© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/02 29. März 2002

 
Die Passion nach Markus
Werner Veith

Höhnisch und voller Haß forderten letzten Samstagabend in Fürth etwa 30 Personen die Todesstrafe. "Kreuzige ihn, kreuzige ihn", schrien sie aggressiv. Der Angeklagte behaupte, König der Juden zu sein - und könne sich nicht mal selber helfen, spotteten die Versammelten. Als der Angeklagte um Punkt 19 Uhr qualvoll verstarb, läuteten die Glocken von St. Paul minutenlang. Es war gespenstisch.

Die Rolle des bösen Volkes sang der evangelische Kirchenchor der Innenstadtgemeinden Fürth. Dagegen übernahmen Profisänger die angenehmeren Rollen. Zu verdanken ist diese ungerechte Rollenverteilung dem Komponisten Reinhard Keiser (1674-1739). Er schuf ein Barockwerk, das die Leidensgeschichte Jesus Christus schildert. Ein Evangelist als Berichterstatter erläutert die Handlung, übernimmt zuweilen Wort für Wort dem Markusevangelium. Über weite Strecken hinweg ist das freilich ein Sprechgesang, ein Art Rap der Barock­zeit. Begleitet werden die Sänger durch ein kleines Streichorchester. Immer­ wieder folgen wehmütige Passagen wie "O Golgatha! Platz herber Schmerzen, hier ist es, wo der Heiland starb. Nimm, Seele, nimm es recht zu Herzen, weil er dadurch dein Heil erwarb." Passagen, die sich musikalisch einer Opernarie nähern.

Verwunderlich ist das nicht, da Reinhard Keiser an der Gänsemarktoper in Hamburg tätig war, dem ersten Opernhaus in Deutschland. Weit über 100 Opern schrieb er damals. Etwas bekannter sind heute nur noch die Titel "Störtebecker" und "Krösus".

Bemerkenswert in der ausgezeichneten Aufführung in Fürth unter Leitung von Ingeborg Schilffarth: die helle, strahlende Sopranstimme von Christiane Merdes. Als Evangelist überzeugte der Tenor Rüdiger Ballhorn, angenehm die Stimmen von Birgit Voß (Alt) und Florian Maier (Tenor). Lediglich die Baßstimme von Christian Ebersberger war etwas schwer zu verstehen. Das Kammerorchester "con fuoco" unterstützte die Sänger und brillierte mit kleinen Sinfonias.

Fazit des Abends: Die totgesagte evangelische Kirchenmusik erlebt mindestens zweimal pro Jahr ihre Auferstehung - zu Weihnachten und in der Karwoche - Johann Sebastian Bach sei Dank. Doch das hat seinen Preis: Vielerorts mußte man Gesangvereine und Posaunenchöre zusammenlegen. Und niemand darf schockiert sein, wenn auf zwei Besucher ein aktiver Sänger kommt.

Eine Wiederholung des Konzerts findet am Karfreitag um 15 Uhr in der Kirche St. Michael in Fürth statt. Auf CD gibt es die Markuspassion bei der Plattenfirma Christophorus (CHR 77143).


 
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