© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/02 22. Februar 2002

 
Elitenbildung
Lebensbekenntnis: „Raido - Die Welt der Tradition“
Ellen Kositza

Den Runen als den Buchstaben des alten mittel- und nordeuropäischen Kulturkreises wohnte vor ihrer Verwendung als Zeichen profaner Kommunikation eine mystische, magische Bedeutung inne. So steht Raido als fünfte Rune des germanischen Futhark für den Weg, die Richtung und letztlich auch das Ziel, begriffen als innere Ordnung. Den Namen „Raido“ hat sich eine in Rom ansässige kulturelle Vereinigung gegeben, die sich die „Wiederbelebung der Tradition auf kulturellem, religiösem und politischem Gebiet“ auf ihre Fahnen geschrieben hat. Neben Rene Guenon und C. Z. Codreanu dient dabei vor allem der italienische Kulturphilosoph und Faschist Julius Evola (1898-1974) als Stichwortgeber, seine Lehre, besonders die seines Hauptwerks „Revolte gegen die moderne Welt“ als roter Faden.

„Raido - Die Welt der Tradition“ versteht sich als theoretische Einführung und verbindlicher Leitfaden zur „Herausbildung eines neuen und zugleich traditionellen Menschen“: Es geht um ein Lebenskonzept, um Elitenbildung. Der Begriff der Tradition meint dabei etwas völlig anderes als Volkstümlichkeit. Traditionalität haftet hier gerade nicht an Restbeständen bürgerlicher Kultur. Etwas unverständlich ist daher, warum Martin Schwarz als Übersetzer und Herausgeber des Bandes den andernorts bei Evola im Deutschen üblicherweise benutzten Terminus „traditional“ als bewußte Abgrenzung zum mißverständlichen „traditionell“ meidet. Aus Sicht der in einem vorchristlichen „Goldenen Zeitalter“ zu ortenden traditionalen Welt erscheinen bürgerliche Moral und die Werte des herkömmlich „konservativen“ Menschen als Kompromiß.

So will sich der im Metapolitischen wurzelnde Anspruch des Buches auch gar nicht freiheitlich-demokratisch betten, man setzt an zum ganz großen Wurf, zum absoluten, für den jedwede „Toleranz“ kein Kriterium ist. Als eherne und auszuführende Angelpunkte gelten hier statt dessen: Redlichkeit, Ehre, Treue, Opfer, letzteres definiert als die „männliche Haltung des Schenkens“. Dies, jeweils in letzter Konsequenz zu verstehen, ist der Stil und sind die Tugenden des uomo differenziato, Evolas „anders-seinenden Menschen“.

Die Schrift gliedert sich in zwei Teile, deren erster die „Welt der Tradition“ erläutern will und einen Überblick über Komponenten der so gefaßten traditionalen Anschauung darlegt: Mythos, Ritus, Zyklus, Symbol, hierarchische Stufung der Gemeinschaft und „spiritueller Kampf“. Der zweite Teil nennt sich „Die Front der Tradition“ und beansprucht eine Konkretisierung, eine lebensgemäße Umsetzung und Einbringung der zuvor genannten Komponenten darzustellen: den Weg zur Schaffung von „Inseln der Tradition“.

Das sind natürlich hehre Ziele, und es wird an keiner Stelle versäumt, die Notwendigkeit einer strengen inneren Bildung als Voraussetzung für den „Krieger der Tradition“ abermals eindringlich hervorzuheben. Dieser Text, so Schwarz in seiner Einführung, gehöre „nicht in die Kategorie der Bücher, die man zurückgelehnt zur Erbauung liest“: Eine Doktrin soll hier manifestiert werden, die nicht als Reminiszenz vergangener Lektüre, sondern als wahres Lebensbekenntnis verinnerlicht werden soll.

Tatsächlich geboten wird eine Art Neuformulierung evolianischer Erkenntnisse und Forderungen: über Kontemplation und Aktion als die zwei zu unterscheidenden Wege der Initiation, über das lunare und chthonische Prinzip im Gegensatz zum - favorisierten - solaren und männlichen, über Revolution und Konterrevolution, über den Vorrang von Geist und Willen vor Emotionalität und Materie.

Das liest sich alles gut und spannend. Hier streben junge Männer, durchdrungen von ganz unmissionarischer Aufrichtigkeit, einen gemeinsamen Weg an, vollkommen abseits bürgerlicher Formen, abseits auch jeglicher entorteter, unverbindlicher moderner Lebensart. Im Kreis dreht sich das Buch immer dann, wenn die Problematik der modernen Welt längst breit dargelegt wurde und die Konkretisierung des angekündigten Elitenaufbaus in Beschwörungen zu ersticken droht. Selbst wenn die „Höhe der Aufgabe“ vielleicht nicht stark genug betont werden kann - irgendwann hat man es doch begriffen. Ähnliches gilt für die wiederholte Feststellung, daß der gesellschaftliche Auflösungsprozeß schon weit fortgeschritten sei.

Parallel zur Häufung solcher Formeln kommen die Ausführungen über eine fest umrissene Vorgehensweise zu kurz, die man sich wünschen würde und derer es bedarf, um das zuvor entworfene Terrain der Tradition zu schaffen. Sporadische Hinweise wie ein Zehntgebot oder der vage Hinweis, doch zum Beispiel Buchläden zu eröffnen, erfüllen nicht den geweckten Bedarf an Orientierung. Noch ein weiteres bleibt ungeklärt: Die mögliche Fortentwicklung einer so geschaffenen Traditionsinsel, mithin einer alternativen Lebenswelt. Dies ganz pragmatisch angedacht: Gedenkt man sich fortzupflanzen? Frauen kommen schließlich nicht vor in dieser Utopie eines Raumes von Kriegern und Asketen.

Ein allzu leichtfüßiger Stil wäre gewiß nicht dem Anliegen des Buches gemäß, doch kommt einiges im Ausdruck ein wenig zu schwergewichtig daher. Formale Mängel wie Kommafehler oder Zitate ohne Angabe der Quelle sind als übliche Schwäche vieler kleiner Verlage zu betrachten; sie verleihen dem schmalen Bändchen einen Charme der Unprofessionalität, der dem ambitionierten Inhalt nicht wirklich abträglich ist. 

Martin Schwarz (Hg.): Raido - Die Welt der Tradition. Ein Handbuch. Verlag Zeitenwende, Dresden 2000, 92 Seiten, 9,20 Euro


 
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