© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/02 05. April 2002

 
Anschlag auf die Reformen
Italien: Nach dem Mord an dem Arbeitsrechtsexperten Marco Biagi ist das Gespenst der "Roten Brigaden" wieder auferstanden
Alessandro Campi

Die Kugel, die vor zwei Wochen den Bologneser Wirtschaftsprofessor Marco Biagi traf, wurde offenbar aus derselben Waffe abgefeuert wie jene auf Massimo D'Antona vor drei Jahren. Wie D'Antona arbeitete Biagi an einer Reform des Arbeitsrechtes. Seine Vorschläge zu einer Flexibilisierung brachten ihn ins Visier der Attentäter, die ihn auf seinem Heimweg vom Fahrrad schossen. In einem verquasten Thesenpapier, veröffentlicht auf der linken Internetseite "caserta24ore", bekannte sich eine neue Zelle der "Roten Brigaden für den Aufbau der kämpfenden Kommunistischen Partei" zu der Tat. Biagi, der immerhin lange Jahre für eine moderat linke Gewerkschaft tätig war, sei als "Ausbeuter der Arbeiter exekutiert" worden, heißt es in dem Schreiben. Aus Protest gegen den politischen Terror gingen am Tag nach der Ermordung rund 80.000 Menschen auf die Straßen Bolognas.

Es gab eine Zeit, da verbreiteten die "Roten Brigaden" in Italien Angst und Schrecken. 1974 vermutlich vom Soziologen Renato Curcio gegründet, spezialisierte sich die linksextreme Terrorgruppe auf politische Morde. Ihr prominentestes Opfer war der Christdemokrat Aldo Moro, der 1978 nach 55 Tagen Entführung tot aufgefunden wurde. Schätzungen zufolge hat der Terror der "Roten Brigaden" und ihres Umfelds in den Jahren 1969 bis 1985 bei rund tausend Attentaten bis zu 415 Menschen das Leben gekostet. Die Ermordung Biagis hat die Erinnerung an diese Zeit geweckt. Erneut geht das Gespenst einer kommunistischen Terrorgruppe in Italien um.

Doch das ideologische Umfeld der linken Banden ist verdorrt: In den Folgejahren der 68er Revolte, als Universitäten und Fabriken mit extremistischer Propaganda überspült wurden, konnten die Täter in einem weiten Sympathisantenkreis untertauchen. Hier gab es logistische und moralische Unterstützung, Informanten und Kontaktpersonen.

Die Mörder von Biagi und D'Antona stammen vielleicht noch aus einem der kommunistischen Biotope, in denen "Terrorveteranen" über all die Jahre einer Verhaftung entgingen. Eine starke Gruppe von Aktivisten der "Roten Brigaden" hat übrigens in Paris Unterschlupf gefunden, wo sie "politisches Asyl" genießen. Seit den siebziger und achtziger Jahren hat sich die nationale Parteienszene radikal verändert: Die Aktion der "Mani Pulite" (Saubere Hände gegen die wuchernde Korruption) brachte die etablierten Parteien an den Rand einer institutionellen Krise. Die meisten der ideologisch ausgerichteten Massenparteien sind davon verschlungen worden, so etwa die alte Democrazia Cristiana (DC) und auch die kommunistische Partei (PCI).

Neue politische Gruppierungen haben ihren Platz eingenommen, die dem gewandelten Lebensgefühl der Italiener eher entsprechen, vor allem die Forza Italia. Das politisch-konstitutionelle System, das einst der ewige Streit eines verfilzten Parteienkartells regelrecht lähmte, wurde durch die neue Polarität belebt - statt einer großen Kungelkoalition von Christdemokraten bis hin zu den Kommunisten gibt es jetzt klar erkennbare parlamentarische Mehrheiten.

Ganz entscheidend ist auch, daß sich die internationale politische Großwetterlage verändert hat: Mit dem Ende des Ost-West Gegensatzes hat der italienische Terrorismus die Förderung durch Geheimdienste der Sowjetunion und ihrer Satelliten verloren. Vom "Klassenkampf", der sich eine Zeitlang auch in Schußwechseln und Bombenangriffen der "Roten Brigaden" entlud, ist international nicht mehr die Rede. Dafür gibt es neue Bruchlinien, die zu neuen Konflikten führen, namentlich die Kluft zwischen dem industrialisierten, materiell reichen Norden und dem von Armut und Hunger geplagten Süden. Es wird sich zeigen, ob die "Roten Brigaden" ihrem "anti-imperialistischen" Kampf durch solche Themen neue Impulse verleihen können. Auf kultureller Ebene jedenfalls ist die pointierte Ideologie des revolutionären Marxismus bis auf Rudimente an den italienischen Universitäten verschwunden.

Erklärtes Ziel der "Roten Brigaden" (wie auch der deutschen RAF oder anderer polit-krimineller Vereinigungen) war es, den Staat auch symbolisch durch Morde zu treffen: Regierungsmitglieder, Parlamentarier, hohe Beamte, Industrielle, Militärs, Polizisten oder Journalisten mußten stellvertretend sterben. Ein diffuses Klima der Bedrohung belastete diese Jahre, und zeitweilig entwickelte der Terror Formen des Bürgerkriegs, an dem Tausende von Sympathisanten beteiligt waren. Das Ausmaß der brutalen Aktionen ließ auf ein weitverzweigtes Netz von Komplizen schließen, doch der Staat war trotz mancher Krise nicht so leicht aus den Angeln heben.

Der neue Terrorismus scheint in der Wahl seiner Methoden wesentlich selektiver: Nicht mehr Politiker der ersten Reihe, sondern Technokraten und Berater außerhalb des Rampenlichts fielen ihm bislang zum Opfer. Biagi oder D'Antona waren dem breiten Publikum kaum bekannt, doch innerhalb der Regierung und Verwaltung sehr einflußreich. Zwar scheint der neue Terror dem kommunistischen Ideal treu, doch weniger ambitioniert zu sein. Die Taktik der terroristischen Nadelstiche strebt keine "Revolution" zur Zerschlagung des bürgerlichen "imperialistischen" Staates mehr an, sondern will den Prozeß der Reformen stoppen, insbesondere die notwendige Flexibilisierung der italienischen Wirtschaft.

Gegenwärtig spitzt sich der Streit zwischen den Gewerkschaften und der Regierung Berlusconi um die Novellierung des Arbeitsrechtes zu. In der Hauptstadt Rom fand am Wochenende nach der Ermordung Biagis eine linke Großdemonstration mit etwa 700.000 Teilnehmern statt (die Gewerkschaften sprachen von zwei bis drei Millionen), die sich sowohl gegen den Terror als auch gegen das Reformkonzept des Terroropfers richtete. Sergio Cofferati, der Chef der scharf linken Gewerkschaft CGIL, den manche angesichts der zersplitterten Opposition bereits als heimlichen Wortführer der Regierungsgegner sehen, rief bei der Versammlung in Rom zum Widerstand gegen einen Umbau des Sozialstaates auf. Dagegen äußerte sich Renato Schifani, ein führender Vertreter von Berlusconis Forza Italia, er hätte erwartet, "daß jemand wie Cofferati versucht, die Spannungen abzubauen, die das Klima für den Terrorismus schaffen."

Im Italien der siebziger Jahre trieb der Terrorismus die Parteien des Landes in eine große Koalition der "nationalen Einheit". Jeder Wettstreit der politischen Ideen erstickte unter der Notwendigkeit, alle Kräfte im Namen des institutionellen Notstandes und der Verteidigung der Demokratie zu vereinen. Eine Wiederholung dieser lähmenden Umarmung des politischen Gegners muß die Regierung der rechten Mitte nun auf jeden Fall vermeiden. Wenn der Terrorismus der "Roten Brigaden" das ausdrückliche Ziel hat, soziale Reformen zu verhindern, kann die Antwort Berlusconis nur lauten, diese Reformen mit doppeltem Eifer zu verfolgen. Dann ist es an den Wählern, nicht einer Gruppe krimineller Spinner, über die Resultate ein Urteil fällen.

Fototext: Marco Biagi (l.) mit Arbeitsminister Roberto Maroni (Lega Nord)

Alessandro Campi lehrt Politologie an der Universität Perugia und ist Generalsekretär der Stiftung "Fondazione Ideazione".


 
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