© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/02 22. Februar 2002

 
Ein bißchen Spaß muß sein
Trotz Rissen in der Wand: Die Spaßgesellschaft hat sich als selbstreferentielles System erwiesen
Doris Neujahr

Die Verkündigung, die Anschläge vom 11. September 2001 markierten das „Ende der Spaßgesellschaft“, war voreilig. Man hatte ihre Fähigkeit zur Selbstreproduktion unterschätzt. Nach einer Schrecksekunde verleibte sie sich die New Yorker Ereignisse einfach ein und goß Opfer-, Trauer- und Rettergeschichten in medienkompatible Rührstorys um. Längst verkünden Fernsehprogramme, Kioskauslagen, Werbeplakate und Rundfunkspots: Das Unterhaltungskarussel dreht sich weiter! Der Berliner Senat hat ohne viel Aufhebens die Loveparade für 2002 genehmigt, das Fernsehen strahlt „Independent Day“ und „Air Force One“ aus, und MTV hat seine Popsternchen in die afghanische Wüste geschickt. Sogar der Krieg kann Spaß machen!

Der kollektive Auszug aus selbstverschulder Unmündigkeit, den degoutierte Kulturkritiker beschworen, hat nicht stattgefunden. So leicht wie das World Trade Center sinkt die schöne Spanische Wand aus Bildern, Sprachfertigteilen und Klangteppichen, mit der die Medien-, Werbe- und Bewußtseinsindustrie uns umstellt hat, nicht zusammen. Denn längst sind ihre Trugbilder in das Kapillarsystem des Alltags eingedrungen, haben Gedanken und Träume okkuppiert, sind Teil von uns geworden. Dazu hat es keinen Gewaltakt gebraucht, nur das ewige Kind in Frau und Mann wurde gehätschelt. Es war leichter, den Schmeicheleien nachzugeben, als sich mit täglicher Askese gegen sie zu wappnen.

Das Leben hat sich weitgehend in den Medien aufgelöst, und umgekehrt. Mütter entnehmen der Fernsehwerbung, welche Süßigkeiten ihr Kind glücklich machen, Liebespärchen erfahren auf der Kinoleinwand die richtige Marke für den Sekt davor und den Espresso danach, die Einbauküche für das Eheglück muß der Neuen Mitte zwischen Häuslichkeit und Modernität entsprechen, und der Jungbanker hat sich vom Plakat die Gestik zum Handy-Telefonat abgeschaut, die ihn mobil, wichtig und sexy macht.

Die Spaßgesellschaft hat sich als ein selbstreferentielles System etabliert, in dem individuelle Bewußtseinsprozesse mit den Medien kurzgeschlossen sind. Andererseits muß es für die Eindrücke seiner Umwelt schon deshalb offen bleiben, weil die Menschen sich auch außerhalb seiner Grenzen bewegen und dort Eindrücke aufnehmen. Die Eindrücke aus der Außenwelt werden vom Spaß-System so ausgewählt und adaptiert, daß seine dynamische Reproduktion gesichert ist. Noch das schlagendste Gegenargument wird von der zuständigen Abteilung „Systemkritik“ absorbiert, bearbeitet und in den Kreislauf eingespeist.

Der derart konditionierte Medienkonsument ist der zuverlässigste Kombattant. Je tiefer er sich in die stupiden Bequemlichkeiten hineingekuschelt hat, um so penetranter besteht er darauf, in einer „Risikogesellschaft“ zu leben. So läßt er die Kritiker, die ihm Eindimensionalität à la Marcuse unterstellen, elegant ins Leere laufen und überholt sie noch mit der impliziten Botschaft: Ich habe den metaphysischen Zweifel keineswegs verdrängt, sondern sogar im Griff! Und wer die Großstadt einen „modernen Dschungel“ nennt, schmeichelt vor allem seinem Ego, das sich wagemutig in ihm behauptet. Daß die Großstadt ihn in Wahrheit mit allen Behaglichkeiten versieht, fällt unter den Tisch.

Diese Verkünstelung des Alltags hat ihr Gegenstück in einem virtuellen Politikbegriff. Politik wird am Unterhaltungswert und am Potential für Selbsterregung und Selbstgenuß gemessen, nötigenfalls dramatisiert. Stets ist Warnern, Mahnern und Protestierern die satte Zufriedenheit darüber ins Gesicht geschrieben, daß sie selber zu den Guten, den Anständigen gehören. Der „Aufstand der Anständigen“ ist die Fortsetzung des Medienspaßes.

Wo politisches Bewußtsein durch Events und Spaß am Dabeisein ersetzt wird, degeneriert öffentliches Handeln zum infantilen Spiel, das keine Verantwortlichkeit kennt. Eine Folge: Rechtsbrüche zur Steigerung des Ich-Gefühls sind schick. Versehen mit dem Gütesiegel der Zivilcourage und einer höheren Moral, werden sie in der Gewißheit verübt, daß dem Staat seine Autorität nicht wirklich wichtig und das eigene Risiko gering ist. Falls die Polizei den Unterhaltungskonsens doch einmal aufkündigt, zetern die Medien über die Kriminalisierung des „Antifaschismus“. Der steht heute für das Vorrecht, sich auf den Führer als den größten aller Spaßmacher zu berufen.

In diesem Kokon aus Lifestyle und Egozentrik hatte man sich vor Risiken relativ sicher gefühlt. Am 11. September aber durchbrach der Tod die Außenhaut der virtuellen Welt, dieses selbstbezüglichen Spiegelkabinetts, aus der die smarten Börsen- und Finanzspezialisten (höhensonnengebräunt, bodybuildinggestählt, von teurem Rasierwasserduft und dem Eros des Erfolgs umweht), sich trotz aller Hightech nicht wegzappen konnten.

Der untergründige Sinn der Spaßgesellschaft liegt darin, den Tod vergessen zu machen, indem sie das Leben als Endlosschleife amüsanter Werbespots, Events und Seifenopern strukturiert. Am 11. September 2001 wurde diese in sie gesetzte Erwartung widerlegt, ihr Ende schien folgerichtig. Aber noch im Moment ihres Gegenbeweises gelang es ihr, ihre Lesart des Geschehens zu oktroyieren. Während die Toten, Verstümmelten, Schwerverletzten unsichtbar blieben, konzentrierte sich die Berichterstattung auf die Retter, die, zu John Waynes verkitscht, die Kontinuität und den Endsieg des Guten verbürgten. Anschließend bildete die Jagd nach Bin Laden monatelang die Spitzenmeldung. In seinem letzten Video war Bin Laden von zombiehafter Blässe, wirkte völlig irreal, jenseitig, wie jemand, der der Welt abhanden gekommen ist. Jean Baudrillard meinte im Spiegel, sein Verschwinden verleihe „ihm eine mythische Macht.“ Man kann es auch umgekehrt sehen: Sein Verschwinden ist die Voraussetzung, um ihn als pflegeleichten Bösewicht aus der Mythenwerkstatt der Disney-Studios wieder auferstehen zu lassen, dem dann von George Bush der Garaus gemacht wird.

Kein abruptes Ende der Spaßgesellschaft also, doch hat der Terror in der Spanischen Wand einen feinen Riß hinterlassen, der sich nie wieder völlig schließen wird. Jeder Bankenchef ahnt nun, daß er sein Königsprivileg, im obersten Stockwerk eines Verwaltungsturms zu residieren, bei einem neuen Anschlag mit seinem Blut besiegeln muß. Das Urvertrauen ist dahin.

In Erinnerung bleibt auch die Sprachlosigkeit der deutschen Politik- und Meinungselite. Kleine Strukturveränderungen sind also durchaus denkbar. New Yorks ehemaliger Bürgermeister Rudolph Giuliani erlebt in Deutschland eine ungeahnte Popularität, obwohl seine sicherheitspolitischen Vorstellungen den vielgeschmähten Hamburger Innensenator Schill zum Konfirmanden degradieren. Er erhielt hier sogar einen Preis, weil er sich „in der schwersten Stunde der Stadt“ als „politische Leitfigur“ erwiesen habe. Darin liegt ein symbolisches Eingeständnis, daß die Gesellschaft auf staatliche Autorität, Führungsstärke und physischen Mut angewiesen bleibt und sich die Herabsetzung von Armee, Polizei und anderen Uniformträgern nicht mehr leisten kann.

Überreicht wurde die Auszeichnung in einer Samstagabend-Show der ARD - es handelte sich um den „Politik-Bambi“. Soviel Spaß muß trotzdem sein!


 
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