© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/02 22. Februar 2002


Schuldiger Sündenbock
von Carl Gustaf Ströhm

Der größte aller Verbrecher in Serbien ist Sloboban Milosevic“, erklärte schon 1994 Vojslav Seselj, als der serbische Tschetnikführer wegen einer Lappalie in Belgrad vor Gericht stand. Und mit dem serbischen und Ex-Präsidenten steht gewiß kein Unschuldsengel vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal. Hätte in den Wendejahren 1989/91 nicht er, sondern ein maßvoller Funktionär die Geschicke Serbiens gelenkt, wären heute Hunderttausende noch am Leben, die in Kroatien, Bosnien und im Kosovo Opfer von großserbischen Wahnideen oder schlichten Raubinstinkten seiner Soldateska wurden.

Dennoch weckt der Prozeß größtes Unbehagen. Da ist die umtriebige Chefanklägerin Carla del Ponte, die möglichst viele „Skalps“ von Kriegsverbrechern an ihren Gürtel heften möchte. Allein eine angesetzte Prozeßdauer von zwei Jahren ist eine Absurdität. Mag man Milosevic zu lebenslänglich verurteilen - der Befriedung des Balkan kommt man damit um keinen Schritt näher. Die Serben - auch jene, die nicht für Milosevic sind - sehen in ihm ein Opfer selektiver Willkürjustiz. Leider kann man solchen Kritikern nicht ganz unrecht geben. Erst als es dem Westen in den Kram paßte, schritt die Nato auf dem Balkan ein. Vorher sah man achselzuckend zu bei den Massenmorden und Brandschatzungen von Vukovar bis Dubrovnik. So muß Milosevic als (schuldiger) Sündenbock für das Versagen des Westens herhalten. Und immer deutlicher zeigt sich, daß Kriegsverbrecherprozesse letztlich Unfug sind. Von objektiver Gerechtigkeit sind sie weit entfernt.


 
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