© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/02 08. März 2002

 
Nur eine Laune aus dem Kreml?
Auf die Stalin-Note vor 50 Jahren reagierte der West-Sektor ablehnend
Franz Fischer

Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland erreichte am 10. März 1952 ein überraschendes Angebot der Sowjetunion durch deren Diktator Josef Stalin, daß die Einheit des deutschen Volkes unter gewissen Bedingungen wiederzugewinnen sei. Der politisch Verantwortliche, der sich mit dieser sowjetischen Note auseinanderzusetzen hatte, war Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU). Doch der Kanzler war politisch beeinflußt oder nicht genau informiert; er hatte sich jedenfalls auf einen westlich orientierten politischen Kurs festgelegt. Andernfalls wäre er gezwungen gewesen, zwischen der Einheit des geteilten Volkes und der Freiheit der Bundesrepublik zu entscheiden. Wer ihn damals beraten oder beeinflußt hat, den Weg der Freiheit „nur“ für die Bundesrepublik zu wählen, ist bis heute nicht geklärt. Es fehlen nämlich die Parlamentsprotokolle aus dem Jahr 1952, was kein geringerer als der spätere Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) einräumen mußte.

Die Westorientierung Adenauers war schon 1949 festgelegt worden und als politisch bindend für die Partei der CDU/CSU; alle Politiker in den Westsektoren standen unter dem Einfluß der alliierten Hochkommissare. Schließlich hatten sich die Sieger des Zweiten Weltkrieges im August 1945 in Potsdam die Interessengrenzen gegenseitig anerkannt; und die Völker, die man aus der nationalsozialistischen Herrschaft befreien wollte, Stalin überlassen: Polen, Tschechen, Slowaken, Ungarn, Rumänen und Bulgaren. Die 1940 von den Sowjets eroberten und besetzten baltischen Gebiete, Litauer, Letten, Esten und Moldavier, verblieben im sowjetischen Imperium, das damit von der Elbe bis nach Wladiwostok reichte.

Der Westen war von dem Angebot nicht überzeugt

Plötzlich sollte diese Neuordnung der Machtsphären durch die Stalin-Note verändert werden? Was wollte der „rote“ Diktator denn erreichen, ganz Deutschland bolschewisieren? Man konnte nur Vermutungen anstellen.

Wie lautete die Note, und welche Bedingungen waren an die Einheit geknüpft, und was bot Stalin den Deutschen, womöglich aus Überzeugung und politischem Kalkül, wirklich an? Wollte er wirklich das Ulbricht-Regime, die Ideologiegrenze und somit die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) aufgeben und gegen die Einheit eines neutralen Deutschland eintauschen? Diese Fragen stellen sich immer wieder, obwohl Rolf Steininger in seinem Standardwerk („The German Question: The Stalin Note of 1952 and the Problem of Reunification“) die Stalin-Note differenziert untersucht hat.

Nicht nur Adenauer, auch die Engländer unter Chruchill und die Franzosen unter Pleven, vor allem aber die Amerikaner unter Truman waren nicht nur völlig überrascht über dieses Angebot, sondern überzeugt, daß es Stalin nicht ernst meinte. Für sie mußte das Angebot ein Querschuß sein, um die von den Amerikanern angeregte Remilitarisierungsabsichten für die Bundesrepublik zu stören. Aber keiner von den Politikern hat es unternommen, das Angebot des Roten Diktators diplomatisch abzuklopfen, wie sein Angebot zu beurteilen wäre. Folgende Punkte enthielt die Note:

Es sollte zunächst ein allgemeiner Friedensvertrag mit Deutschland als einheitlichem Nationalstaat ausgehandelt werden, sodann, nach demokratischen Wahlen, eine Zentralregierung in Berlin installiert werden. Jedwede Diskrimierung der deutschen Vergangenheit weder der Soldaten noch der Funktionäre sollte verboten sein; innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Friedensvertrages sollten alle Besatzungstruppen abziehen. Statt dessen Aufstellung eines eigenen nationalen Heeres mit eigenständiger Rüstungsproduktion für den nationalen Bedarf. Und schließlich sollte sich das neugeformte Deutschland verpflichten, keinerlei Koalitionen oder Militärbündnisse einzugehen, die sich gegen irgendeinen anderen Staat richteten, der am Krieg gegen Deutschland beteiligt war.

Kurt Schumacher kritisierte den Generalvertrag

Stalin hätte also sogar die Grenze im Osten verändert, um eine zu starke Bindung Deutschlands an den Westen zu verhindern, ja er hätte sogar die Sowjetische Besatzungszone DDR aufgegeben. Doch die Westmächte und vor allem die USA konnten sich auf den Rheinländer Adenauer verlassen, denn der lehnte das Angebot als einen „Fetzen Papier“ ab. Keiner brauchte sich darum zu sorgen, daß die Deutschen die Einheit statt westlich garantierter Freiheit wählten. Ohne diplomatische Fühlungnahme mit der Sowjetunion, ohne Prüfung der Note auf ihren politischen Gehalt und ohne fachliche Begutachtung wurde das Papier als unannehmbar abgelehnt.

Schon einen Tag nach Erhalt des sowjetischen Angebots erklärte der Kanzler den drei Hochkommissaren, daß diese Note keine Bedeutung für die Bundesrepublik und er sich mit seinem Kabinett auf diese Linie geeinigt habe. Denn auch das Kabinett war 1952 nicht dazu bereit, die sowjetischen Vorschläge auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Man ging sogar noch weiter: Um den erreichten politischen Zustand der Bundesrepublik zu erhalten, schloß die Bonner Regierung im Mai 1952 mit den Westmächten den „Generalvertrag“, wozu der Sozialdemokrat Kurt Schumacher bemerkte: „Wer diesem Generalvertrag zustimmt, hört auf, ein guter Deutscher zu sein“.

Doch die sowjetische Führung gab nicht auf und sandte am 9. April 1952 eine weitere Note mit den gleichen Vorschlägen an die Bonner Regierung, und erklärte in einer folgenden dritten Note, daß der Generalvertrag ein unüberwindliches Hindernis sei, die nationale Einheit des deutschen Volkes zu erreichen. Auch diese dringenden Hinweise hinderten Adenauer nicht, ohne Nachprüfungen alles abzulehnen. Die Reaktion der Sowjetunion begann am 26. Mai 1952: damals sperrte man die innerdeutsche Grenze mit Stacheldraht und Minenfeldern, die DDR wurde radikal abgetrennt. Es rasselte der Eiserne Vorhang herab und teilte Deutschland für lange Zeit.


 
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