zum Gedankenaustausch treffen, bei Samos und Moussaka gemütlich zusammensitzen, und alte Linke und junge Rechte sich manchmal die Köpfe heißreden, ohne sich dieselben einzuschlagen. Leider konnte er beim letzten Mal nicht dabei sein. Und dann erreichte uns am frühen Morgen des Gründonnerstag die schockierende Nachricht, daß Matthias Beltz am Vorabend in seiner Wohnung in Frankfurt-Sachsenhausen einem Herzinfarkt erlegen ist.

Einen Nachruf auf Matthias Beltz zu schreiben, der ihm auch nur einigermaßen gerecht wird, kann eigentlich nur heißen, sich einem den bürgerlichen Gepflogenheiten und Wertmaßstäben entsprechenden Nekrologritual konsequent zu verweigern. Im schwer zu definierenden Berufsstand der deutschen Kabarettisten war er eine eher ungewöhnliche Erscheinung, wozu nicht unwesentlich seine fast pathologische Abneigung gegen politische Glaubensbekenntnisse aller Art beitrug.

Vom ideologischen Übereifer seiner Kollegen unterschied ihn vor allem die Gelassenheit, mit der er auftrat und seinen Beruf dennoch als "Schwerstarbeit" bezeichnete. Die verhängnisvolle Verstrickung des deutschen Kabaretts mit einer linksliberalen Ideologie, die von Dieter Hildebrandt bis Matthias Richling inzwischen nur noch gähnende Langeweile verbreitet, hat er als erster erkannt und seine ehemaligen, von harten Straßenkämpfern zu salbungsvolle Reden schwingende "Friedensarbeitern" mutierten Genossen die Leviten gelesen, daß es nur so krachte.

In einer staunenswerten Karriere avancierte er zu einem der populärsten Kabarettisten der Republik, nicht zuletzt aus dem Grund, weil er es auf unnachahmliche Weise verstand, sich zu ändern und dennoch treu zu bleiben. Und wie bei vielen Spöttern waren seine gekonnten Zynismen nur die Kehrseite eines sehr genauen Gespürs für das, was heute überhaupt noch der Satire und Ironie wert ist.

1945 in Wohnfeld im Vogelsbergkreis geboren und in der oberhessischen Kleinstadt Gießen aufgewachsen, studierte Beltz in Marburg und Frankfurt am Main Jura und schloß 1969 mit dem ersten juristischen Staatsexamen ab. Nach der Auflösung des Frankfurter SDS ließ sich eine aus der antiautoritären Fraktion des SDS hervorgegangene Kadergruppe von einem Dutzend Militanten in der Automobilproduktion der Opel-Werke in Rüsselsheim einstellen. Die Gruppe wurde später unter dem Euphemismus "Revolutionärer Kampf" bekannt. Während Daniel Cohn-Bendit und Joseph Fischer zu den "Außenkadern" gehörten, denen es erspart blieb, die Realität des proletarischen Alltags am eigenen Leib zu erleben, arbeitete der "Innenkader" Beltz sechs Jahre, von 1971 bis 1977, bei Opel und brachte es schließlich sogar zum Vertrauensmann.

1976 begann er, politisches Kabarett zu machen. Zunächst noch "nebenberuflich" mit "Karl Napps Chaostheater", später dann mit dem "Vorläufigen Frankfurter Fronttheater" und dem "Reichspolterabend" auch im Hauptberuf und zunehmend als Solist. Gemeinsam mit Johnny Klinke gründete er im Herbst 1988 das Frankfurter Varieté "Tigerpalast", in dem er bis zuletzt als Conferencier auftrat. Mit seinem eigenen Programm gastierte er auf allen deutschen Kabarettbühnen, wo er mit brillanten Wortspielereien, hintersinnigem Witz und ganz und gar nicht politisch korrekten Spitzfindigkeiten selbst jene Zuschauer zu Beifallsstürmen hinriß, die bisweilen leicht geschockt einem launigen Bonmot über Verantwortungsethik und einem süffisanten Geistesblitz über Seinsbetroffenheit lauschten, um im nächsten Moment eine satirische Studie über die deutsche Europhorie um die Ohren gehauen zu bekommen.

In diesen tragikomischen Transgressionen deutscher Mißverständnisse blitzte ein parapolitischer Jargon der Uneigentlichkeit auf, den der leidenschaftliche Leser und an Adorno und Carl Schmitt gleichermaßen geschulte Jünger- und Bernhard-Verehrer Beltz nicht nur aus Gründen einer kalauernden Dialektik bis in die feinsten Details und Nuancen kultivierte. "Von der Arbeitslosigkeit über die Verzweiflung zur Trostlosigkeit und wieder nach Hause zurück" oder "Das soziale Ideal der Republik ist der Alkoholiker, der seine Sucht im Griff hat und rechtzeitig zur Arbeit erscheint".

Das mag zynisch klingen und wohl auch so gemeint sein, beschreibt aber exakt den linken - und bis heute nicht aufgehobenen - Grundwiderspruch zwischen Hedonismus und Klassenkampf, den auch der Ur-Sponti Beltz der Einfachheit halber als gegeben hinnahm. Und die geistige Mobilmachung der Schröderschen "Zivilgesellschaft" gegen "rechts" konterte er mit einem Blick auf die "Massentiere ohne Haltung". Beltz kannte seine Pappenheimer.


 
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