© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/02 22. März 2002

 
Zwischen den Mühlsteinen der Vermittler
Zuwanderungsgesetz: Mit großer Wahrscheinlichkeit wird der Entwurf neu verhandelt
Alexander Barti

Am 22. März entscheidet der Bundesrat über das Zuwanderungsgesetz. Da der Wähler die einzelnen Passagen nicht kennt, ist für ihn die Debatte um die Zuwanderung eine Frage des Gefühls. Nach einer Emnid-Umfrage, die am 19. März in der Welt veröffentlicht wurde, wollen 56 Prozent der Wähler ein Gesetz, das die Zuwanderung begrenzt; lediglich neun Prozent möchten mehr Immigranten. Gleichwohl sind sich 68 Prozent der Unionswähler im Klaren darüber, daß sie in einer Multikulti-Gesellschaft leben, obwohl ihre Parteioberen das bestreiten. Nachdem die Union den Vermittlungsausschuß angerufen hat, glauben 62 Prozent der Wähler, daß es sich um eine wahltaktische Maßnahme gehandelt hat; gleichwohl vermuten 51 Prozent, daß die rot-grüne Gesetzesvorlage scheitern wird. Dabei wünschen sich 77 Prozent der Bürger sich ein gemeinsames Konzept von Regierung und Opposition; der Wunsch nach einem breiten Konsens beweist auch, daß sich die Bürger der Wichtigkeit des Themas „Zuwanderung“ bewußt sind.

Konzessionen wurden von der Union übergangen

Im Vorfeld der Bundesratsentscheidung erklärte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering am 18. März, es gäbe „keinen Anlaß dazu, im Gesetzgebungsverfahren zum Zuwanderungsgesetz den Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat anzurufen.“ Entsprechende Forderungen der Union wertete er als ein bloßes „Herumtaktieren“. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erklärte in ähnlicher Tonlage, daß ein Vermittlungsversuch bei den fraktionsübergreifenden Gesprächen längst gelaufen sei; man habe „bedeutende Konzessionen gemacht“. Unter anderem ist das Nachzugsalter der Kinder von Einwanderern auf zwölf Jahre gesenkt worden.

Die innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke, erklärte am 19 . März, daß sie an die Ablehnung von Rot-Grün im Vermittlungsausschuß nicht glaube, da der Ministerpräsident von Brandenburg, Manfred Stolpe (SPD), „offenbar dem Druck seines Koalitionspartners Schönbohm (CDU) nachgegeben“ habe: „Im Hinblick auf die Bundesratssitzung am 22. März besteht Einigkeit, gegebenenfalls eine Anrufung des Vermittlungsausschusses zu einigen konkreten Punkten zu unterstützen“, ließ Stolpe verlautbaren. Ein Vermittlungsverfahren gerade beim Zuwanderungsgesetz, so Jelpke weiter, könne nur zu „noch erheblicherer Verschlechterung der Lage für hier lebende Migranten und Flüchtlinge führen. Denn die Union hat bereits angekündigt, das ganze Gesetz auf den Prüfstand stellen zu wollen“. „Errungenschaften“ wie zum Beispiel der Flüchtlingsstatus für Opfer nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung seien durch eine Überarbeitung der Vorlage gefährdet.

Gleichfalls am Dienstag berieten vier Landesregierungen über ihr Abstimmungsverhalten zum Zuwanderungsgesetz. Das brandenburgische Kabinett von SPD/CDU kam in Lübben bei Cottbus zusammen und entschied sich für ein Vermittlunsgverfahren, ebenso die SPD/FDP-Landesregierung in Rheinland-Pfalz.

Die baden-württembergische Regierung aus CDU und FDP hat sich am Dienstag in Stuttgart ebenfalls festgelegt. Offen war bei Redaktionsschluß, ob das Land auch einemVermittlungsverfahren zugestimmt hat.

Stoiber will ein Gesetz der Zuwanderungsbegrenzung

Die Hessische CDU/FDP-Landesregierung ist nach den Worten von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) „grundsätzlich bereit“, den Vermittlungsausschuß anzurufen. Allerdinsg sei Voraussetzung, daß es „substanziell etwas zu vermitteln“ gebe und ein „vernünftiges Ergebnis“ erzielt werden könne. Man wolle genau beobachten, ob die SPD zu weiteren Zugeständnissen bereit sei.

Bayerns Ministerpräsident und Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber bedauerte die klare Absage von Schröder, in einem Vermittlungsverfahren das rot-grüne Zuwanderungsgesetz grundsätzlich in Richtung Zuwanderungsbegrenzung zu ändern und damit konsensfähig zu machen. Eine grundlegende Überarbeitung des Gesetzes hätte die Chance geboten, so Stoiber, daß ein „echtes Zuwanderungsbegrenzungsgesetz auch von der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung mitgetragen und unterstützt“ worden wäre.

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle zeigte sich mit der Entscheidung von Rheinland-Pfalz, den Vermittlungsausschuß anzurufen, zufrieden, „da diese eine sinnvolle Präzisierung von Einzelaspekten zulasse“. Nachbesserungsbedarf besteht aus Sicht der FDP bei hoch qualifizierten Einwanderern, für die das Verfahren unbürokratischer gestaltet werden müsse, sowie bei der Beteiligung der Einwanderer an Kosten für Integrations- und Sprachkurse.

Brüderle erklärte, die Zuwanderungsregelung werde an der Stimme von Rheinland-Pfalz nicht scheitern. Sollte Brandenburg das Gesetz im Bundesrat ablehnen, werde sich Rheinland-Pfalz „im Sinne eines konstruktiven Föderalismus der Stimme enthalten“. Es sei völlig normal, „Gesetze im Vermittlungsausschuß nachzubessern“, bekräftigte der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Wolfgang Gerhardt.


 
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