© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/02 15. März 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Marktwert
Karl Heinzen

Die Staatsanwaltschaft München hat gegen mehr als tausend Mediziner an mehreren hundert Krankenhäusern im ganzen Bundesgebiet Ermittlungen eingeleitet. Ihnen wird vorgeworfen, gegen Ende der neunziger Jahre vom Pharmamulti Smith Kline Beecham (heute Glaxo Smith Kline) Zuwendungen dafür erhalten zu haben, daß sie Medikamente des Konzerns einsetzten. Manche der beschuldigten Ärzte sollen sogar auf PR-Reisen zu Formel-1-Rennen oder dem Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 1998 mitgenommen worden sein. Weitere 2200 Verfahren wurden offenbar bereits eingestellt.

Diese Verfahren kommen, so wenig die Verdächtigungen sich dann im nachhinein auch bestätigen oder gar zu Verurteilungen führen mögen, zur richtigen Zeit. Das Gesundheitsressort ist das einzige, in dem die amtierende Regierung noch den Hauch eines Willens zu einer sozialistischen Umgestaltung unserer Gesellschaft erkennen läßt. Dies ist möglich, weil sie hier nicht Überzeugungen entwickeln und ihnen Taten folgen lassen muß, sondern aufgrund der Verhältnisse einfach nicht anders kann. Der Glaube an Gerechtigkeit und Solidarität auch im Gesundheitswesen läßt sich nur dann aufrechterhalten, wenn alle gemeinsam Leistungsverschlechterungen als Schicksal zu ertragen bereit sind. Der Lernerfolg wird sich jedoch nicht einstellen, wenn die Macht der medizinischen Kulaken über das Bewußtsein ihrer Patienten keinen Dämpfer erhält. Man wird ihnen zwar nicht ohne weiteres untersagen können, in ihren Warte- und Behandlungszimmern eigennützig zu agitieren, aber man kann das Vertrauen, das ihnen immer noch viele entgegenbringen, untergraben. Wenn sie ein Medikament verschreiben, soll der Kranke nicht länger meinen, dafür gebe es einen medizinischen Grund. Er soll eine Bestechung vermuten und den latenten Neid, daß sich da jemand an seinem gesundheitlichen Problem eine goldene Nase verdient, ausleben dürfen. Die Freude, die aus Ulla Schmidts Empörung und ihrer Forderung nach strikter Aufklärung aller Fälle durchzuklingen scheint, ist also durchaus verständlich.

Aus den Ermittlungen läßt sich darüber hinaus ein pädagogischer Nutzen für die allgemeine Politik ziehen, der wenige Monate vor der Bundestagswahl nicht geringzuschätzen ist. Was immer der Kölner SPD im einzelnen auch vorzuwerfen sein wird, und wer immer in diese Affäre letztendlich auch sonst noch verstrickt sein mag: Man sollte diesen Vorfall nicht dramatisieren. Materiellen Verlockungen nachzugeben, ist ein Zeichen von Menschlichkeit - und gerade deren Mangel in der Politik wird ja nur zu oft beklagt. Jeder Akteur in der Ökonomie versucht, die Entscheidungen anderer zu seinen Gunsten zu beeinflussen, indem er ihnen einen Vorteil verspricht. Das hinter der Korruption stehende Prinzip ist also nicht systemwidrig. Was nicht käuflich ist, kann aber kaum bewertet werden. Mediziner und Politiker dürfen nicht beargwöhnt werden, wenn sie ihre Leistung auf ihre Weise dem Markt unterwerfen.


 
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