© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
Keine Ruhe nach dem Sturm
Und noch eine Reflexion über die Achtundsechziger: Ulrike Heider Rückschau auf die Frankfurter Sponti-Szene
Werner Olles

Die Literatur, die sich kritisch oder auch apologetisch mit dem Traditionsbruch von 1968 befaßt, jenem seit Kriegsende erfolgreichsten „gesellschaftspolitischen und mentalen Zerstörungsprozeß“ (Heimo Schwilk), droht inzwischen die Bücherregale zu sprengen, in der Regel nicht aufgrund ihrer explosiven Gedanken, sondern weil das Aufschreiben eigener Erinnerungen - und sollten sie noch so banal und trivial sein - heutzutage offenbar zu den natürlichen Triebkräften des Menschen gezählt werden muß.

Auch Ulrike Heider macht da keine Ausnahme. Seit 1988 lebt die promovierte Politologin und Germanistin als freie Schriftstellerin und Journalistin in den USA. Sie hat etliche Bücher veröffentlicht; Essays und Artikel erschienen im Kursbuch, in der Zeit und in der Frankfurter Rundschau. 1947 in Frankfurt am Main geboren, „verlebt sie ihre Jugend im Konservatismus der Adenauer-Zeit“ und die Sechziger und Siebziger Jahre in der Studentenbewegung, der K-Gruppen-, Hausbesetzer- und Spontiszene. Sie wohnt im „Kolbheim“, einem Studentenwohnheim und SDS-Zentrum im Universitätsviertel Bockenheim. 1972 zieht sie in ein besetztes Haus im Westend, tritt der Stadtteilgruppe „Roter Gallus“ bei, nachdem sie beim „Revolutionärem Kampf“ (RK) wegen ihres bürgerlichen Äußeren als „Bohèmienne“ und „Halbgenossin“ abgelehnt worden war. Aber auch hier bleibt sie eher eine Außenseiterin. Als ihr auf einem Plenum der Gruppe im Dietrich Bonhoeffer-Haus Wilfried Böse, der 1976 in Entebbe von den Israelis getötete Terrorist, bei einer der ermüdenden Grundsatzdiskussionen vorwirft: „Die Genossin Heider ist wohl neurotisiert“, verläßt sie beleidigt den „Roten Gallus“.

Wie fast alle 68er war auch Ulrike Heider von der Idee besessen, ihrer Biographie ein eigenes Gewicht zu geben. Aus einem gutbürgerlichen Arzthaus kommend, sucht die durch die Studentenbewegung Politisierte fieberhaft nach einer für sie gültigen Weltanschauung. In den zahllosen Gruppen, die sich in Frankfurt tummelten und durch die Produktion einer Vielzahl von Traktaten und Pamphleten auffielen, sieht sie endlich die bislang verschütteten linken Traditionen wieder freigelegt. Daß sich jedoch deren politisches Handeln immer weiter weg von der Realität bewegte, sich bald alles nur noch um die eigenen Strukturen drehte, und daß ihre Militanz und Radikalität nur in den blutigen, mörderischen Terrorismus des „deutschen Herbst“ führen konnte, davon liest man bei Heider leider kein einziges Wort.

Anstatt sich endlich einzugestehen, daß die 68er-Bewegung in einem politisch-kulturellen Veränderungsprozeß, der längst im Gange war, den Hofnarren für die Herrschenden spielte, stilisiert sie das juvenile Aufbegehren gegen die Ruhe der bürgerlichen Gesellschaft zum kollektiven Sonderweg einer neuen Politik und einer Veränderung der „überkommenen“ konservativen Lebensformen. Wer die Revolte so interpretiert, bei dem wird die Wirklichkeit schnell zum Spielball der Fiktion.

Was Ulrike Heider in Wahrheit erzählt, ist die Geschichte ihrer Jugend, die zum großen Teil belanglose, triviale Besinnungsprosa einer antwortsuchenden jungen Frau, die wohl mehr oder weniger zufällig die Geschichte der 68er-Bewegung kreuzte. Auf diese Weise kann man sich auch seine eigene Chronologie zurechtzimmern. Werner Olles

Ulrike Heider: Keine Ruhe nach dem Sturm. Rogner & Bernhardt bei Zweitausendeins. Frankfurt am Main 2001, 323 Seiten, 16,85 Euro


 
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