© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/02 15. März 2002

 
Neue Technologien: Studienfach Biochemie
Ethik nicht prüfungsrelevant
Angelika Willig

Biochemie studieren ist heute „angesagt“. Es könnte ein Modefach sein, wie einst die Soziologie, wenn nur die physikalischen Grundlagen nicht wären oder die unheimliche Wiederbegegnung mit einer verstaubten Schulmathematik. Bei dem Formelkram verliert das „Berufsziel Gentechniker“ schnell jeden Sex-Appeal. Die Biochemie muß man um ihrer selbst willen lieben - ohne Spekulation auf schnelle Erfolge. Wer wirklich verstehen will, wie die genetische Information in den einzelnen Körperzellen umgesetzt und realisiert wird, bringt die nötige Motivation mit. Besonders weibliche Studenten zieht das Fach an. Sie schätzen die ruhige, reinliche Atmosphäre im Labor und gehen gern mit natürlichen Stoffen um. Doch tief in der Frau steckt auch eine Hexe, und die blickt in jeden dampfenden Kessel mit der Hoffnung auf ein Monster. Darum sind Praktika so wichtig. Dort lernt der künftige Wissenschaftler Bescheidenheit. Schon eine Bakterienkultur kann viel Arbeit, aber auch viel Freude machen. So einfach, wie es sich der Laie vorstellt, ist das Hantieren mit Zellkernen, VirenTaxis und DNA-Abschnitten nicht. Doch allzu schwierig kann es auch nicht sein, wenn schon nach neun Semestern die kleinen Zaubermäuse auf die Menschheit, respektive die Wirtschaft losgelassen werden. Bereits nach dem Vordiplom besteht oftmals die Möglichkeit, Praktika und Übungen außerhalb der Universität abzuleisten und dabei beste Verbindungen für die Karriere zu knüpfen.

In das traute Verhältnis von Wissenschaft und Wirtschaft möchte sich nun auch die Politik einklinken. Der CDU-Bundesfachausschuß Forschung und Innovation hat gerade ein „Gesamtkonzept in der Bio- und Gentechnik“ vorgestellt. Hier wird die Biotechnologie als „Leittechnologie der nächsten Jahrzehnte“ bezeichnet und eine „verantwortbare“ Entwicklung versprochen. Kern der Entwicklungshilfe soll die Nachwuchsförderung sein, denn: „Achillessehne des Bio- und Gentechniksektors in Deutschland ist der Fachkräftemangel.“ Es stimmt: 28 Studenten pro Semester beispielsweise an der FU Berlin sind erschreckend wenig. Durch einen Spitzen-NC hält man das Institut klein. Von den 28 springt die Hälfte noch im ersten Jahr wieder ab. Wenn mehr zugelassen würden, gäbe es dann noch mehr Abbrecher? Offensichtlich handelt es sich nicht um ein Massenfach. Und eine Senkung der Anforderungen würde hier, anders als bei der Soziologie, sehr schnell offenkundig werden. Die angehenden Biochemiker und Biochemikerinnen sind also ganz offiziell unsere Hätschelkinder. Wir müssen beten, daß sie durchhalten und nicht zur Medizin überlaufen. Wobei das Fach Biochemie von den Medizinern gefürchtet wird. Und wir müssen beten, daß sie beim richtigen Arbeitgeber landen, denn für eine ethische Schulung bleibt zwischen Zellbiologie, Radiochemie und Protein Engineering verständlicherweise keine Zeit.


 
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