© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002

 
BLICK NACH OSTEN
Ruhig sein und den Mund halten
Carl Gustaf Ströhm

Zwölf Stunden lang „bekniete“ (oder erpreßte) EU-Koordina-tor Javier Solana den Präsidenten Montenegros - dann war Mile Djukanovic schließlich bereit, auf ein Referendum und auf die volle staatliche Unabhängigkeit zu verzichten - zunächst jedenfalls. Das kleine Montenegro bildet nun mit dem weitaus größeren Serbien einen gemeinsamen Staat, der aber nicht mehr „Jugoslawien“ heißt. Dies war wohl eine Konzession an die Montenegriner.

Die Kapitulation der Republik Montenegro vor der EU-Dampfwalze, die Kredit- und Subventionsverweigerung gedroht hatte, wurde in Belgrad vom jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica und von Serbiens Ministerpräsident Zoran Djindjic besiegelt. Aufhorchen ließ die Behauptung Kostunicas, der neue Staat „Serbien und Montenegro“ sei weder eine Konföderation noch ein lockerer Staatenbund, sondern „etwas ganz Neues“. Wer mit einer solch schwammigen Definition beginnt, darf sich nicht wundern, wenn es zum Auslegungsstreit kommt. Oder hat man es darauf angelegt?

Serbien und Montenegro werden nun nur fünf gemeinsame Ministerien haben: Außenpolitik, Verteidigung, Außen- und Binnenhandel sowie „Menschen- und Minderheitsrechte“. Den Uno-Sitz wird man sich teilen. Man braucht kein besonderer Balkan-Kenner zu sein, um vorauszusehen, daß dieses ganze Konstrukt eine Quelle ständigen Streits sein wird - und das größere Serbien Montenegro unvermeidlicherweise an die Wand spielen wird. Insofern ist die Begeisterung westlicher Politiker für den „Kuhhandel“ zwischen Belgrad und Podgorica ein Zeichen von Naivität oder von schlauem Verbergen der wirklichen Motive.

Die Rücksichtslosigkeit, mit der die EU Djukanovic fallen ließ, läßt für den Umgang Brüssels mit den kleineren Aufnahmekandidaten nichts Gutes ahnen. Zum anderen aber wird deutlich, wie stark das Interesse mancher westlicher Kreise ist, Serbien und Belgrad erneut als Machtzentrum im Südosten aufzubauen. Die „Entsorgung“ von Milosevic nach Den Haag macht es möglich.

Für die langfristige Stabilität auf dem Balkan wäre ein unabhängiges Montenegro die beste Lösung gewesen. Ein solch kleiner Staat mit beachtlichem touristischen Potential und im Besitz von Adria-Küste und Häfen wäre von Haus aus ein Gegengewicht gegen großserbische Ansprüche - etwa gegenüber Kroatien (Dubrovnik). Das ungleiche Paar, das jetzt herauskam, muß auf die Dauer den stärkeren Partner animieren, sich gegenüber dem Schwächeren durchzusetzen. Glaubt jemand im Ernst, die Nato würde intervenieren, wenn eines Tages Belgrad die Montenegriner wieder restlos vereinnahmen würde?

Hinter dem beschämenden Schauspiel, bei dem einem Volk das Selbstbestimmungsrecht verweigert wird, steht einesteils die Bequemlichkeit der Brüsseler Bürokraten: die da unten sollten gefälligst ruhig sein, den Mund halten und tun, was die EU von ihnen verlangt! Daß solche Forderungen von jenen erhoben werden, welche sich stets auf „Demokratisierung“ berufen, tut nichts zur Sache.

Zum anderen aber wird man den Verdacht nicht los, daß das Konzept, man müsse in Mitteleuropa mit Hilfe von Serben und Tschechen die potentiell angeblich gefährlichen Deutschen im Zaum halten, noch immer in manchen (westlichen) Köpfen grassiert. Und die Montenegriner tun das, was auf dem Balkan seit Jahrhunderten üblich ist: Sie ziehen zunächst den Kopf ein, kassieren den Bakschisch - und warten auf die nächste Gelegenheit, den Westen übers Ohr zu hauen.


 
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