© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   12/02 15. März 2002


Cliquen, Klüngel, Karrieren
Der Kölner Spendenskandal offenbart die Krise des Parteienstaates
Michael Wiesberg

Als das Kölner Soziologenehepaar Scheuch vor zehn Jahren mit ihrer inzwischen fast sprichwörtlich gewordenen Untersuchung „Cliquen, Klüngel und Karrieren“ eine Art Psychogramm des Kölner Filzes lieferte, trafen sie einen neuralgischen Punkt. Sofort versuchten Vertreter aller etablierten Parteien, die Scheuchs als „pathologisch“ und die Studie als „unwissenschaftlich“ abzuqualifizieren.

Die laufende Kölner Spendenaffäre, in deren Mittelpunkt diesmal die Sozialdemokraten stehen, dokumentiert einmal mehr, daß die Studie der Scheuchs inzwischen als verifiziert gelten darf. Im Mittelpunkt dieser Studie stand das Verhalten von Politikern, das die Scheuchs insbesondere durch drei Kriterien charakterisiert sehen: durch die Unterstützung einer Seilschaft (die sogenannten Duzfreunde), durch das über die Medien vermittelte Ansehen und durch das Kapital von Gefälligkeiten, die in erster Linie dem politischen Gegner bzw. einflußreichen Bürgern erwiesen wird.

Dieses Beziehungsnetzwerk erklärt die auffällige Zurückhaltung der Unionsparteien in der laufenden Affäre. Nicht ohne Grund: Anfang dieser Woche berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger unter Berufung auf einen ehemaligen CDU-Angestellten, daß auch die Kölner CDU Großspenden unrechtmäßig gestückelt haben soll. CDU-Chef Richard Blömer beeilte sich, diesen Vorwurf zu dementieren. Es bleibt abzuwarten, wieviel dieses Dementi wert ist. Auch auf Bundesebene geben sich die Unionsparteien zurückhaltend. Die Ereignisse an Rhein und Ruhr eigneten sich nicht für „Häme oder Schadenfreude“, meinten Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) und die CDU-Vorsitzende Angela Merkel am Wochenende in Wörlitz. Beide wissen, warum.

Daß die Omertà, der sizilianische „Ehrenkodex“, dem Kölner Klüngel keine unbekannte Größe ist, zeigt die Tatsache, daß immer noch unbekannt ist, wer außer Ex-Ratsfraktionschef Norbert Rüther von Zahlungen im Zusammenhang mit dem Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage gewußt oder von diesen profitiert hat. Nach Feststellungen der Staatsanwaltschaft sollen mehr als 14,5 Millionen Mark an Schmiergeldern geflossen sein. Bei den bisher bekannt gewordenen Zahlungen an die SPD geht es derzeit „nur“ um rund 500.000 Mark.

Rüthers Vize Manfred Biciste hat die Spenden in Höhe von 75.000 bis 100.000 Mark, die nach dem Parteiengesetz veröffentlicht werden müssen, klein gestückelt. Deshalb stellte er verdienten Parteimitgliedern steuerlich absetzbare Spendenquittungen über Spenden, die diese nie geleistet hatten, aus. Darüber, welcher Spender die SPD so großzügig beglückte, will Biciste weiterhin nichts wissen bzw. gewußt haben. Inzwischen sickerte durch, daß den Finanzbehörden eine Liste von 42 SPD-Mitglieder vorliegen soll, die fingierte Spendenquittungen erhalten haben sollen. Darunter sollen sich auch Bundestagsabgeordnete aus Köln und dem Umland befinden.

Norbert Gatzweiler, Anwalt von Hellmut Trienekens, der als einer der Schlüsselfiguren der Kölner Parteispendenaffäre gehandelt wird, kritisierte, daß die SPD seinen Mandanten zum alleinigen Sündenbock machen wolle. Von den illegal verbuchten Parteispenden bei der Kölner SPD von mehr als 600.000 Mark stamme nicht einmal ein Fünftel von dem Müllentsorger aus Viersen. Es habe weitere anonyme Spender gegeben, die von Norbert Rüther geworben worden seien. Mit anderen Worten: Unternehmer haben sich, sollten sich die Vorwürfe bestätigen, eine ihnen angehme Politik schlicht gekauft.

Doch damit nicht genug: Der ehemalige SPD-Vorsitzende Kurt Uhlenbruch wird mit den Worten zitiert, Spendenquittungen hätten auch Handwerker, Lieferanten oder Parteifreunde erhalten. Die Bedachten konnten damit eine Steuererstattung vom Finanzamt erhalten, ohne zuvor Honorare zu bekommen und Einnahmen verbucht zu haben. Sie hätten sich damit ihren Lohn praktisch vom Finanzamt zurückholen können. Die SPD habe zudem für jede angeblich gewährte Spende staatliche Zuwendungen nach dem Parteiengesetz erhalten. Derartige Dienstleistungsspenden ohne echte Geldleistung sind nach dem Parteiengesetz streng verboten.

Ein Begriff wie „Klüngel“ ist für das Maß an asozialer Energie, das hier offenkundig geworden ist, eine Untertreibung. Tatsächlich haben wir es mit einer Formvon Ochlokratie zu tun, die in Deutschland immer weiter um sich greift. Der Ochlos, prinzipien- und begriffslos, wie er nun einmal ist, steht für die schleichende Deformierung der deutschen Gesellschaft. Er steht für den unauffälligen Systembruch und für die Ausplünderung von Unbeteiligten. Er steht für den schwachen Staat, der ihm die Umleitung öffentlicher Gelder in die eigene Tasche erleichtert.

Konsequenterweise spricht der Kölner Klüngelexperte Franz-Josef Antwerpes, bis 1999 Regierungspräsident, im Zusammenhang mit dem Spendenskandal auch nicht von einem „Skandal“, sondern wundert sich, wie „ein intelligenter Mensch (wie Rüther, d.V.) auf so plumpe Art und Weise“ die Spende habe verschleiern können. Weniger „plump“ wäre in den Augen von Antwerpes augenscheinlich verzeihlicher gewesen. Es ist im übrigen, um das Bild abzurunden, derselbe Antwerpes, dem 1998 der „Orden der Freundschaft“ durch Kubas kommunistischen Staatschef Castro verliehen wurde. Antwerpes hat sich beim Bundespräsidenten höchstselbst das Recht erstritten, diesen Orden tragen zu dürfen.

Man lasse sich nicht täuschen, wenn jetzt SPD-Politiker wie Müntefering oder Struck in inzwischen gewohnter Manier „brutalstmögliche Aufklärung“ fordern. Die auffällige Verbaltrommelei, mit der Müntefering Konsequenzen fordert, dürfte vor allem dem bevorstehenden Bundestagswahlkampf geschuldet sein. Denn Müntefering, zweifelsohne ein ausgebuffter Krisenmanager, weiß, was die Stunde geschlagen hat. Bis zum Ende des vergangenen Jahres war er Landesvorsitzender der nordrhein-westfälischen SPD. Zu seiner Zeit waren in Köln jene Geschäfte getätigt worden, die seiner Partei nun den Bundestagswahlkampf gründlich vermiesen könnten: gesetzwidrige Spenden, irreguläre Quittungen, möglicherweise Bereicherung und Korruption.

Daß die Vorgänge in Köln eine große Ausnahme darstellen, mag glauben, wer will. Der Kölner Selbstbereicherungskosmos ist Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels der Parteien weg von den Volks- hin zu Patronageparteien. Im Zentrum dieses Wandels steht der Berufspolitiker, der aus allen öffentlichen Angelegenheiten Beute- und Kompromißobjekte von Parteien und ihren Gefolgsleuten gemacht hat. Parteien sind heute soziale und wirtschaftliche Machtgruppen. In diesem Sinne agieren ihre Interessenvertreter und vor diesem Hintergrund müssen die Vorgänge in Köln gedeutet werden.


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