© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/02 05. April 2002

 
Gekämpft wird mit allen Mitteln
Ungarn: Schon im ersten Wahlgang am 7. April könnte die bürgerliche Regierung gewinnen
Alexander Barti

Am kommenden Sonntag, den 7. April, haben die Ungarn die Chance, ihre vierte Regierung nach der politischen Wende 1990 zu wählen. Den Prognosen nach könnte eintreten, was bis jetzt noch keiner Regierung gelungen ist, nämlich ihre erneute Wiederwahl. Vor diesem Hintergrund ist der vielleicht schärfste Wahlkampf ausgebrochen, den Ungarn in seiner jüngsten Geschichte erlebt hat.

Die linke parlamentarische Opposition aus Liberalen (SZDSZ) und Wende-Kommunisten (MSZP) greift dabei zu ihrem altbekannten Mittel: Keine noch so belanglose Angelegenheit wird versäumt, um die nationalliberale Regierung zu dämonisieren. Sozialistenführer László Kovács, ebenso wie die liberalen Parteigrößen Gábor Kuncze oder Budapests Oberbürgermeister Gábor Demszky orakeln seit Wochen von einer "rechtsradikalen Diktatur", die im Falle eines Wahlsiegs des Bürgerblocks anbrechen würde und von der "Notwendigkeit, die parlamentarische Demokratie wiederherstellen zu müssen". Die Begründung dafür ist nicht ganz eindeutig, denn manchmal wird die Regierung selbst als eine "Gefahr für die Demokratie" diffamiert, oder man zeigt auf die oppositionelle "Wahrheits- und Lebenspartei" (MIÉP), die an der zukünftigen Regierungsbildung beteiligt sein könnte.

Die linke Opposition hatte es schwer mit den Argumenten, denn die Regierungsbilanz der Regierung Orbán sieht glänzend aus: die Realeinkommen sind deutlich gestiegen, die Inflation auf unter zehn Prozent gedrückt, die Arbeitslosenquote beträgt 5,6 Prozent, Tendenz weiter sinkend, das Wirtschaftswachstum liegt über dem EU-Durchschnitt und außenpolitisch tritt das (seit 1920) kleine Land mit 10,2 Millionen Einwohnern zunehmend selbstbewußter auf.

Bereits zu Beginn der Wahlkampagnen 2002 konnten die regierenden "Jungdemokraten" (Fidesz) die Linken "schocken", als sie unkompliziert und schnell mit der Romavereinigung "Lungo Drom" einen Wahlpakt schließen konnten. Damit waren die Vorwürfe, die Regierung sei minderheitenfeindlich und rassistisch, nicht mehr stichhaltig.

Das Wahlrecht in Ungarn ist recht kompliziert; 176 Sitze werden per Mehrheitswahlrecht in 176 Wahlkreisen erworben und ebenso viele Sitze stehen auf einer Landesliste zur Verfügung. Jeder Wahlkreiskandidat muß in einem bestimmten Zeitraum 750 Unterstützungsunterschriften sammeln, damit er zugelassen wird. Eine Partei das Rechts auf eine regionale Liste, wenn sie es schafft, in 25 Prozent der Wahlkreise der jeweiligen Region eigene Wahlkreiskandidaten aufzustellen. Bei Regionen, die weniger als acht Wahlkreise haben, muß man als Minimum in zwei Wahlkreisen Kandidaten aufstellen. Eine Partei darf eine nationale Liste registrieren lassen, sobald sie genügend Unterschriften gesammelt hat, um mindestens sieben regionale Listen aufzustellen.

Treten in einem Wahlkreis mehrere Parteien an - was in der Regel der Fall ist - und kann in einem ersten Wahlgang kein Kandidat die absolute Mehrheit erlangen, wird der Sieger in einem zweiten Wahlgang (am 21. April) mit relativer Mehrheit ermittelt. Durch den zweiten Wahlgang besteht die Möglichkeit, ad hoc Wahlbündnisse zu schmieden, um den Kandidaten des Gegners zu verhindern.

Beim Sammeln der Unterschriften gab es einen häßlichen Zwischenfall, als der MIÉP-Kandidat János Oláh in seinem Budapester Wahlkreis brutal zusammengeschlagen wurde; man hatte ihn abends mit dem Hinweis auf die Straße gelockt, man wolle ihm etwa 20 Unterschriften übergeben. Obwohl es sich bei der Tat eindeutig um ein politisch motiviertes Verbrechen handelte - Oláh wurde während der Prügelorgie permanent als "MIÉP-Schwein" beschimpft - reagierten die liberalen "Hüter der Menschenrechte" ziemlich zurückhaltend: Schuld sei die von der "Regierung geschürte aggressive Stimmung", lautete der wenig entrüstete Hinweis.

"Unser Kampf gilt nicht den Purpursesseln der Minister, sondern dem Erfolg des nationalen Flügels", erklärte MIÉP-Vorsitzender István Csurka, als er verkündete, daß seine Partei im zweiten Wahlgang zugunsten des Bürgerblocks 100 Kandidaten zurückziehen würde. "Es ist die moralische Pflicht unserer Partei und unserer Anhänger, mit ihren Stimmen eine erneute Machtergreifung der antinationalen Kräfte, der MSZP und des SZDSZ, zu verhindern", begründete der Vorsitzende die Taktik seiner Partei. Für die Linken war damit die Katze endlich aus dem Sack und die Kooperation von Konservativen und "Rechtsradikalen" offensichtlich. Ganz so einfach liegen die Dinge allerdings nicht, denn die Bürgerlichen, die Ungarn 2004 in die EU führen wollen, wissen sehr gut, daß man die MIÉP in Europa nicht goutiert; eine Koalition ist daher so gut wie ausgeschlossen (siehe das JF-Interview mit dem Fidesz-Fraktionsvorsitzenden József Szájer, 14/02).

38 Parteien und Bürgerinitiativen sind zur Wahl angetreten, um die Fünf-Prozent-Hürde vor dem Einzug ins Parlament zu meistern. Die diversen Wahlforschungsinstitute zeichnen ein sehr uneinheitliches Bild. Fidesz-Spitzenkandidat und Ministerpräsident Viktor Orbán wird, wenn es nach der Gallup-Prognose geht, seine Partei als stärkste Fraktion in das Parlament führen. Zweitstärkste Partei könnten die Sozialisten werden, die mit Péter Medgyessy einen parteilosen Finanzexperten als ihren Spitzenkandidaten aufgestellt haben. Medgyessy sollte den smart und erfolgreichen 38jährigen Orbán (JF 10/02) die Show stehlen, was ihm wahrscheinlich nicht gelungen ist; die eigene sozialistische Klientel dürfte mit dem aalglatten Banker weniger glücklich sein, für sie warf sich Parteichef Kovács, auch optisch ausgestattet mit den Attributen der "guten alten Zeit", in die Bresche.

Die Frage nach dem dritten Platz ist die spannendste. Nach allen Prognosen werden die Rechten - wenn überhaupt - nur ganz knapp ins Parlament kommen; der Haken dabei ist, daß sich viele MIÉP-Wähler bei Umfragen nicht zu ihrer Partei bekennen, so daß man mit einer Überraschung rechnen darf. Csurka selbst geht davon aus, daß seine Partei rund 15 Prozent erhalten wird.

Wackelig könnte es auch beim liberalen SZDSZ werden, die ihren antikommunistischen Nimbus, mit dem sie seit ihrer Gründung 1988 ausgestattet waren, vollkommen verloren haben. Ihre Wähler rekrutieren sich vornehmlich aus dem linksintellektuellen Milieu der Hauptstadt Budapest, so daß ihre starke Präsenz in der Öffentlichkeit und den Medien über ihre tatsächliche Größe hinwegtäuscht. Für den Einzug ins Parlament mit sechs oder sieben Prozent könnte es aber erneut reichen.

Eine Partei, die zur Zeit auch in der Regierungskoalition vertreten ist, dürfte mit Sicherheit keine parlamentarische Rolle mehr spielen: Die mit einer langen Tradition ausgestattete Kleinlandwirtepartei (FKgP), die nach dem Krieg 1946 die Wahlen gewonnen hatte und in der kommunistischen Ära verboten war, hat sich heillos zerstritten und in diverse Flügel gespalten. Ihr Vorsitzender, der Rechtsanwalt József Torgyán, erwies sich als völlig inkompetenter Agrarminister und vergraulte damit seine Wählerschaft; interne Streitigkeiten und Korruptionsverdächtigungen erledigten den Rest der Partei.

Die Centrum-Partei, die erst vor kurzem gegründet wurde, dürfte ebenfalls an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern; Wahlforscher ermitteln für die Mitte-Links positionierte Vereinigung diverser Kleinstparteien zwei bis drei Prozent. Auf etwa ebenso viele Wahlstimmen könnten die Stalinisten der Arbeiterpartei (Munkáspárt) kommen, die zum Teil auch mit den Sozialisten in den Wahlkampf zogen und die beste Kontakte zur deutschen PDS unterhalten (JF-Interview 36/00).


 
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