© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   13/02 22. März 2002


Eine Armee wird geplündert
Die Bundeswehr blutet finanziell und personell aus - und die Politik sieht zu
Paul Rosen

Wir sind doch wieder wer! Nach Wirtschaftswunder und Wiedervereinigung ist das kleinste Deutschland aller Zeiten jetzt auch militärisch mit von der Partie. In Afghanistan räuchern deutsche Eliteeinheiten al-Quaida-Nester aus, am Horn von Afrika schippern deutsche Fregatten, und auf dem Balkan wackeln die Häuser, wenn deutsche Panzer vorbei in den Einsatz fahren. Kanzler Gerhard Schröder und seine rot-grüne Koalition haben die Bundesrepublik auch militärisch in die Liga der Global Players geführt. Doch die notwendige Durchhaltefähigkeit, um auf Dauer im Club der Großen mitzumachen, existiert nur auf dem Papier. Es fehlt an Geld, die Stimmung in der Truppe ist mies, und die Wehrpflicht wankt.

Des Kanzlers Wort von der „uneingeschränkten Solidarität“ mit den USA nach den Anschlägen vom 11. September hat allerdings ein jahrzehntelanges deutsches Dogma beseitigt: Nie wieder, so war es Staatsräson in der jungen Bundesrepublik, sollten deutsche Soldaten an den Kriegsschauplätzen dieser Welt dabei sein. Helmut Kohl, da darf man sicher sein, hätte keinen einzigen Kampfsoldaten nach Afghanistan entsandt. Doch der Abstieg aus der ersten Liga ist vorprogrammiert: Der neu entdeckten rot-grünen Lust am militärischen Kampf folgte keine Bereitstellung von ausreichenden Haushaltsmitteln. Die 750 Millionen Euro, zusätzlich aufzubringen von Rauchern und Versicherungskunden, sind ein Tropfen auf den heißen Stein.

Denn in den Köpfen von Schröder, seinem Finanzminister Hans Eichel (SPD) und besonders der grünen Haushaltspolitiker ist der Verteidigungsetat noch immer der Steinbruch, aus dem die Bausteine für andere Projekte geholt werden können. Gerade an die Macht gekommen, setzte Rot-Grün die Haushaltsmittel für die Bundeswehr herunter. Im Gegenzug wurde die Truppe in immer mehr Auslandseinsätze geschickt. Die derzeit pro Jahr bereitgestellten rund 23 Milliarden Euro reichen hinten und vorne nicht. Nachschub und Materialerhalt sind praktisch am Ende, die Soldaten fahren mit Fahrzeugen, die älter als die Fahrer sind. Für 1.000 Mann in Afghanistan gab es zunächst nur sechs minensichere Fahrzeuge, deren Zahl jetzt leicht aufgestockt wird. Patrouillenfahrten werden so zum russischen Roulette.

Das beste Beispiel, wie Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, bietet das Transportflugzeug vom Typ Airbus, von dem die Bundeswehr 73 Maschinen bestellen will. Der Flieger, der die 30 Jahre alte „Transall“ ersetzen soll, kostet je nach Finanzierungsvariante zwischen 8,5 und 9,4 Milliarden Euro. Dafür ist jedoch kein Cent eingeplant, obwohl Schröder den Verbündeten mehrfach die deutsche Beteiligung an dem Projekt zusagte. Die immer wieder genannten 5,1 Milliarden Euro sind nur „Verpflichtungsermächtigungen“. Wie der Name schon sagt, wird die Regierung damit ermächtigt, Verpflichtungen in dieser Höhe einzugehen. Wie sie diese dann bezahlen will, steht auf einem ganz anderen Papier.

Für militärische Beschaffungen stehen in der Bundeswehrplanung jedoch maximal 3,5 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung. Der Bundesrechnungshof wies bereits darauf hin, daß die Beschaffung aller 73 Flugzeuge zu jährlichen Belastungen zwischen 1,027 Milliarden und 1,373 Milliarden Euro führen wird. Dadurch und durch die parallel laufenden Luftfahrzeugprogramme wie Eurofighter, Unterstützungshubschrauber Tiger und NH 90 ergeben sich jährlich Spitzenbelastungen bis zu drei Milliarden Euro. Der Rechnungshof: „Dieser Haushaltsmittelbedarf wird entweder zu erheblichen Verdrängungseffekten bei den übrigen Bundeswehr-Vorhaben führen oder eine deutliche Verstärkung des Einzelplans 14 (Verteidigung) erforderlich machen.“ Da Eichel jedoch kein Geld übrig hat, ist absehbar, daß die Bundeswehr finanziell an die Wand gefahren wird. Die kostspieligen Luftfahrtprogramme und gleichzeitig notwendige Ersatzbeschaffungen für Heer und Marine lassen sich nicht mehr finanzieren.

Die Bundeswehr-Reform, mit der Verteidigungsminister Rudolf Scharping durch Privatisierungen Milliarden einsparen wollte, steht praktisch vor dem Scheitern. Die Milliarden-Erlöse blieben aus, von der Privatisierungsgesellschaft GEBB profitierte bisher nur das Geschäftsführungspersonal. Die geplanten Privatisierungen von Fuhrpark, Kleiderkammern und Telekommunikation stoßen auf immer größere Schwierigkeiten. Die Stimmung in der Truppe wird zunehmend schlechter. Verbände, die in Auslandseinsätze gehen, können manchmal nicht mehr in ihre Heimatstandorte zurück, weil sie inzwischen aufgelöst sind. Die Verweildauer im Ausland ist mit sechs Monaten zu lang. Jetzt rächt sich, daß die Bundeswehr-Strukturen nicht früher reformiert worden sind. Denn in Wirklichkeit ist das deutsche Heer auch heute noch auf die Abwehr einer großen Panzerarmee aus dem Osten ausgelegt. Dieser Feind wird aber nicht mehr kommen.

Der von Bundeswehr-Angehörigen in die Öffentlichkeit gespielte „Löchel-Bericht“ sollte von allen politisch Verantwortlichen als Alarmsignal wahrgenommen werden. General Dieter Löchel, Beauftragter des Generalinspekteurs für Erziehung und Ausbildung, hatte aus zahlreichen Gesprächen mit Soldaten und Offizieren ein bitteres Fazit gezogen: „Die Truppe steht nicht mehr vorbehaltlos hinter der militärischen Führung.“ Die Soldaten beklagten, es gebe auf Fragen keine Antworten mehr, sondern „nur noch politisches Gelaber“. Der Klarstand bei Fahrzeugen und Flugzeugen ist offenbar wegen fehlender Teile katastrophal. Die Meldungen, man sei einsatzbereit, wurden von Soldaten laut Löchel als „Märchen“ bezeichnet.

Desolat ist offenbar die Lage bei den Wehrpflichtigen. Zur Rekrutierungspraxis der Kreiswehrersatzämter heißt es, es herrsche der Eindruck vor, „daß man bei den Kreiswehrersatzämtern eher den Bodensatz der Gesellschaft einkauft“. Die Wehrpflichtigen von heute würden keinen Durchschnitt der Jugend darstellen. Wenn schon die Truppe selbst auf Distanz zu den jungen Männern geht, dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Wehrpflicht politisch nicht mehr zu halten ist. FDP und Grüne spekulieren auf ihre Ende, SPD und Union halten nur zögerlich daran fest.

Die Bundeswehr ist am Ende, ihr Minister Scharping nach Bade- und anderen Affären ebenfalls. Vollmundig hat Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber nach gewonnener Bundestagswahl mehr Geld versprochen. Doch woher er es nehmen will, verschweigt der CSU-Mann. Notwendig wäre erst ein Bewußtseinswandel der Spaßgesellschaft hin zum Grundverständnis, daß Sicherheit ihren Preis hat und dieser Preis auch bezahlt werden muß.


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