© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   11/02 08. März 2002


Bedingt handlungsfähig
Warum die Emanzipation von Amerika so schwer fällt
Dieter Stein

Keiner greift ätzender antiamerikanische Regungen in Deutschland an als der Publizist Henryk M. Broder. Mit Blick auf die sich deutlicher regende Kritik an der amerikanischen Kriegspolitik schreibt er über die europäischen Urheber: „Sie waren nicht imstande, aus eigener Kraft den Jugoslawien-Konflikt zu lösen. Und wenn es ernst wird, rufen sie die Amerikaner zu Hilfe, um sich hinterher darüber zu beschweren, daß die Amis als arrogante Weltpolizei auftreten. Appeasement bis zum bitteren Ende ist eine Disziplin, in der die Europäer jeden Wettbewerb gewinnen können.“

US-Kritik ist plötzlich auffällig in Mode. Selbst das Hausblatt von Henryk M. Broder, der bis zuletzt unter dem einfältigen Motto „Kampf gegen den Terror“ über den Krieg in Afghanistan berichtende Spiegel, höhnte in einer Titelgeschichte über „Die Bush-Krieger“ als „Herren der Welt“ und witzelte dümmlich: „Rambo hat wieder Ausgang“. Da rückt plötzlich Außenminister Fischer von den US-Angriffsplänen gegen den Irak ab und der britische EU-Außenkommissar Chris Patten kommentierte: „Wahre Freunde sind keine Speichellecker.“ Amerikakritik ist dieser Tage ausgesprochen billig zu haben.

Wo ist aber die Grenze zwischen Amerikakritik und Antiamerikanismus, was ist die Alternative zum Krieg in Afghanistan? Immer lauter wird hierüber in Medien und unter Intellektuellen gestritten.

Wer nach dem 11. September 2001 nicht den Mut hatte, reiht sich nun eilfertig ein in die Kritik an den USA. Die Kritik war überfällig, aber man hat sich wieder eingerichtet auf einer bequemen Zuschauerloge, von der es sich leicht kritisieren läßt, wenn man nicht selbst in der Lage oder Willens ist, eigenständige Politik zu betreiben. Europas politische Klasse und ihre Vordenker hängen ihr Fähnchen nach dem Wind. Nach dem 11. September überbot man sich in Solidaritätsadressen und konnte nicht schnell genug eine militärische Antwort bekommen. Vom selben Opportunismus getrieben, setzte man sich ab, als die Kritik am militärischen Konzept der USA zum Allgemeinplatz wurde.

Auf den 35. Mainzer Tagen der Fernsehkritik, die Mitte Februar stattfanden, hatten Medienvertreter beispielsweise ihr eigenes Aha-Erlebnis: So kritisierte der Innenpolitikchef der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, weder Politiker noch Journalisten hätten nach dem 11. September einen kühlen Kopf bewahrt und sich Zeit zur Analyse genommen. Statt dessen habe es täglich „Angstschürsendungen“ mit den immer gleichen Bildern gegeben. Der ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender machte es als „strukturelle Schwäche“ aus, daß es zuwenig intensiv recherchierende Redaktionen gebe, „die in Krisenzeiten schnell mit den Bildern umgehen können“. Der Publizist Roger Willemsen beklagte, daß die Kommentierung zu lange einseitig und amerikafreundlich ausgefallen sei. Kritische Stimmen wie die der Intellektuellen Arundhati Roy (siehe JF 42/2001) seien erst „aus dem Ausland importiert worden“. Die Redaktionen seien „wie gelähmt gewesen“, so stellten die Spitzenjournalisten konsterniert fest.

Das Verhältnis der Deutschen und Europäer zu den Vereinigten Staaten von Amerika ist psychologisch heikel. Es ist das Verhältnis zwischen zwei Brüdern, von denen der eine zwar älter, aber schwächlich und depressiv und der andere jünger und kraftstrotzend ist. Eigentlich ist es sogar eher ein klassischer Eltern-Kind-Konflikt, denn die USA sind von den europäischen Mächten gezeugt worden, die amerikanische Kultur Produkt der europäischen. Die Aversion gegen die USA, kulturell und politisch, ist gezeugt von einer intimen Abneigung, weil man instinktiv weiß, daß es ein Familienangehöriger ist, den man haßt. Und es gibt einen besonderen Widerwillen gegen die Machtpolitik, ja das imperiale Gebaren der USA, weil man sich schmerzlich der eigenen Impotenz und Unentschlossenheit bewußt ist. Kurz: Die simple Form des deutschen und europäischen Antiamerikanismus als Ressentiment ist Ausdruck eines tief empfundenen politischen Minderwertigkeitskomplexes.

Wie man weiß, kann bei einem Minderwertigkeitskomplex nur der Betroffene selbst etwas ändern. Doch dagegen sträuben sich nicht nur die Deutschen, sondern alle Europäer. Das larmoyante, konsequenzlose Beklagen amerikanischer Vormacht, ohne selbst bereit zu sein, ein Risiko einzugehen, macht diesen Antiamerikanismus so unsympathisch, weil er feige ist. Der amerikanische Terrorexperte Walter Laqueur stellte dieser Tage deshalb lakonisch fest: „Die Europäer haben abgedankt. Amerika, die einzige verbliebene Großmacht, zahlt den Preis dafür, daß es versucht zu handeln, statt den Kopf in den Sand zu stecken.“

Es gibt zu dieser Vogel-Strauß-Politik nur zwei wesentliche Alternativen: Entweder man akzeptiert die US-amerikanische Dominanz, gibt eigene außen- und sicherheitspolitische Ambitionen Deutschlands und Europas auf und fügt sich in die Vorherrschaft der USA. Deutschland und Europa sind dann ein „Juniorpartner“, der im Ernstfall nicht ohne die USA entscheiden und sich auch nicht alleine verteidigen kann.

Oder man ist der Auffassung, daß Deutschland und Europa eine eigenständige außen- und sicherheitspolitische Rolle spielen sollen. Dies bedeutet dann, daß man bereit ist, die Herausforderungen der Weltpolitik selbst anzunehmen. Dann müssen Deutschland und Europa jedoch entschlossen aus dem wohlbehüteten Windschatten der USA heraustreten.

Margarita Mathiopolos, die Geschäfsführerin des soeben neugeschaffenen Zentrums für transatlantische Sicherheit und Militärfragen in Potsdam, stellt richtigerweise fest: „Die Nato leidet nach wie vor nicht an zu viel Amerika, sondern an zu wenig Europa.“ Und zur Stärkung des europäischen Faktors gehört die „Aufrechterhaltung der nuklearen Option als Erstes dazu“. Vor den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen einer eigenständigen Politik scheut man aber zurück.

Noch etwas erschreckt die europäischen Intellektuellen an Amerika: Was auch immer man über die US-Politik sagen kann, dieses Land hat eine Vorstellung davon, was es darstellt und wohin es will. Es hat eine nationale Vision. Diese Vorstellung fehlt aber Europa und insbesondere seiner Mittelmacht Deutschland, außer das es sich als Wirtschaftsraum versteht. Solange wir uns aber geschichtlich aufgegeben haben und unser sicherheitspolitisches Schicksal in die Hände anderer legen, dürfen wir uns über die Folgen nicht beschweren. Wenn aber Deutschland und Europa die Vison einer eigenständigen Zukunft zurückgewinnen, kann auch der Weg einer selbstbewußten Emanzipation beginnen. Diese Emanzipation ist überfällig.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen