© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/02 08. März 2002

 
„Kein Grund zur Panik - aber Grund zur Vorsorge“
Umweltschutz: Zwei ratlose Studien zur „Nachhaltigkeit“ / Katastrophale Fakten und gute Stimmung
Volker Kempf

Deutschlands bekanntester Sozialphilosoph der Gegenwart, Jürgen Habermas, spricht seit einigen Jahren von der „Neuen Unübersichtlichkeit“. Gemeint ist damit, daß sich das Denken, vor allem sein eigenes, das sich im Ost-West-Gegensatz gemütlich eingerichtet hatte, am Ende der sozial-liberalen Koalition als zu einfach erwies. Mit der Rede von der Klassengesellschaft und ihrer Überwindung konnte man schon in den achtziger Jahren keinen Staat mehr machen und heute erst recht nicht. Daran arbeitet sich Habermas verzweifelt ab. Um so mehr feiert das konservative Denken, das immer schon an der Planbarkeit der sozialen Welt gezweifelt hat, eine Renaissance.

Im Grunde sind die Dinge gar nicht unübersichtlich: Die Ressourcen dieser Welt, deren Plünderung man als Wirtschaftswachstum feiert und damit alle sozialen Probleme zu lösen glaubt, gehen zur Neige. Alle Rezepte dagegen helfen nicht viel. So wird in einer 2001 erschienenen Broschüre des Bundesministeriums für Bildung und Forschung der Stand der „Forschung zum Globalen Wandel für die Zukunft der Erde“ dargelegt. Die Fakten sind nicht erbaulich. So heißt es etwa in einer Zwischenüberschrift: „Luftverschmutzung - trotz großer Fortschritte immer noch dicke Luft“ oder „Sauberes Trinkwasser - das knappe Naß“ oder „Meere und Küsten - Paradiese in Gefahr“. Man könnte so fortfahren, etwa zum Thema „Bodenverlust und Wüstenbildung“. Aber warum „könnte“? Es geht so weiter.

Letztlich aber muß das Volk dann doch bei Laune gehalten werden, als sei alles eine Frage der guten Stimmung: „Kein Grund zur Panik - aber Grund zur Vorsorge“; mit „Lernfähigkeit und Bewußtsein“ wird dann alles wieder gut, heißt es sinngemäß weiter. Und sogar der viel gerühmte „Club of Rome“ startet neuerdings eine Bewußtseinsbildungskampagne. Wenn diesem illustren Kreis aus Wissenschaftlern und Unternehmern 30 Jahre nach dem bewußtseinsbildenden Weltbestseller „Die Grenzen des Wachstums“ nichts besseres mehr einfällt, als mit der „Bewußtseinsbildung“ noch einmal von null neu anzufangen, dann ist das kein gutes Zeichen.

Trotzdem muß alles positiv klingen, egal wie ernst die Lage ist. Das ist auch mit der posthum erschienenen Studie „Nachhaltige Entwicklung in Deutschland - die Zukunft dauerhaft umweltgerecht gestalten“ so. Diese Untersuchung wurde im Februar vom Umweltbundesamt (UBA) sowie vom Bundesumweltministerium der Presse vorgestellt. UBA-Präsident Troge meinte: „Genieße jetzt, zahle später - das ist die falsche Devise.“

Doch dann beginnt der dritte einleitende Absatz mit der erbaulichen Feststellung: „Die Umweltpolitik in Deutschland ist insgesamt erfolgreich gewesen“. Mit den dann präsentierten Fakten hat das aber nicht mehr viel zu tun, heißt es wenige Sätze später doch: daß ein hoher Ressourcenverbrauch in Deutschland zu verzeichnen sei und damit Eingriffe in die Umwelt einhergehen, die „der Naturhaushalt dauerhaft nicht verkraften kann.“ Das ist ein klarer Satz, den man sich durch die vielen Details nicht nehmen lassen sollte, auch nicht durch anschließende Detailausführungen zur „Nachhaltigkeit des Ressourcenverbrauchs“ - was es gar nicht geben kann.

Denn Ressourcen wachsen nicht nach, können also nicht nachhaltig bewirtschaftet werden wie ein Wald. Und mit Windpropellern allein wird man auch nicht weit kommen, wohl aber die Ressource Landschaft verbrauchen. Auch haben die zunehmenden Billigflüge ins europäische Ausland mit nachhaltigem Tourismus nichts gemein, im Gegenteil.

Das ganze Nachhaltigkeitspostulat, welches sich durch die UBA-Studie zieht wie ein roter Faden, vernebelt nur die wenigen deutlichen Aussagen - als solle man vor lauter Bäumen den kranken Wald nicht mehr sehen. Die ganze Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung, die seit der Rio-Konferenz von 1992 in aller Munde ist, erinnert an die „Agrarwende“ hin zu mehr Öko-Klasse statt Industrie-Masse. Was in diesem Zusammenhang als Wende bezeichnet wird, ist faktisch eine Steigerung des Ökologischen Landbaus an der Gesamt-Agrarproduktion, in Deutschland von zwei auf drei, letztlich vielleicht auch auf fünf Prozent. Für die meisten „Nutztiere“ hat sich damit dann aber gar nichts „gewendet“. Stagnation und Ratlosigkeit wären auch hier die passenderen Begriffe. Alles andere ist Augenwischerei aus Rücksicht auf die Gefühle der armen Bürger, die die Wirklichkeit nicht ertragen und dankbar sind für jedes Erlösung verheißende Schlagwort, wie eben dem von der „Nachhaltigkeit“. Und daß im technischen Umweltschutz sogar tatsächlich Erfolge erzielt wurden, etwa sauberere Flüsse, ändert an der Gesamttendenz der Umweltvernutzung und Ressourcenverschwendung nichts. Doch Einzelerfolge werden fast immer herangezogen, um zu belegen, daß im Ganzen auch alles besser werde, was natürlich ein billiger Trick ist, auf den die „ökologische“ Wählerklientel allzuoft hereinfällt.

Wer es hingegen wagt, vom Untergang des Abendlandes zu reden und dem hinzufügt, daß sich dieses im Grunde globalisiert hat - also eigentlich ein Untergang der Weltzivilisation im Gange ist - wird ermahnt, doch keine so fatalistischen Töne anzuschlagen. Es bleibt nur mit Arthur Schopenhauer zu schließen: „Da werde ich wohl wieder vernehmen müssen, meine Philosophie sei trostlos - eben nur weil ich nach der Wahrheit rede, die Leute aber hören wollen, Gott der Herr habe alles wohlgemacht. Geht in die Kirche und laßt die Philosophen in Ruhe.“


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen