© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/02 01. März 2002

 
Schicksal ist stärker als Gott
Zur Diskussion über Dreifaltigkeit, Monotheismus und die Moral der Sklaven
Günter Zehm

Viel gesprochen wird zur Zeit von der „neuen Religiösität“, die wichtige Teile der jüngeren Generation erfaßt habe, aber es ist schon klar, daß die etablierten Religionen diesen „Trend“ nicht auf ihre Mühlen werden leiten können. Denn es sind, ob Islam, ob Christentum oder Judentum, monotheistische Religionen, die nur einen einzigen, allmächtigen und allzuständigen Gott postulieren, und gerade gegen diese Einheit, Allmächtigkeit und Allzuständigkeit richtet sich die neue Religiösität.

Der französische Bestsellerautor Michel Houellebecq ist eine ihrer Sprachröhren. Er stellt - im Anschluß an Schopenhauer - die These auf, daß Monotheismus identisch sei mit Sklaverei, daß er den Menschen in einer unglaublichen Weise unterjoche, in den Staub trete, zum Vieh mache. Monotheismus und Sklavenmoral gehören zusammen, sagt Houellebecq, man kann nur Muslim, Christ oder frommer Jude sein, indem man sich zum Sklaven macht.

Beim ersten Hören wirkt diese Behauptung allzu verwegen, ja, geradezu bösartig. Haben die großen Offenbarungsreligionen nicht erst den Grundstein gelegt zur Abschaffung der Sklaverei, die die ganze Antike über im Schwange war, trotz der damaligen Blüte des Polytheismus? Waren nicht alle Menschen vor dem Einen Gott des Monotheismus zum ersten Mal gleich und damit jenseits von Sklaverei und Herrschaft? Stand der Mensch in den monotheistischen Religionen seinem Schöpfer nicht ausdrücklich als freier gegenüber, fähig zur freien, freiwilligen Entscheidung für gut oder böse?

Aber Houellebecq und die Neureligiösen haben eine ganze Menge kräftiger, bedenkenswerter Argumente für sich. Sie lassen die These nicht gelten, daß die Idee des Monotheismus, des Einen Gottes, vom Juden-, Christen- oder Mohammedanertum „entdeckt“ worden sei, daß es vorher nichts dergleichen gegeben habe und daß also die „Entdeckung“ des Einen Gottes ein „Fortschritt“, ein gewaltiger Markstein in der Geschichte der Menschheit gewesen sei. Davon könne in Wahrheit keine Rede sein.

Die alten, „natürlichen“ oder antik-hochkulturellen Religionen, nicht nur bei den Griechen, sondern auch bei den Indern, Persern, Babyloniern, kannten sehr wohl den Einen Gott als Anfangs- und Endursache der Welt, als Urprinzip, in dem alles ruht und dem wir, sei es als Individuum, sei es als Volk oder Teil des Lebendigen, restlos hingegeben sind. Nur weigerten sich die alten Religionen, mit diesem Ureinen und Umfassenden in direkte, personale Beziehung zu treten. Dafür waren ihr Respekt, ihre Bewunderung und ihr Grauen zu groß.

Das Ureine war nicht der „Herr“ der Welt, weil es eben „alles“ war, Unten und Oben, Himmel und Hölle, Berg und Tal. Es war nicht Herr, es war nicht einmal „Gott“, sondern Schicksal, Geschick, Verhängnis, Brahma, Moira, Heimarmene. Die eigentlichen Götter, auch die höchsten unter ihnen, Zeus, Jupiter, Odin, mit denen man rechten, die man um Rat anflehen konnte und von denen man gegebenenfalls zerschmettert wurde, waren der Moira eindeutig nachgeordnet. Sie waren zwar mächtig, aber nie und nimmer allmächtig. Auch über ihnen waltete das Schicksal, die Dämmerung, die Götterdämmerung.

Die alten Völker und Kulturen haben die Idee des Monotheismus sehr wohl gekannt - und haben sie verworfen. Ihr naturnaher, realistischer Blick sah keinen Raum für einen Gott, der einerseits Ursache für alles und andererseits und im selben Takt Entscheidungsträger, Richter und Gerechtigkeitsfanatiker hätte sein können.

Ein solcher Gott, so spürten die Alten, würde sich in den Augen seiner Geschöpfe nur blamieren oder als Ungeheuer kenntlich machen. Ihn anzubeten, sei völlig sinnlos, es sei denn, man werde dabei zum Wurm, zum Sklaven, der nur noch wimmern und auf die unerforschliche Gnade des Gewaltigen hoffen kann. So etwas wollten die alten Eliten offensichtlich nicht. Sie waren bereit zum Opfer, doch das berüchtigte Sacrificium intellectus leisteten sie nicht. Und die anspruchsvollen Geister der heutigen jüngeren Generation, die ein Bedürfnis nach neuer Religiösität haben, werden es wohl noch weniger leisten wollen.

Christliche kirchliche Kreise, die hier Proselyten sammeln wollen, sollten das im Auge behalten. Im Vergleich zu Islam und frommem Judentum ist das Christentum immer weniger monotheistisch gewesen. Die „Einheit“ der heiligen Dreifaltigkeit war stets ein Problem für die Kirchenväter und Konzilsstrategen der Frühzeit. Es fiel ihnen ausgesprochen schwer, zu „beweisen“, daß Eins Drei sei und Drei Eins; man denke nur an den Aufwand, den Augustinus in seinem Buch „De trinitate“ für nötig hielt.

Später sind die Theologen bei diesem Thema recht wortkarg gewesen. Statt dessen kam die Auffahrt der vielen Heiligen, von denen dieser für Dieses und jener für Jenes zuständig war, ein rechter Götterolymp, der in der Neuzeit noch vermehrt wurde durch die vielen protestantischen Sezessionen, von denen jede ihren eigenen Propheten auf den Schild hob. Umd es kam die überwältigende Bilderflut heiligmäßiger Genres in der abendländischen Kunst, von Christus am Kreuz bis zu den unzähligen religiösen Darstellungen in Renaissance und Barock.

Dies Bilderwesen hob sich schneidend ab von den ausdrücklich deklarierten Bilderverboten des Dekalogs und der muslimischen Glaubenspraxis. Es war eine Hereinnahme antiker, altgriechischer Mythologie und Symbolik, eine überschäumende Freude an Farbe und plastischer Gestaltung, die ihr Pendant und ihre Fortsetzung fand in der ebenfalls fast ins Unübersehbare ausgefalteten Auslegungskunst der modernen christlichen Theologie. Hier ist der Polytheismus buchstäblich mit Händen zu greifen - und es ist ein Erbe, das sich über kurz oder lang in vielfältiger Weise auszahlen könnte und für das sich eigentlich zahlreiche begeisterte Sachwalter und Pfleger einfinden müßten.

Leider ist bei den offiziellen kirchlichen Stellen eher die gegenteilige Tendenz zu beobachten: weg von der Vielfalt heilskräftiger Gestalten und Praktiken, hin zu einem möglichst bilderlosen, strengen Rationalismus, über den man sich „im Dialog“ mit den anderen Religionen angeblich leicht verständigen kann. Manche Kritiker warnen schon vor einer selbstmörderischen Rejudaisierung bzw. Islamisierung des Christentums, seiner systematischen Verwandlung in eine kahle Anstalt zur Ausgabe von Befehlen und Büßerhemden. So erzieht man Sklaven.


 
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