© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002


Deutsche Identität
Tagung: 4. Kolleg des Instituts für Staatspolitik in Berlin
Angelika Willig

Stellen wir uns vor, eine Journalistin von der taz hätte das 4. Kolleg des Instituts für Staatspolitik am 16. März in Berlin besucht und ihre Eindrücke niedergeschrieben.

Ganz so flippig ist die taz auch nicht mehr, also ärgert sich die Presse weniger als angenommen über die etwa 120 korrekt gekleideten Herren und wenigen Damen im Saal. Eher schon ärgerlich ist das Thema, „Nation, Staat, Volk“. Doch ganz ohne Vorurteile wird sie sich anhören, was Rechte zu ihrem ureigensten Thema zu sagen haben.

Schon aus den ersten Sätzen hört die wachsame Antifaschistin im Vortrag von Institutsmitgegründer Karlheinz Weißmann heraus, daß er sich klar und deutlich von jedem primitiven Rassismus und Biologismus abgrenzt . Mit seinem Identitätsbegriff bezieht er sich auf das, was an einem Menschen nach der Geburt noch zu retten ist - sofern wir es tun und die Kinder und Jugendlichen nicht einer kultur- und traditionslosen Medienindustrie überlassen. Eindrucksvolle Parallele ist das kindliche Individuum, das seine Identität entwickeln will und dabei auf Informationen von außen angewiesen ist: Wie alt bin ich? Wer sind meine Eltern und Großeltern? Wo habe ich meine ersten Jahre verbracht? Entsprechend sei auch die Nation keine „natürliche Größe“, sondern Produkt unserer Erziehung. Da fällt der taz-Journalistin gleich der Feminismus ein. Wenn die Umwelt ein Mädchen „zur Frau erziehen“ kann, dann könnte diese Prägung nach feministischer Auffassung auch anders anerzogen werden. Anders bei Weißmann: Die fehlende nationale Erziehung hinterläßt eine Wunde.

Weißmanns historisch-sprachlich gefaßtes Nationalbewußtsein muß einer geregelten Form von Einwanderung nicht unbedingt widersprechen - vorausgesetzt, die deutsche „Leitkultur“ erreicht eine weitgehende Anpassung, die im Extremfall den libanesischen Einwanderer in Sprache und Denken zu einem Deutschen macht. Das mit dem Libanesen sagte natürlich nicht Weißmann, es denkt die taz-Journalistin, während sie seinem Vortrag lauscht. Sie denkt sogar, daß dieses Konzept gar nicht so weit entfernt ist vom amerikanischen Erfolgsrezept, das solange gut funktionierte, bis es nicht mehr gelang, die vielen Schwarzen und Latinos auf die protestantische Pflichtethik einzuschwören - bis die amerikanische Leitkultur bröckelte.

Nachdenklich geht sie in die Pause. Obwohl ihr ein Typ wie Weißmann weiterhin nicht gefällt und weiterhin ziemlich rechts vorkommt, ist doch zuzugeben, daß seine Einstellung die Humanität nirgendwo verletzt. Von Habermas und seinem „Verfassungspatriotismus“ ist die eben gehörte Position gar nicht so weit entfernt.

Die Brücke nach links tut sich wie von selber auf, und so erscheint im zweiten Teil Professor Bernd Rabehl auf dem Podium, um die Stellung der Linken zur Nation zu erläutern. Rabehl hat als eine führende Gestalt von ’68 zum dreißigjährigen Jubiläum dieses Ereignisses auf dem Haus der Burschenschaft Danubia in München gesprochen und sich dadurch einigen Ärger zugezogen.

Bei einzelnen Fragen bleibt die Dialektik einfach unersetzbar. Für die Französische Revolution preist die Linke den Nationalstaat als fortschrittlich. Rot-Weiß-Blau reimt sich förmlich auf Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit, und der Marxist weiß, was sich hinter diesen Farben verbirgt, nämlich das Interesse der bürgerlichen Klasse an einem gemeinsamen Markt mit gemeinsamer Währung - genau, was heute an Europa interessiert. Für das Proletariat ist diese Entwicklung solange positiv, bis die alte Feudalklasse gestürzt und das Bürgertum an die Macht gekommen ist. Danach geht es weiter zur internationalen Solidarität mit dem Ziel der Weltrevolution, und dafür sind die Nationalstaaten ein Hindernis. Sie werden zu den (von aus den Blättern der Antifa bekannten) Horten reaktionärer und faschistoider Gesinnung. Gesagt hat Rabehl das nicht. Seine Absicht schien es zu sein, das Verhältnis der Linken zur Nation in der hoffnungsvollen Schwebe zu halten. Und da kann er sich eigentlich nur auf Rudi Dutschke beziehen.

In Verlauf der siebziger Jahre entwickelte Dutschke, teilweise in der direkten Auseinandersetzung mit Henning Eichberg, einen Begriff von Nation, der beim besten Willen nicht mehr in das dialektische Schema paßte. In der Diskussion erklärte Rabehl glattweg, daß die 68er-Bewegung nichts anderes bewirkt habe als eine „totale Öffnung der Märkte“ und grenzenloses Konsumbedürfnis. Vielleicht findet er sich deshalb beim Institut für Staatspolitik ein.

Zu Mittag gab es nur Eintopf, dafür aber nach dem Essen einen Spielfilm, „So weit die Füße tragen“ von Bastian Clevé. Was geht in einem linken Gemüt vor, wenn es den deutschen Soldaten ausnahmsweise nicht mordend, sondern hungernd und frierend sieht? Nicht viel, was unsere Journalistin betrifft, denn sofern es sich nicht antifaschistisch ausschlachten läßt, ist einer jungen Frau von heute das ganze damalige Kriegsgeschehen völlig egal.

Anders ergeht es den Teilnehmern. Zeigt sich bei einem bauchgesteuerten Medium wie dem Kino die eindeutige Unterscheidung zwischen rechts und links? Moritz Schwarz behauptet in seinem Resumee, daß Identität niemals durch Begriffe gestiftet werde, sondern durch große Erzählungen. Und durch Erzählungen wird eine Identität auch nach außen vermittelt. So kam der Film über die Heimkehr eines deutschen Soldaten in den Vereinigten Staaten gerade deshalb gut an, weil er als explizit deutscher Film wahrgenommen wurde. 

Weitere Information: www.staatspolitik.de 


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