© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/02 22. Februar 2002

 
Vereinsamte Mutter im Streß
„The Deep End“ von Scott McGehee und David Siegel ist konventionell gestrickt
Claus-M. Wolfschlag

In amerikanischen Thrillern und Horrorfilmen beginnen die Geschichten normalerweise im familiären Idyll, das bald durch eine äußere Bedrohung - sei es durch rücksichtslose Gangster oder brutale Monster - gefährdet erscheint. Der Held besteht den bitteren Kampf gegen das Böse schließlich, um am Ende des Reigens den Status quo ante, die Wiederherstellung des familiären Idylls, mit Narben zwar, doch voll trotziger Standhaftigkeit, zu erleben.

In „The Deep End“ ist es allerdings nicht allein die äußere Bedrohung, die sich in das Idyll einzubrechen anschickt. Der Wurm steckt bereits im heimischen Gebälk. Margaret Hall (Tilda Swinton) ist eine normale Hausfrau und Mutter dreier Kinder. Hausarbeit und Kinderaufzucht liegt weitgehend allein in ihren Händen, da der Ehemann sich die meiste Zeit des Jahres als Marinesoldat nicht am heimischen Lake Tahoe, sondern in fernen Gewässern herumtummelt, um Schutzaufgaben fürs amerikanische Vaterland abzuleisten. Der Wurm im Gebälk heißt Beau (Jonathan Tucker) , der älteste Sohn, noch in der Spätpubertät steckend. Beau scheint homosexuelle Neigungen zu entwickeln, er gerät in eine Affäre mit einem zwielichtigen älteren Liebhaber. Obschon die Kommunikation zwischen Sohn und Mutter gestört ist, Beau sein Liebesleben vor Margret sorgsam verschweigt, bemerkt die aufmerksame Erziehungsberechtigte rasch, wo der Braten hängt und versucht, den lüsternen Liebhaber von ihrem Sohn fernzuhalten.

Die Situation eskaliert, als bei einem nächtlichen Treffen Beau von seinem Liebhaber erfährt, wie sehr Margaret über das Geschehen bereits im Bilde ist. Es kommt zum Streit, Beau geht nach Hause, aber der Liebste erleidet einige Augenblicke später einen tragischen Unfall, er stolpert und stirbt am Strand des nahen Sees. Als Margaret bei ihrem morgendlichen Spaziergang die Leiche entdeckt, denkt sie an eine Totschlagstat ihres Sohnes und versucht das vermeintliche Verbrechen mit aller, aus Mutterliebe gespeister, Inbrunst zu vertuschen. Doch kurze Zeit darauf betritt ein junger Erpresser, Alek Spera (Goran Visnjic), die Szenerie und droht, ein Video mit Sexszenen Beaus an die Ermittlungsbehörden weiterzuleiten, falls Margaret nicht 50.000 Dollar für ihn und seinen Teilhaber bereitstelle.

Ein klassischer Erpressungskrimi, eine zu Hochform auflaufende Frau, ihre Familie schützend, so glaubt der Betrachter. Doch das Geschehen nimmt einen etwas unerwarteten Fortgang. Der Erpresser, wohl durch ein verpfuschtes Leben auf die schiefe Bahn geraten, beginnt mit einem Mal, Mitgefühl und Anerkennung für die kämpfende Frau zu empfinden - das weiche Herz hinter der rauhen Schale. Alek, anfangs noch mit Profimiene auftretend, beginnt zur unglaubwürdigen Witznummer zu werden. Er verzichtet freigiebig auf seinen Erpressungsanteil und Margaret scheint sich beinahe in das wortkarge Rauhbein zu verlieben. Wenn da nicht die Notwendigkeit eines weiteren Bösewichts bestände, um die Krimihandlung weiterfahren zu können. So tritt denn bald der skrupellose Teilhaber des Erpressers auf den Plan, gegen den Margaret und der scheinbar geistig umnachtete Alek schließlich gemeinsam den Kampf aufnehmen müssen.

„The Deep End“, geschrieben und inszeniert von dem Duo Scott McGehee und David Siegel, wurde inspiriert durch Elisabeth Sanxay Holdings kaum mehr bekannte Novelle „The Blank Wall“ aus den 1940er Jahren. Hier kämpfte eine Mutter für ihre Tochter, angesichts der Tatsache, daß deren Liebhaber scheinbar ermordet wurde. Anfang des 21. Jahrhunderts wurde aus der Tochter ein homosexuell veranlagter Sohn, mit dessen Hilfe die Problematik gestörter Kommunikation innerhalb der modernen Kleinfamilie noch trefflicher dargelegt werden konnte. Der Sohn, der der Mutter seine Neigung verheimlicht. Die Mutter, die dem Sohn verheimlicht, daß sie von der Neigung weiß, und wie sie versucht, dessen Liebesleben zu beeinflussen. Die Geschwister, die nichts erfahren. Ein Vater, der sich anscheinend kaum darum schert, das ihm alles verheimlicht wird. Kommunikation findet nicht statt, Aktionen verstehen sich als Reaktionen, beruhend auf Annahmen, nicht auf Wissen.

So ist denn das Stärkste an „The Deep End“ die Darstellung der durch Unwissen verwirrten, durch Aktionsnöte überforderten Mutter, die ihre Emotionen, ihre Ahnungen verheimlichen muß, deren Seelenzustand allein an ihrer Körpersprache ablesbar ist. Ansonsten handelt es sich um einen ausgesprochen braven, konventionellen, streckenweise recht langweiligen US-Konfektionsthriller ohne geistreich verwirrende oder anregende Wendungen. Zwar erhielt Giles Nuttgens beim diesjährigen Sundance Film Festival den „Best Cinematography Award“ für seine Kameraarbeit, mit einem Meisterwerk der Filmkunst hat man es aufgrund der mageren und arg konstruierten Story dennoch nicht zu tun.


 
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