© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002

 
Pankraz,
M. Onfray und die Lust aus dem Widerstand

Wer die Spaßgesellschaft richtig ernstnimmt, findet manchmal ein hübsches Ei. So der französische Neo-Hedonist Michel Onfray, der in seinem Buch „Der Rebell“ (deutsch bei Klett-Cotta, Stuttgart) zu der These durchstößt, der höchste aller Genüsse, der Höhepunkt jeden Spaßes sei „der Widerstand“. Lebenslust und Widerstand seien letztlich identisch. Nur wer Widerstand leiste, erreiche jenes Lebensniveau, auf dem es sich wahrhaft zu leben lohnt, auf dem man alle Facetten und Tiefen des Lebens auskosten kann.

Onfray meint es, wie gesagt, ernst, sogar toternst. Unter Widerstand versteht er keineswegs bloßes Herumgemosere, das sich sofort ins Schneckenhaus des Einverstandenseins zurückzieht, wenn es eins auf den Hut kriegt, keine kokette Querdenkerei, die die Talk-Runden belebt und Sold dafür bezieht. Auch macht er, darin Camus folgend, einen scharfen Unterschied zwischen dem lebenslustigen „Rebellen“ und dem verbissenen „Revolutionär“, der nur so lange gegen etwas ist, so lange es noch nicht „das Seine“ ist, will sagen; so lange er noch nicht an der Macht ist und Befehle erteilen kann. Onfrays Rebell will nie und nimmer an die Macht. Er leistet Widerstand nicht um einer Sache oder eines Programms willen, sondern aus Prinzip.

Aber er leistet diesen Widerstand total und kompromißlos, nimmt dafür Leid und Verfolgung auf sich, bis hin zur Todesnot. Ein Mensch, der wegen seines Widerstandes aufs Schafott geschleift und einen Kopf kürzer gemacht wird, sagt Onfray, erfährt mehr Lebenslust als der schlaffe, widerstandslose Mitmacher, der sich in Daunen wälzt und allen Luxus der Welt um sich hat.

Beim ersten Hören klingen solche Behauptungen nach reinem Sokratismus: „Unrecht erleiden ist besser als Unrecht tun.“ Doch Onfray will nichts mit Sokrates zu tun haben. Er lehnt jede metaphysische oder sittliche Begründung des Widerstandes ab, es ist ihm egal, ob der Widerständler Widerstand leistet gegen die Errichtung eines Kinderhospitals oder das Ausstreuen von Landminen, Hauptsache, er empfindet „Lust“ beim Widerstandleisten. Und Onfray gibt sich alle Mühe, „Lust“ auf Widerstand zu machen, entfaltet dabei größte Beredsamkeit.

Trotzdem merkt man schnell, daß seine Beweisführungen alle ex negativo erfolgen, indem also andere, herkömmliche Möglichkeiten des Lustgewinns schlecht gemacht werden, ihre Relativität und Vergeblichkeit gezeigt wird. Alle herkömmlichen Methoden des Lust- und Spaßgewinns, legt Onfray nahe, sind ein schaler Trunk, enden in Überdruß und Katzenjammer. Außerdem wisse man bei ihnen nie genau, wo die Lust aufhört und der Schmerz anfängt, wann man aufhören soll und ob sich eine Lust „gelohnt“ hat. Lustmolche, die nicht mehr so können, wie sie wollen, seien schlimm dran, und dieses Schicksal blühe spätestens im Alter faktisch jedem Lustmolch.

Einzig der Widerstand passe nicht in dieses Schema. Sich gegen eine schlechte Sache gewehrt zu haben, die dann doch über einen kommt, sei ehrenvoll und die Erinnerung daran ohne selbstreflexive Bitterkeit. Und im Grunde wehre man sich immer gegen eine schlechte Sache, die „gute Sache“ sei eine Fiktion, die sich im Laufe der Zeit auflöse und dem Widerständler zumindest im Nachhinein recht gebe. Dem Widerständler gebühre eine gewissermaßen gnostische Ehre, denn an allem Gewordenen und Verwirklichten klebe der Makel der Unvollständigkeit, des Mißlingens, des Surrogats. Einzig der Widerstand sei das Vollkommene und der widerständige Rebell folglich der wahre Held der Schöpfung. Er allein genieße die ungetrübten Freuden des Werdens.

Pankraz kommen solche Argumente ziemlich sophistisch und demagogisch vor. Der „Prozeß“ des Werdens, den Onfray so eifrig gegen das „Resultat“ des Gewordenen abhebt und der die wahre Lebenslust stiften soll, setzt sich keineswegs nur aus lauter Widerständen zusammen, er ist vielmehr ein Auf und Ab von Gründen und Gegengründen, in dem Plus und Minus, Dafürsein und Dagegensein dauernd die Plätze wechseln. Erklärte Dialektiker sprechen deshalb, im Gegensatz zu Elektrophysikern, eher ungern von „Widerständen“, sie bevorzugen das Wort „Widerspruch“, um genau jenes dynamische Changieren im Werden auszudrücken, das sich nicht säuberlich in Lust und Unlust aufteilen läßt.

Ein Widerspruchsgeist ist wohl eine überwiegend erfreuliche Erscheinung, aber er ist eben einer, der sich nicht einfach querlegt wie Onfrays „Rebell“ und dann als Stein auf der Straße oder als automatisches Schaltelement im System liegenbleibt. Er ist nicht einmal der Geist, der stets verneint, freut sich statt dessen, wenn seine Negativität sichtbar in den Prozeß Eingang findet, Resonanz und Bedenken hervorruft. Nur so macht Widerstand überhaupt Lust und Spaß: als Widerspruch, der nicht nur Temperament, sondern auch Gründe hinter sich hat.

Solche Kritik heißt freilich nicht, daß man Onfrays „Plädoyer für Widerstand und Lebenslust“ gering achten oder gar völlig ignorieren soll. Es hält eine Menge beherzigenswerter Sentenzen für die aktuelle Hedonismus-Diskussion bereit, schreibt den strengen Rebellengeist eines Albert Camus in die Gegenwart fort und liefert genau das richtige Gran Salz, um Insassen der Spaß-Szene auf bessere Geschmäcke zu bringen.

Spaß und Lust, so erfährt man, sind vergängliche Kräfte, die es nicht lange bei Äußerlichkeiten aushalten, die vielmehr - um den auch von Onfray respektierten Henri Bergson zu zitieren - an die durée réelle herankommen wollen, die wahre Dauer, derer man nur gewahr wird, wenn man sich nicht jeden Fetzen besinnungslos über die Schulter hängen läßt, nur weil er gerade vorrätig und en vogue ist. Ob man als aufmerksamer Fan der wahren Dauer gleich zum Rebell wird, steht auf einem anderen Blatt. Wie heißt es im „Faust“? „Man freut sich, daß das Volk sich mehrt, / Nach seiner Art behaglich nährt, / Sogar sich bildet, sich belehrt -/ Und man erzieht sich nur Rebellen.“


 
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