© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/02 22. Februar 2002

 
Kolumne
Gerechter Krieg
Klaus Motschmann

Nach dem 11. September sollte angeblich alles anders werden und nichts mehr so sein wie früher. Davon kann offenkundig keine Rede sein. Es sei denn in dem Sinne, daß seitdem manches noch schlimmer geworden ist als vorher. Dazu gehört die penetrante Mißachtung intellektueller Mindeststandarts. Sie zielt ja nicht nur auf eine weitere Zersetzung unseres christlich-abendländischen Wertesystems ab, sondern mehr noch auf die geistige Unterwerfung jedes einzelnen und in unserem Volke insgesamt unter die Prophetien einer neuen Weltordnung.

Anlaß zu dieser Betrachtung ist die um sich greifende Behauptung, daß es keine religiöse Rechtfertigung für einen „gerechten Krieg“ geben könne. Die pazifistische Phraseologie der siebziger und achtziger Jahre herrscht weiterhin vor. Nichts ist anders als früher! Der christlich motivierte Pazifismus wirkt sich nach wie vor „in einer so schrecklichen Lähmung“ der geistigen Urteilsfähigkeit und politischen Entschlußkraft aus, wie der Schweizer Theologe Karl Barth bereits im Jahre 1938 angesichts der drohenden Kriegsgefahr in Europa feststellte.

Karl Barth war nicht nur einer der herausragenden Theologen des vorigen Jahrhunderts, sondern auch Sozialist und als solcher ist er bis heute eine der führenden Leitfiguren der politischen und intellektuellen Linken. Unter anderem deshalb, weil er folgendes zum Thema „Krieg“ schrieb: „Die Kirche hat um des Evangeliums willen und durch die Verkündung des Evangeliums den demokratischen Staat aufzurufen, um jeden Preis, auch um den von Not und Untergang, ein starker Staat zu sein. Und sie hat ihren Gliedern um des Evangeliums willen und durch die Verkündigung des Evangeliums zu sagen, daß es etwas gibt, das schlimmer ist als Sterben und Töten: Das freiwillige Ja-Sagen zu der Schande der Herrschaft des Antichrist.“

Wenn das keine „religiöse Begründung“ für einen gerechten Krieg ist, was dann? Weshalb dann aber in sattsam gewohnter Manier pseudotheologische Aussagen über ein ernstes theologisches und politisches Thema? Man kann - und muß wohl auch - mit guten Gründen die militärischen Einsätze im Kampf gegen den Terrorismus unter den gegenwärtigen Bedingungen kritisieren. Es müssen eben nur gute und überzeugende Gründe sein! Ideologische Zwangskomplexe und Spekulationen auf das mangelnde Urteilsvermögen der Menschen sind es nicht. Erst recht nicht nach dem 11. September 2001.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin.


 
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