© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/02 29. März 2002

 
BLICK NACH OSTEN
Die Legionäre blieben zu Hause
Carl Gustaf Ströhm

Wieder einmal herrschte in den etablierten Medien von West bis Ost (inclusive Rußland) helle Aufregung, weil in Riga die Veteranen der "Lettischen Legion" einen Gedenkmarsch zum Freiheitsdenkmal veranstalteten und dabei ihrer im Kampf gegen die Sowjetarmee gefallenen Kameraden gedenken wollten. Die "Lettische Legion" aber war - hortibile dictu - ein Teil der Waffen-SS, und so sind besagte Veteranen nach dieser Lesart "Faschisten".

Abgesehen von der Tatsache, daß die jüngsten Teilnehmer des beabsichtigten Marsches auf die Achtzig zugehen, greift der Protest zu kurz: die Lettische Legion setzte sich nur zum Teil aus Freiwilligen, größtenteils aber aus eingezogenen Wehrpflichtigen zusammen. Als sich 1943 das Kriegsglück an der Ostfront endgültig zu Ungunsten der Deutschen wendete, suchte man verzweifelt nach Bundesgenossen und Mitkämpfern. Man fand sie unter anderem im Baltikum, vor allem bei Esten und Letten. Beide Völker waren aufgrund schrecklicher Erfahrungen antisowjetisch eingestellt. Beide waren 1939 (zusammen mit den Litauern) von Hitler im geheimen Zusatzprotokoll zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt an Stalin "verkauft" worden.

Die meisten Bürger Estlands und Lettlands wußten, daß eine Rückeroberung des Baltikums durch die Sowjets das Ende jeglicher Freiheit oder gar die physische Ausrottung bedeuten würde. Noch waren die Massendeportationen nach Sibirien und die Hinrichtungen während der ersten Sowjet- Okkupation 1940/41 in frischer Erinnerung.

Die deutsche Seite ließ Letten und Esten keine andere Wahl, als sich in die Waffen-SS einzugliedern. Immerhin wurden die baltischen Soldaten weitgehend von eigenen Offizieren befehligt. Man warf die jungen Leute in die Schlacht. Die estnischen Regimenter bluteten in den schweren Abwehrschlachten bei Narwa. Die Lettische Legion hatte ihre schwerste Schlacht am 16. März 1944 am Fluß Welikaja. Im Gedenken an diesen Kampf versammelten sich die Überlebenden - von denen viele durch sowjetische Lager und Zwangsarbeit gegangen waren - jährlich seit der Wiedererringung der Unabhängigkeit 1991.

Dem postkommunistischen Rußland war es ein Dorn im Auge, daß es jemand wagte, eine antisowjetische Schlacht zum Gedenktag zu machen. Wie war es möglich, daß "Faschisten", die eine Waffe gegen die Sowjetmacht erhoben hatten, auch noch gefeiert wurden? In Moskau verstand man es, einflußreiche westliche Kreise gegen diese "reaktionären" Balten zu mobilisieren. Eine der letzten Heldentaten Helmut Kohls als Bundeskanzler war es, von Moskau aus (wo ihn offenbar sein Freund Boris Jelzin angespitzt hatte) gegen das Treffen der alten Legionäre in Riga zu protestieren.

Auch in diesem Jahr zeigte sich, daß die westlichen Protestierer zunächst einmal schlecht informiert waren. Die lettischen und estnischen Waffen-SS-Angehörigen standen mit dem Rücken an der Wand. Sie konnten nur zwischen zwei Übeln wählen - und sie wählten den Kampf gegen die Rote Armee, weil sie - so illusorisch es war - nach einer deutschen Niederlage auf eine Rettung durch die Westmächte hofften.

Interessant ist, daß die US-Regierung bereits in den fünfziger Jahren den baltischen Veteranen bestätigte, daß man sie nicht mit NS-Organisationen über einen Kamm scheren werde. So durften Angehörige der Lettischen Legion in die USA auswandern. In diesem Jahr haben die Legionäre auf ihren Marsch verzichtet, weil sie die Aufnahme Lettlands in die Nato nicht gefährden wollten. Eine baltische Tragödie.


 
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