© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002

 
Nur zweite Wahl?
Zur Buchmesse in Leipzig
Ekkehard Schultz

Es besteht kein Anlaß zum Schwarzsehen, wohl aber zum Nachdenken. Dieser alte Leitsatz läßt sich in besonderem Maße auf die traditionsreiche Leipziger Buchmesse anwenden. Zwar stimmen die vordergründigen Zahlen (über 65.000 Besucher im letzten Jahr) eher optimistisch. Doch das Bild einer nahezu perfekt organisierten und überall gelobten Ausstellung hat in den letzten Jahren deutliche Kratzer bekommen.

Zunächst wäre da das Terminproblem. Mittlerweile sind auch namhafte Großverlage dazu übergegangen, auf einen Katalog der frühjährlichen Neuerscheinungen entweder ganz zu verzichten oder diesen stark zu reduzieren. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Einerseits liegt der Messetermin noch zu nahe am Weihnachtsgeschäft, andererseits sind die Monate März, April, Mai die Zeit der Hauptplanung für das kommende Winterhalbjahr. Der Leipziger Termin liegt also zwischen zwei entscheidenden Phasen des Verlagsgeschäfts, vielleicht gut zur Repräsentation, aber wenig bedeutsam für den Jahresumsatz, der sich auch in Hinblick auf die hochgesteckten Erwartungen des osteuropäischen Marktes nicht erfüllen konnte, da dieser aus Kostengründen den Messeplatz an der Pleiße bislang mied.

Ein Pluspunkt der Leipziger Messe ist zweifellos die Veranstaltungsreihe „Leipzig liest“. Auch in diesem Jahr werden die Besucher ihre Mühe haben, sich einen Weg durch den Dschungel aus über 900 Lesungen undPodiumsdiskussionen zu ebnen. Doch warum wird dieser Veranstaltungsmarathon nicht auf das gesamte Jahr, sondern lediglich auf vier Messetage verteilt? Gerade weil aufgrund des kommunalen Sparzwangs ansonsten eine erhebliche Reduzierung des Angebots an Ausstellungen, Vorträgen und Lesungen zu registrieren ist, wäre es um so zwingender, das Motto „Leipzig liest“ ganzjährig zum Leben zu erwecken.

In Wirklichkeit täuscht die Großveranstaltung in ihrem Bezug auf den Ausrichtungsort etwas vor, was in der Realität leider nicht existiert - nämlich eine Buchstadt Leipzig. Längst sind die großen Hoffnungen der Branchenoptimisten zerstoben, die eine Anknüpfung des Standortes an alte Verlagstraditionen voraussagten. Den schweren Aderlaß durch Krieg und „Sozialismus“ hat die Stadt bis heute nicht überwunden, die wenigen existenten Klein- und Kleinstverlage haben - ebenso wie die Gesamtbranche - mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Generell wäre es daher angebracht, sich in Zukunft weniger Gedanken um das Projekt Leipziger Buchmesse zu machen, als vielmehr die Substanz einer zukünftigen „Bücherstadt“ gezielt zu fördern.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen