© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002

 
Eigentlich fehlt alles
„Deutsches Theater“ von Benjamin von Stuckrad-Barre
Monika Ewert

Seit Mitte der achtziger Jahre sind zunehmend Bücher auf dem Markt, die mit dem Begriff der „Inszenierung“ spielen - die Metapher des Theaters ist zum Modebegriff geworden. Kein Wunder also, daß das neueste Buch des Pop-Literaten Benjamin von Stuckrad-Barre den Titel „Deutsches Theater“ trägt.

Viel ist schon über von Stuckrad-Barre gesagt worden. Er selbst hat ja auch viel zu sagen - müßte man zumindest denken, angesichts seiner bisherigen Flut von Veröffentlichungen. Allerdings handelt es sich bei den meisten der in „Deutsches Theater“ enthaltenen Texte um bereits in verschiedenen Blättern wie Die Woche, FAZ, Stern und WamS veröffentlichte Artikel.

Was er uns wohl mit seinem neuen Buch und dessen bedeutungsschwangeren Titel sagen will? Als Antwort erhält man eine geballte Ladung Sinngebung: „Die hier versammelten Texte sind (...) Zwischenergebnis eines Großprojekts, das mir in guten Momenten kühn als Lebensaufgabe erschien.“ Mit entsprechender Neugier und Erwartungshaltung erfährt man dann, was Benjamin von Stuckrad-Barre alles unter dem Stichwort „Deutsches Theater“ versammelt: „Die Inszenierung des öffentlichen Lebens, das Rollenspiel im Privaten (...) die permanente Bühnensituation (...) - kurz gesagt also: die Unmöglichkeit, sich rauszuhalten, keine Rolle zu übernehmen.“ Beeindruckt durch so viele Begriffsinstrumente aus dem Theater blättert der Leser weiter, gespannt, ob diese wortgewaltigen Verheißungen sich erfüllen werden. Zunächst liest er aber nur „Johanna ist das Beste“ - als schwarze Spraydosenschrift auf einem heruntergelassenen Rolladen. Irritiert blickt er auf das Foto und fragt sich: „Was soll das?“

Glücklicherweise fällt ihm da wieder die Widmung auf der ersten Seite ein - dieses Buch wurde ja einer Dame dieses Namens gewidmet. Doch nicht nur ihr, auch „der Bevölkerung“ - schließlich weiß Benjamin von Stuckrad-Barre, was er seinen Lesern schuldig ist, bzw. wie man sich und seine Werke am besten vermarkten kann. Sonst würde er zumindest nicht so einen Lesemarathon quer durch Deutschland veranstalten. Für diejenigen, die keine der exklusiven Eintrittskarten für eine seiner Lesungen mehr ergattern konnten, präsentiert Amazon.de, Deutschlands führendes Medien- und Kulturkaufhaus, die Lesereise im Internet. Darüber hinaus bietet Amazon.de noch rund 90 eigenhändig vom Autor fotografierte, numerierte und signierte A3/A4 „Deutsches Theater“-Galeriemotive an sowie eine Postkartenedition mit 32 Bildmotiven.

Für ein solches „Mediengetröte“ gibt es nur zwei Erklärungsmöglichkeiten: Entweder ist das Buch so genial, wie es Benjamin von Stuckrad-Barre in seinem Vorwort verspricht und verdient somit eine solche Prozession, oder aber hinter seinem „Großprojekt“, seiner „Lebensaufgabe“ verbirgt sich nur heiße Luft, die der Autor immer wieder von neuem produzieren muß, bevor sie verpufft. Wahrscheinlich, um eben diesem Eindruck der Substanzlosigkeit vorzubeugen, stellt Benjamin von Stuckrad-Barre seinen eigenen Texten drei Zitate voran: Neben Thomas Bernhard und Gerhard Schröder findet man an erster Stelle eine Äußerung des weniger bekannten amerikanischen Soziologen Erving Goffman: „Der ganze Apparat der Selbstinszenierung ist natürlich umständlich; er bricht manchmal zusammen und enthüllt dann seine einzelnen Bestandteile ...“

Ein solchermaßen die eigenen Absichten demaskierendes Zitat seinen eigenen Zeilen quasi als Motto voranzustellen, zeugt entweder von der Dummheit Benjamin von Stuckrad-Barres oder macht deutlich, welche Denkfähigkeit er bei seinen Lesern erwartet bzw. eben nicht erwartet. Dementsprechend präsentiert er auch einen „Lifestyle-Enthüllungsjournalismus“ (taz), der kaum über Bild-Zeitungsniveau hinausreicht. Zwar versucht er, bestimmte Strukturen und Verhaltensmuster zu entlarven, wenn er zum Beispiel als überlebensgroßes Handy verkleidet für eine Promotion-Firma durchs Berliner Olympiastadion hüpft oder sich beim Fischbrötchen-König Gosch auf Sylt als Lohnarbeiter einschleicht. Von einer Wallraffschen Moral sind von Stuckrad-Barres Reportagen aber weit entfernt - an Stelle von Idealismus tritt bei ihm nur schnoddriger Spott. Er demaskiert die Gesellschaft nicht, um etwas zu verändern oder zu verbessern, sondern um zu unterhalten.

Sicherlich auch eine Art Selbstschutzmaßnahme, da er selbst Teil der Medienwelt ist, die er beschreibt. Schließlich läßt er bei seinen Auftritten in diversen Talk-Shows auch keine Peinlichkeit aus: Sei es, daß er sich auf seiner Lesung in Bremen von einer Frau aus dem Publikum den Kopf kahl rasieren läßt, um die müde Stimmung zu retten, oder daß er bei Götz Alsmann („Zimmer frei“) den Suppenkaspar spielt und sich mit Grünkohl beschmiert, fünf Minuten später aber mit der Moderatorin „Ich steh’ an deiner Krippen hier“ anstimmt.

Wie gut, daß Benjamin von Stuckrad-Barre ausschließlich anhand seiner Texte bewertet werden möchte. Allerdings kommt er dabei auch nicht viel besser weg, denn wie sagt er doch selbst in einer seiner Reportagen: „...irgendwann banalisiert die ewige Wiederkehr noch alles.“ Ebenso ammaßend ist seine Ankündigung im Vorwort, „... daß die Fotografie, zunächst gedacht als zusätzliche Notizmöglichkeit, sich schon bald als weitere, unendlich sich verästelnde Darstellungsform erwies.“ Daß sich die Visualisierung seit den siebziger Jahren immer mehr steigert und die Bilder an Stelle der Worte treten, ist nichts Neues. Die Bilder des Buches haben keinerlei artifiziellen, sondern vielmehr dokumentarischen Charakter, es sind Momentaufnahmen und Schnappschüsse. Fotos und Texte ergeben eher ein wahlloses Potpourri als eine kritische Aussage.

Wenn man sich nun fragt, was eigentlich das spezifisch Deutsche an diesen Schmierenkomödien sein soll, erhält man die erhellende Auskunft: „Alles, worüber ich schreibe, ist spezifisch deutsch...“ (Welt am Sonntag). So einfach ist das. Verwirrend ist nur, daß der Autor im gleichen Interview bekennt: „Eigentlich fehlt alles.“ Endlich mal eine Aussage von ihm, die nicht nur eine leere Versprechung beinhaltet, sondern hundertprozentig stimmt. Monika Ewert

Benjamin von Stuckrad-Barre: Deutsches Theater. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001, 283 Seiten, 12,90 Euro


 
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