© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/02 05. April 2002

 
Gott zu Ehren, dem sorbischen Volk zu Nutze
Reportage: Zu Besuch bei den Osterritten der katholischen Sorben in der Oberlausitz
Matthias Bäkermann

Dzens Chrystus z mortwych stanyl je, haleluja, haleluja", dieser vielstimmige Choral erfüllte die sonnige Atmosphäre einiger Dörfer und Städte der Oberlausitz am vergangenen Ostersonntag. Hoch zu Pferde sitzen, von Ort zu Ort mit unterschiedlicher Anzahl, bis zu 250 Männer aller Altersgruppen, feierlich mit schwarzem Gehrock und Zylinder bekleidet, die auf sorbisch in österlicher Ernsthaftigkeit die Botschaft der Auferstehung Christi verkünden. Dabei ziehen die Reiter aus den verschiedenen Ortschaften zwischen Bautzen, Kamenz und Hoyerswerda jeweils in die Nachbardörfer, um von dort nach einer kurzen Kaffeepause die Prozession wieder auf den Heimweg zurückzuführen. Vorangeführt werden jeder Schar mitgeführte kirchliche Standarten, ein Kruzifix und eine Statue des Auferstandenen.

Nur der Kontrast zu den am Rande stehenden Touristen und Einheimischen, die teilnahmslos die archaische Reiterei bestaunen, verleiht der Prozession teilweise den Charakter eines Trachtenumzuges. Der religiöse Sinn wird, besonders von vielen sorbischen "Zaungästen", bei näherer Nachfrage dem identitätsstiftenden Brauchtum oder gar der sorbischen "Folklore" nachgeordnet - eine Einschätzung, die Pfarrer Martin Salowski aus Crostwitz, einer der Hauptorte der katholischen Sorben in der Lausitz, bestreitet: "Sicher ist der Osterritt eine christliche Angelegenheit. Aus Gründen des Brauchtums würden die jungen Burschen, die lieber zur Disko gehen, keine christlichen Osterlieder singen oder gar den Rosenkranz beten."

Pfarrer Salowski gesteht jedoch zu, daß der Katholizismus der Sorben in der Oberlausitz wesentlich zur Identitätsstiftung beitrage. Die evangelischen Sorben der Niederlausitz, die keine Osterritte durchführten, hätten aus diesem Grunde auch ein schwächeres Bewußtsein ihrer sorbischen Identität. Zudem sei in der DDR die Abkehr von der Religion bei den Sorben der Niederlausitz ungleich größer gewesen als bei ihren katholischen Landsleuten im heutigen Freistaat Sachsen.

Die historischen Wurzeln der Osterritte verlieren sich im Dunst der Geschichte. Es ist anzunehmen, daß sich das Osterreiten aus den Flurumritten der heidnischen Vorfahren in der Frühlingszeit entwickelt hat. Erst mit der Christianisierung der Sorben im 10. und 11. Jahrhundert wurde dieser profane Brauch mit christlichem Inhalt gefüllt und dem Osterfest zugeordnet. Nach der Reformation blieb diese Tradition auf einige Siedlungen der Oberlausitz beschränkt, in denen sich der Katholizismus entgegen der protestantischen Ausrichtung des sächsischen Landesherren zu bewahren vermochte.

In den nächsten Jahrhunderten hat sich die Tradition der Osterritte fast durchgängig erhalten können, wurde jedoch in verschiedenen Gemeinden durch die Intervention der oftmals protestantischen Grundherren unterbunden. Man darf jedoch annehmen, daß bis ins 19. Jahrhundert die Demonstration des Katholizismus durch den Os-territt immer im Vordergrund stand. Erst danach verband sich auch der selbstbewußte Ausdruck der sorbischen Identität mit diesem religiösen Brauch.

In einigen heutigen sorbischen Gemeinden kann man auf eine über zweihundertjährige durchgängige Praxis der Osterritte zurückblicken, in denen selbst zu Kriegszeiten, insbesondere in den beiden Weltkriegen, zumindest in reduzierter Form dieser Tradition nachgegangen wurde. Sogar im April 1945 verkündeten einige beherzte Osterreiter trotz der nur wenige Kilometer ostwärts verlaufenden Front die Botschaft der christlichen Auferstehung. Während des Nationalsozialismus versuchte man, das Brauchtum der "wendischen" Osterritte zu "germanisieren" oder wenigstens in diese Richtung zu interpretieren. Trotz einer Übernahme der Organisation einer "deutschen" Leitung blieb die Ausführung weitestgehend unbeeindruckt davon in sorbischen Händen.

In der DDR wurde die sorbische Kultur insgesamt toleriert, die Osterritte sollten jedoch ihres religiösen Hintergrundes enthoben werden und eher den Ausdruck reiner Folklore darbieten. Durch die Kollektivierung wurde im Laufe der fünfziger und sechziger Jahre die Zahlen der Osterreiter immer geringer - hauptsächlich wegen fehlender Pferde, die in den mechanisierten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften mehr und mehr ausgemustert wurden. Man mußte die wenigen Pferde von weit herbeischaffen, einige Prozessionen wurden aufgegeben.

Im Jahre 1974 wurden in der Oberlausitz insgesamt nur noch 487 Osterreiter gezählt. In den achtziger Jahren besserte sich die Situation deutlich, 1986 nahmen erstmals über eintausend Teilnehmer bei der Reiterprozession teil. Nach der Wende hat sich diese Entwicklung fortgesetzt. Besonders die Beschaffung der vielen Pferde ist durch die Gründung verschiedener Gestüte in der Lausitz einfacher geworden. So konnte sich nach einer 24jährigen Pause auch wieder in der regionalen Metropole Bautzen eine Osterreiterformation etablieren, zwar mit deutlich weniger Reitern als in den Dörfern, dafür mit um so mehr Passanten an den Straßenrändern, die in diesem Jahr zudem durch die Feiern des tausendjähriges Bestehens der Spreestadt in der Oberlausitz besonders zahlreich vertreten waren.

Doch nur oberflächlich kann man an dieser Entwicklung die derzeitige Situation der sorbischen Volksgruppe ermessen. Durch die strukturellen Probleme der Oberlausitz, ähnlich vieler Regionen der neuen Bundesländer, wandern viele, insbesondere junge Menschen ab. Obwohl zu besonderen Anlässen wie eben dem Osterreiten einige dieser "Auswanderer" den Kontakt zur sorbischen Volksgruppe halten und sogar als Reiter teilnehmen, werden sie in ihrem neuen Umfeld an Isar, Neckar und Main ihrer sorbischen Kultur sukzessive entzogen.

Die Schließung der fünften Jahrgangsstufe an der Sorbischen Mittelschule in Crostwitz durch die sächsische Landesregierung im vergangenen Jahr (JF 34/01) war die erste Konsequenz der Abwanderung junger potentieller Eltern, im konkreten Fall verstärkt durch die geburtenschwachen Jahrgänge der Nachwendezeit. Bozena Pawlikec vom Witaj-Sprachzentrum des Bundes Lausitzer Sorben (Domowina) sieht deshalb in allen Institutionen, die die sorbische Identität stärken, eine notwendige Maßnahme gegen diese existenzielle Gefährdung des Fortbestandes eines seit 1.400 Jahren in der Lausitz beheimateten Volkes. Umso weniger kann sie Verständnis für die Schulpolitik des Freistaates Sachsen aufbringen, die mit der langfristigen Schließung der Crostwitzer Mittelschule dieser Gefährdung weiteren Vorschub leistet.

Doch letztlich ist das Überleben dieser autochthonen Minderheit in Deutschland langfristig nicht zu garantieren, auch mit beeinflußbaren Faktoren, sei es die religiöse Orientierung, die Schulpolitik des Landes oder die finanziellen Mittel für die sorbische Kulturarbeit: "Ohne eine wirtschaftliche Stärkung der Lausitz ist die Perspektive auch für die Sorben in Zukunft getrübt", resümiert Pawlikec. Damit würde in ferner Zukunft vielleicht auch der Osterritt zu dem verkommen, was Skeptiker und Gegner der Sorben dieser Tradition immer schon zu unterstellen versuchten: Eine melancholische museale Folklore, die nicht mehr gelebt und nur der touristischen Attraktion wegen aufgeführt würde.

Osterreiter in Bautzen 2002: Nach dem Gottesdienst füllten sich die Straßen mit vielen hundert Schaulustigen

Impressionen aus der sorbischen Oberlausitz: Der katholische Glaube ist neben der sorbischen Sprache ein hilfreicher Stifter der ethnischen Identität


 
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