© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/02 15. März 2002

 
Schwadronieren, diskutieren und philosophieren
Vertreter aus Politik und Kultur suchten auf der Bildungsmesse 2002 das Heil der Bildungszukunft
Jutta Winckler

Vom 19. bis 23. Februar strömte das interessierte Publikum zur „Bildungsmesse 2002“, dem Zusammenschluß der drei vordem einzeln veranstalteten Fachmessen „Interschul“, „Didacta“ und „KiGA“.

Das an Kölns malerischer Rheinkulisse gelegene Messegelände weist stilistisch in die Zeit der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts; die Ziegelsteinmauern seines breit hingelagerten Hauptgebäudes spiegeln sich ebenso im Fluß wie der hochragende Eckturm, dessen Spitze noch immer den Schriftzug „4711“ trägt, der für ein weltberühmtes Duftwasser steht.

In einer von Rosa-Luxemburg-Schulen, Anne-Frank-Gymnasien und Carl-von-Osietzky-Universitäten geprägten BRD/DDR-Lehrkultur kann man nicht mehr erwarten, als Zeitgeist und insbesondere die deutsch-sonderweglichen Dogmen der „Vergangenheitsbewältigung“ hergeben. Neuerdings hat die Pisa-Studie, ein internationaler Leistungsvergleich in Sachen Schulbildung, die hiesige Republik der Gelehrten aufgeschreckt.

Das auf seine weltweit einzigartig erfolgreiche Wissens(re)produktion so stolze „Volk der Dichter und Denker“ war im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert überdies zu einem solchen der technischen Tüftler und genialen Erfinder geworden; zeitweise ging mehr als die Hälfte aller Nobelpreise an deutsche Forscher. Das war spätestens nach 1945 vorbei; Elitenverlust, Patentraub, und Forschungsbeschränkung, modernitätsfeindliche Selbstverbiedermeierung und, seit 1978, die fatale grünjakobinische Reideologisierung haben Deutschland kognitiv-edukativ enorm zurückgeworfen. Die politische Klasse hierzulande weiß, daß ihr Wohl und Wehe davon abhängt, daß das erreichte Wohlstandsniveau nicht wesentlich sinkt. Dazu sind vordere Plätze in Wissenschaft, Technik und Kommerz unabdingbar. Die aber sind dauerhaft nur zu erreichen, wenn die schulische Ausbildung ausreichende Qualität aufweist: Kulturtechniken wie Landessprache, Lesen, Schreiben, Rechnen und schlußfolgerndes Kombinieren müssen ebenso vermittelt werden wie Habituelles; dazu gehören mentale Disziplin, Konzentrationsfähigkeit, Abstraktionsvermögen, die Fähigkeit zu begrifflicher Ordnung und schulischer Fleiß.

Kulturtechniken fehlen ebenso wie der Lehrwille

Dazu müssen auf seiten des Lehrkörpers kommen: Fähigkeit und Wille zur rechtzeitigen Durchdifferenzierung des Schülermaterials mittels Zensuren sowie Beurteilungen im Blick auf weiterführende Abschlüsse bzw. die Aussonderung in spezielle Schultypen für sprach- und lernschwache Schüler. Dies gilt besonders im Hinblick auf ausländische Schüler, die in zunehmendem Maße den Unterricht belasten; aus „schwierigen“ sozialen Feldern stammend, fehlt ihnen oftmals jene Eignung, die sie dazu befähigen könnte, den schulischen Dingen ihren normalen Gang zu lassen. Doch in einem vor selbstauferlegten Denk-, Sprech- und Handlungstabus strotzenden Land ist es auch im Bildungsbereich schier unmöglich, wirkliche Abhilfe zu schaffen.

Auch auf der „Bildungsmesse 2002“ wurde von den üblichen Protagonisten wieder schwadroniert, diskutiert und philosophiert: Gabriele Behler (SPD), NRW-Ministerin, beschönigte die Lage an Rhein und Ruhr unter dem Motto: Wir haben einen Clement und der weiß was von Medien. Nadeem Elyas (JF-Interview 05/02), vom Zentralrat der Muslime (ZMD), stieß sich vor allem an der Vermittlung eines „Feindbildes Islam“ und mahnte Toleranz und Integrationsfreude an. In dieselbe Kerbe hieb der unvermeidliche Professor Faruk Sen, zwischen Ankara, Brüssel und Berlin jettender Chef seines steuerlich alimentierten, halbuniversitären „Essener Zentrums für Türkeistudien“, in dessen Papieren die BRD der nahen Zukunft geostrategisch als „westtürkische Einflußzone“ auftaucht.

Als Bildungsexperte äußerte sich Paul Spiegel, Zentralrat der Juden in Deutschland, über „jüdische Kultur als Unterrichtsthema in Deutschland“: die stehe „ganz im Banne des Holocaust“, wobei die „ungezählten“ Beiträge deutscher Juden zur „Entwicklung von Kunst, Politik und Kultur leider in den Hintergrund“ träten. Recht hat der Mann: Ohne die Ammoniaksynthese Fritz Habers, ohne die AEG Walter Rathenaus hätte das wilhelminische Kaiserreich den Krieg nach zehn Monaten wegen Munitionsmangels beenden müssen.

Mit Ausnahme der Habilitiertenlaufbahn scheint der Lehrberuf hierzulande in weibliche Hände geraten zu sein. Was böse Zungen dazu verleiten könnte, dies als eine von etlichen Ursache der gegenwärtigen Misere anzusehen. Der Rattenschwanz von Reformuniversitäten aus den sechziger und siebziger Jahren hat, was den wissenschaftlichen Ertrag anlangt, schlicht versagt. Es wurden enorme Mengen an Stellen geschaffen, um Klientelwirtschaft betreiben zu können. Unter dem Stichwort „Quotierung“ ist zu befürchten, daß nach der Damenprivilegierung eine Ausländerprivilegierung ins Haus stehen wird. Dann kommen abermals die zum Zuge, die weitestgehend leistungsunabhängig „einsteigen“ können.

Möllemann war ein Lichtblick im Kohl-Kabinett

Jürgen W. Möllemann (FDP), ein nonkonformer Lichtblick, sprach auf dem „Forum Bildung“; abermals stellte er, der ehemalige Lehrer, zupackenden Sachverstand und langfristige Zielperspektive unter Beweis. Ein Haufen Neider sucht Kohls erfolgreichen Bildungsminister nach wie vor schlechtzumachen: Kompetenz und Persönlichkeit haben es heutzutage schwerer denn je. Auch und besonders in der Schule, für deren Rundumerneuerung Möllemann sich stark machte. Neben allerlei bärtigen Gewerkschaftsbonzen und spinnerten, rotgrünen Quotenministerinnen gewahrte man auch den „katholischen“ Psychotheologen Eugen Drewermann, den in der Versenkung verschwundenen Ex-Liebling aller religiös ambitionierten Strickstrümpfe; mit seinem eigentümlichen Singsang trug er altbekannte Thesen zur Ausmerzung der Angst aus dem Dasein als solchem vor. Ob derlei „Aufrufe zur Menschlichkeit in der Schule“ die Pisa-Krise beenden können, mag man auf den unzähligen Pädagogik-Lehrkanzeln der Republik begrübeln; auch bei ihnen sollten endlich einmal Kosten und gesellschaftlicher Nutzen gründlich evaluiert werden.

Naturgemäß suchen viele das Heil der Bildungszukunft in den Untiefen von „Multimedia“. Ein schier unübersehbarer Ozean von elektronischen Lehrmitteln ergoß sich über die zahlreichen, oft ratlos bzw. unberaten wirkenden Besucher der Fachmesse. Das „Forum Multimedia“ stellte Bildungsnetzwerke vor, Unterrichtssoftware satt. Die Messe ist von der Kultusbürokratie als „Lehrerfortbildungsveranstaltung anerkannt“ und „auf dem üblichen Wege kann Dienstbefreiung beantragt werden“: Kein Wunder, daß die Pädagogenschaft in hellen Scharen auftauchte.

„Bildungspolitik“ dürfte zu einem wichtigen Wahlkampfthema 2002 werden; die einschlägigen Branchen beklagen sich über massive Umsatzeinbußen. Erstens spart man ohne Ende, zweitens schrumpfen die Schülerzahlen, drittens hat infolgedessen ein Schulsterben eingesetzt, und viertens versucht die Wirtschaft durch den Import „fertiger“ Leute, sich Ausbildungskosten zu ersparen. Längst herrschen im Bildungssektor, bei der Bundeswehr und der Gesundheitsfürsorge Mangelverwaltung. Die politische Klasse der Deutschen gibt Unsummen für die Alimentierung jenes Promillsplitters des Weltproletariats aus, der sich seit Jahrzehnten hierzulande institutional verfestigt hat. Zum Vorteil der Immobilienbesitzer, Sozialbürokraten und sonstiger Nutznießer dieses Mißstandes. Seit 1992 sind die Mittel für schulische Lehrmittel um dreißig Prozent zurückgefahren worden; von Lehrmittelfreiheit kann keine Rede mehr sein. Die Schüler bekommen zunehmend veraltetes Material, so Wolf Dieter Eggert, der Vorsitzende des Verbandes Bildungsmedien, „Europa ist da noch in Blöcke geteilt, gerechnet wird in Mark und die Rechtschreibreform hat nie stattgefunden.“ Insbesondere Eltern sozial schwacher Kinder werden ungebührlich hoch belastet, die Chancengleichheit ist in Frage gestellt. Eggert plädiert für „mehr Wettbewerb, mehr Effizienzkontrolle auf allen Ebenen“.

Das Heil der Bildung wird durch „Multimedia“ erhofft

Einen Beitrag dazu leistete die Messe mit ihren 830 Anbietern aus neun Ländern; das Angebot reichte von Kindergarten und vorschulischem Lernen über Schule, Hochschule und beruflicher Ausbildung bis zur Weiterqualifikation des älteren Arbeitnehmers. Der letzte Ausstellungstag lockte unter dem Motto „Erlebnistag Bildung“ das breite, interessierte Publikum an; Workshops, Mitmachaktionen und Schnupperaktionen rund um die Themen Bildung, Erziehung und Unterricht waren angesagt und wurden bestens angenommen. Eigens aus Kalifornien angereist war Ex-Fußballstar Jürgen Klinsmann, der sich für die Nutzung neuer Medien stark machte; die instruktive Sonderschau „Schulen ans Netz: Klasse im Internet“ wurde von ihm eröffnet. Freilich: Angesichts der Tatsache, daß die USA mehr als ein Drittel ihres zugewanderten Forschungspersonals aus Deutschen rekrutieren, scheint das öffentliche Alarmgeschrei nach dem „Pisa-Schock“ eher inszeniert. Die Dinge verdienen eine äußerst differenzierte Betrachtung.


 
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