© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002

 
Nervosität unter tropischer Sonne
Südostasien: Islamisten und illegale Einwanderer machen der Vielvölkerregion zunehmend zu schaffen
Albrecht Rothacher

Mit der Schlagzeile „Deutscher droht in Singapur wegen Drogenschmuggels Todesstrafe“ tauchte letzte Woche wieder einmal Südostasien in der deutschen Presselandschaft auf. Bei einer 23jährigen Deutschen hatte die Drogenpolizei des Stadtstaates 687 Gramm Marihuana gefunden. Nach Polizeiangaben soll sie zusammen mit zwei Einheimischen im Alter von 33 und 21 Jahren Bars und Nachtklubs von einem kleinen Geschäft aus mit Rauschgift beliefert haben. Reißerisch wurde berichtet, daß von 1991 bis 2000 insgesamt schon 247 Menschen wegen Drogenvergehen gehängt wurden. 1994 sei sogar ein Niederländer hingerichtet worden, obwohl sich selbst Königin Beatrix für ihn eingesetzt hatte. Den wirklich brisanten Problemen der Region wurde wie so oft keine Zeile gewidmet.

Nach Dutzenden von Verhaftungen in Singapur, Malaysia und in den Philippinen und der Aufdeckung weitgehender Terror- und Destabilisierungspläne islamistischer Zellen sind die Regierungen Südostasiens sehr nervös geworden. Neben den polizeilichen Ermittlungen, bei denen man bislang vergebens das zunehmend führungslose Indonesien einzubeziehen sucht, werden die alten Patentrezepte verzweifelt bemüht: In Singapur die autoritären Kampagnen zur Rassenharmonie, in Malaysia die Propagierung eines modernen Islam, die Begünstigung der einheimischen Malaien und die Massendeportation indonesischer Gastarbeiter, in den Philippinen die amerikanische Militärhilfe zur Unterstützung der in der Bandenbekämpfung unfähigen einheimischen Armee.

In Malaysia wurden 21 Islamisten verhaftet, die einen christlichen Politiker ermordet, chinesische Tempel gesprengt und Banküberfälle zur Finanzierung des Jihad durchgeführt hatten. In Singapur waren im Dezember vier Zellen der Jemaah Islamiah (JI) mit 23 Mitgliedern zerschlagen worden. Von ihnen konnten 15, darunter einer der Anführer, der Geistliche Abu Bakar Bashir, verhaftet werden. Acht entkamen nach Indonesien. Flüchtig ist auch der mutmaßliche Drahtzieher aller malaiisch-singapurianischen JI-Zellen, der Kebab-Verkäufer und Afghanistan- Kämpfer Hambali, dem im zunehmend gesetzlosen islamischen Indonesien kein Haar gekrümmt wird. In Singapur kam die Polizei Sprengstoffanschlägen auf einen US Militärtransport und die Botschaften der USA, Englands, Australiens und Israels nur knapp zuvor.

In ersten Geständnissen offenbarten die summarisch nach den örtlichen Notstandsgesetzen zunächst zwei Jahren lang ohne Prozeß inhaftierten JI-Aktivisten ihre Ziele: Sie wollen die Destabilisierung Südostasiens und planen einen islamischen Gottesstaat als Union von Indonesien, Malaysia, Brunei, Singapur, den Südphilippinen und dem Süden Thailands. Nach der Ausmerzung der Ungläubigen würde dieses Islamreich 300 Millionen Menschen umfassen.

Schon im Dezember 2000 hatte eine Bombe des regionalen Sprengmeisters der JI, des in den Philippinen verhafteten Rahman al Ghozi, alias „Mike“ oder „Randy Ali“, in Manila mit 14 Toten zur weiteren Destabilisierung und zum Sturz der unpopulären und korrupten Regierung Estrada beigetragen.

Während die von der al-Quaida in Afghanistan, Pakistan und in Dschungellagern in Malaysia und auf Mindanao ausgebildeten JI Kämpfer in Singapur meist der malaiischen Mittelschicht entstammen, wurden in Malaysia hauptsächlich schlecht bezahlte indonesische Plantagen- und Bauarbeiter rekrutiert. Auch die drei identifizierten Führer, der Geistliche Abu Bakar Bashir, der Prediger Iqbal und der flüchtige Hambali, stammen aus Indonesien.

Malaysia hat ein zweites Sicherheitsproblem in der auf Nordborneo gelegenen Provinz Sabah. Dort haben sich unter süphilippinischen Immigranten aus Mindanao, die mit den örtlichen Eingeborenen ethnisch eng verwandt sind, die Politgangster von Abu Sayyaf, die sich geschäftsschädigend auf die Piraterie und das Entführen von Touristen und Missionaren spezialisiert haben, breit gemacht.

Malaysia begann seither mit drakonischen Mitteln sich seiner auf eine Million geschätzter legaler und illegaler Fremdarbeiter aus Indonesien und den Philippinen zu entledigen. Die Betroffenen reagieren oft mit gewalttätigen Krawallen, was die Deportationsstimmung weiter anheizt . Manche flüchten nach der Zerstörung ihrer Brettersiedlungen in den Dschungel. Die meisten aber kommen in stacheldrahtbewehrte Abschiebelager und werden per Sammeltransport im Schiff in den nächsten indonesischen oder philippinischen Hafen geschafft. Wer illegal zurückzukommen versucht, dem droht die Auspeitschung.

Für die harte Linie der Australier, die ihre illegalen Einwanderer mittlerweile auf Pazifikinseln oder in Wüstenlagern internieren, hat man in Südostasien durchaus Verständnis. Denn zu lange hat Australien unter seinen linken Labour-Regierungen die verlogenen Opfergeschichten seiner Wirtschaftsasylanten glauben wollen und seine nörddlichen Nachbarn mit lautstarken moralisierenden Vorhaltungen von der Todesstrafe für Drogenkuriere bis zur Brandrodung der Urwälder genervt. So wird die neugefundene Härte der von einer Verbrechenswelle geplagten Australier mit stiller Genugtuung genossen.

Singapur selbst hat seine Migrationslage im Griff. Wer Illegale beschäftigt, landet im Gefängnis. Wer sie beherbergt, verliert sein Haus. Asyl wird nicht gewährt. Die zahllosen Kontraktarbeiter werden nach dem Auslaufen ihrer Verträge ausnahmslos repatriiert. Doch es sind auch die einheimischen Muslime, die zunehmend Sorge bereiten.

Die letzten blutigen Rassenkrawalle, die Urangst jeder ethnisch und religiös inkompatibel gemischten Gesellschaft, liegen zwar 35 Jahre zurück. Doch allwöchentlich erinnern brennende Kirchen und geplünderte chinesiche Geschäfte auf den benachbarten indonesischen Inseln an die menschlichen und wirtschaftlichen Kosten einer solchen Katastrophe, die oft von emotionsgeladenen Bagatellen oder von absichtsvoll ausgestreuten Gerüchten ausgelöst wird.

Die jüngste „Kopftuchaffäre“ kam deshalb zur Unzeit. Vier malaiische Eltern hatten ihren kleinen Töchtern das Tragen von Kopftüchern („tudung“) zum Schulgang befohlen. Der Tudung ist aber, wie alle anderen religösen Symbole, bei den in Singapur üblichen Schuluniformen nicht zulässig. Deshalb erhielten die Mädchen, als ihre Eltern trotz der Appelle der offiziösen Muslimgemeinschaft nicht einlenken wollten, bis auf weiteres Schulverweise.

Aus Sicht der Schulbehörden grenzen sich die Tudungträgerinnen noch mehr als sonst von ihren anderen Mitschülern ab und machen durch diese frühe selbstgewählte Segregation das Ziel der Rassenintegration noch illusorischer. Ohnehin haben Chinesen, westlich erzogene wie traditionell gesonnene, Inder und Malaien sehr unterschiedliche soziale Sitten, Kleidungs- und Essensregeln, Feiertage, Religionen, Sprachen und familienrechtliche Traditionen, die sie alle sehr ernst nehmen.

Selbst nach dem planvollen Abbruch aller ethnischen Ghettos und der Umsiedlung in rassisch gemischte moderne Hochhaussiedlungen kann stets nur von einem kontrollierten Nebeneinander, denn von einem spontanen Miteinander der Ethnien die Rede sein. Das offizielle Singapur reagiert auf die aktuellen Spannungen mit den üblichen, auch aus Europa bekannten Methoden der wohlintendierten Zwangspädagogik. Täglich berichten die staatsnahen Medien von netten Malaienjungen, die alten Chinesinnen über die Straße helfen. Multirassische Feuerwehrleute bekunden sich im Fernsehen ihre Kameradschaft. Adrette Jugendliche picknicken ethnisch korrekt zusammengesetzt fröhlich am Strand. Dies hat wohl deshalb Nachrichtenwert, weil es in der Wirklichkeit so selten passiert.

Singapurs Premier Goh Chok Tong warnte daher auf dem Commonwealth-Gipfel in der australischen Stadt Coolum: Nur durch das wiederhergestellte Vertrauen zwischen Volksgruppen und Religionen könne man den Krieg gegen den Terror gewinnen. Singapur hat mit dem von den Engländern 1961 hinterlassenen Vielvölkergemisch in einer muslimisch dominierten Weltregion auch keine andere Wahl.


 
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