© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/02 15. Februar 2002

 
Das sozialistische Paradies zerbröselt
Kuba: Der Alltag ist für viele Kubaner zum permanenten Alptraum geworden
Paul Leonhard

Cuba no se declarara nunca enegmiga del pueblo norte americano.“ Auch wenn Fidel Castro in der vierseitigen Sondernummer der Parteizeitung versichert, daß sich Kuba niemals feindlich gegen das nordamerikanische Volk erklären werde, für die USA-Führung bleibt die sozialistische Insel nach wie vor ein Schurkenstaat. Kuba findet sich auf einer Liste mit Nordkorea, Iran, Irak, Libyen, Sudan und Syrien auf einer Liste von Ländern, die den Terrorismus unterstützen. Einer Einschätzung, der Castro neue Nahrung gegeben hat, als er die Militärschläge der USA und ihrer Verbündeten gegen Afghanistan als „ein Heilmittel“ bezeichnete, das „schlimmer als die Krankheit selbst ist“. Bush führe einen Krieg für und nicht gegen den Terrorismus.

Die Anschläge auf das World Trade Center in New York sind eines der Themen, das auf den zahlreichen Wandzeitungen in den Straßen kubanischer Städte immer wieder behandelt wird. Daneben sind glückliche kubanische Familien zu sehen. Die Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDR) der Wohnblocks vergleichen, was nicht vergleichbar ist. Überdies hat die Mehrheit der Kubaner im täglichen Kampf gegen den Hunger andere Probleme, als über den Krieg der USA oder die moralischen Forderungen der eigenen Regierung nachzudenken.

Gewiß, die Kubaner sind noch heute stolz auf ihre Revolution. Das Bildnis Ernesto Che Guevares ist in Kuba allgegenwärtig. Aber nicht nur der als Märtyrer in Bolivien ermordete Comandante, auch der greise Diktator selbst genießt noch immer die Hochachtung vieler Kubaner. Und sie ist um so höher, je niedriger das Bildungsniveau des Befragten ist. Im Schaukelstuhl wippend und im Kreise der Familie lassen sich die Kubaner vor dem Fernsehgerät von den mehrstündigen Reden des „Comandanten en jefe“ einlullen. Castro genießt auch im 42. Jahr seiner Herrschaft immer noch Respekt für seine revolutionären Taten. Denn trotz aller Armut und der ersichtlichen materiellen Engpässe auf nahezu allen Gebieten des Lebens liegt der Lebensstandard der Insel weit über dem anderer Karibikstaaten.

Allein, der kubanische Traum vom besseren Leben wurde von der Sowjetunion finanziert. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion war das sozialistische Land vor den Türen der USA den Moskauer Machthabern jährlich zwei Milliarden Dollar wert. Immerhin 80 Prozent seines Außenhandels wickelte Kuba bis 1989 mit den Mitgliedsländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) ab. Verträge ermöglichten es Castro, quasi Zucker gegen Öl zu tauschen. Für eine Tonne Zucker gab es damals sieben Tonnen Petroleum. Noch heute begegnen einem auf der Insel immer wieder in der DDR produzierte Lastkraftwagen der Typen W50 und L60, russische Krasz und Lada - sowie Moskwitsch-Pkw.

Mit dem Zerfall des sozialistischen Imperiums zerbröselt auch das Vorzeigemodell Kuba. Nahrungsmittel, Kleidung, Waren des täglichen Bedarfs sind, wenn überhaupt, nur gegen Vorlage von Bezugskarten zu erwerben. Die kostenlosen sozialen Leistungen und die Absicherung des einst als für die dritte Welt beispiellos geltenden Gesundheitssystems mit flächendeckender ärzlicher Versorgung sind beim näheren Hinschauen marode. Arzneimittel sind selten zu erhalten. Die hygienischen Bedingungen in den Krankenhäusern lassen Europäer erschauern. Studenten müssen zwar weder für die Unterkunft noch für das (unzureichende) Mensaessen finanziell aufkommen, aber sie erhalten auch keinerlei Stipendien und sind damit während der langen Semesterferien auf Zuwendungen ihrer Familien angewiesen.

Der Alltag ist für viele Kubaner zu einem permanenten Alptraum geworden, zum täglichen Kampf ums Überleben. Der Lohn reicht, um zu existieren, zu mehr nicht. Die kubanische Gesellschaft hilft sich mit einem komplizierten System aus Beziehungen und der Solidarität der Familien. Schweine werden selbst in den Höfen städtischer Wohnungen gehalten, in Hochhäusern züchten die Menschen Küken. Illegal werden Zigarren gedreht, deren Tabak aus den staatlichen Fabriken gestohlen wurde. In vielen Städten lauern organisierte Banden Touristen auf, um dieses gegen Provision zu Unterkünften, Restaurants oder leichten Mädchen zu führen. Widerstand zwecklos.

Der „Maximo Lider“ oder „XXL“ Castro wird aber nicht nur geliebt und verehrt, sondern auch gefürchtet und gehaßt. Auf seinen Abtritt oder sein biologisches Ende warten vor allem jene, die durch das Regime ihr Eigentum oder gar die Heimat verloren haben.

Rund 1,5 Millionen Menschen kubanischer Herkunft leben in den USA. Viele von ihnen und auch die auf der Insel zurückgebliebenen Enteigneten und ihre Nachkommen warten auf das Ende des Regimes. Allabendlich wird in ehemals mondänen Zimmern über das Ende des Diktators spekuliert. Doch noch immer behauptet sich die Insel trotzig gegenüber der Weltmacht USA. Die russischen Panzer und das erbeutete US-amerikanische Jagdflugzeug in Playa Giron in der Schweinebucht glänzen noch immer. Stolze Erinnerungen an ein Trauma der CIA. Am 17. April 1961 waren hier 1.500 vom nordamerikanischen Geheimdienst ausgebildete Exilkubaner gelandet, um das Castro-Regime zu stürzen. Das Unternehmen endete in einem Fiasko. Die kubanische Miliz schlug die Angreifer zurück. Die Gefangenen wurden später gegen eine 53-Millionen-Dollar-Zahlung in Form von Medikamenten und Lebensmitteln freigekauft.

Irrsinnigerweise schöpft Castro seine Kraft aus der seit 1961 gegen Kuba bestehenden Wirtschaftsblockade der USA und ihrer Isolationspolitik. Diese hat sich zwar katastrophal auf die Entwicklung des Landes ausgewirkt, gleichzeitig aber auch die Kubaner zusammengeschweißt und es der einheimischen Opposition unheimlich schwer gemacht. Der inzwischen 75jährige Regierungschef hat sich dabei als ein Meister des Wechselspiels von Zuckerbrot und Peitsche erwiesen. Im Sinne Lenins bewegt er sich zwei Schritte in Richtung Marktwirtschaft vor, um rasch wieder ein, zwei, mitunter sogar drei Schritte zurückzuweichen. So versucht der Staat, die zähneknirschend zugelassenen privaten Restaurants, die Paladares, und Unterkünfte durch hohe Steuern abzuschöpfen. Trotz des seit 1990 ausgerufenen Notstandes (periodo especial) und radikaler Sparmaßnahmen besitzt das sozialistische Kuba Bewunderer, zu denen beispielsweise der Präsident Venezuelas, Hugo Chavez, zählt. Dieser läßt Castro Öl zu Vorzugspreisen liefern. Die Insel entsendet dafür Ärzte nach Venezuela. Auch Rußland möchte die Beziehungen wieder intensivieren. Bei einem Besuchs in Havanna im vergangenen Jahr bezeichnete Präsident Wladimir Putin es als Fehler, daß die bilateralen Beziehungen unterbrochen wurden und westliche Firmen den Platz russischer Unternehmen besetzt haben. Im Mittelpunkt des Putin-Besuchs standen Agenturmeldungen zufolge auch russische Waffenlieferungen sowie der Bau eines Atommeilers an der Südküste der Insel. Zur Zeit ist die russische Republik mit einem Handelsvolumen von rund 1,2 Milliarden Euro der größte Handelspartner Kubas.

Der Treibstoffmangel macht sich insbesondere auf den Straßen bemerkbar. Als Busse verkehren zum Großteil umgebaute Lastwagen, hochbetagt und notdürftig zusammengeschweißt. Seit China in den neunziger Jahren über eine Million Fahrräder lieferte, sind viele Kubaner per Drahtesel unterwegs. In der Landwirtschaft sind Hunderttausende speziell für die Zwecke der Landwirtschaft abgerichtete Zugtiere im Einsatz. Gespanne mit acht oder zehn Ochsen sind in den ländlichen Regionen nicht selten anzutreffen. Sie ersetzen die Traktoren, für die kein Sprit oder keine Ersatzteile vorhanden sind. Mitunter ziehen sie sogar Schlitten, die auf den aufgeweichten Böden ein leichteres Vorwärtskommen ermöglichen.

Wie geht es weiter? Die Kubaner hoffen auf einen zivilisierten Übergang in eine neue, bessere Zeit. Aber wie diese wirklich aussehen wird, können sich die wenigsten vorstellen. Seit Castro vorigen Sommer auf einer politischen Kundgebung vor 70.000 Zuhörern (und unzähligen an den TV-Geräten) einen Schwächeanfall erlitt, ist ein Tabu gebrochen: Über seinen Nachfolger darf offener spekuliert werden. Als Thronprinz gilt Fidels 70jähriger Bruder Raul, ein Revolutionär der ersten Stunde, der bereits in der Sierra Maestra dabei war. Der Verteidigungsminister erscheint den einen als blasser Apparatschik, andere sehen in ihm einen Pragmatiker. Ihm sollen die Kubaner auch die ersten vorsichtigen Öffnungen in Richtung Marktwirtschaft zu verdanken haben. Seit 1991 dürfen Ausländer Joint-Ventures mit kubanischen Partnern gründens und seit 1994 existieren freie Bauernmärkte.

Längst ist die kubanische Gesellschaft gespalten. Die einen besitzen Dollar, die anderen überleben nur mit Hilfe der Lebensmittelkarten. Eine Anzahl Betriebe zahlt Prämien in Dollars, für die die Bestarbeiter in speziellen Geschäften einkaufen können, die auch für Touristen tabu sind. Hier gibt es Ventilatoren, TV-Geräte, Handwerkerutensilien und Autoreifen. In den öffentlichen Peso-Geschäften dominieren einfallslose Kleidung oder lange Regalreihen mit Rumflaschen.

Auffallend im Straßenbild der Städte ist die stets präsente Staatsmacht. Breitbeinig und mit Gummiknüppel, Pistole und schwarzen Listen bewaffnet, demonstrieren die zumeist jungen, großgewachsenen Polizisten ihre Macht. Wenn sie einschreiten, dann stets gegen die eigenen Landsleute. Ausländern gehen sie aus dem Weg oder beantworten Fragen mit ausdrücklicher Höflichkeit.

Mit 800 Pesos (40 Dollar) im Monat ist die Polizei die bestbezahlteste Berufsgruppe. Sie verdienen dreimal mehr als Ärzte, viermal mehr als Lehrer. Über ihre Walkietalkies können sie beispielsweise in der Zentrale abfragen, ob eine Chica (Mädchen) bereits wegen „unsittlichen Lebenswandels“ registriert ist. Dann wird sie verhaftet und angeklagt. Ihr drohen Haftstrafen bis zu vier Jahren wegen „verwerflichen Lebenswandels“ und „Gefahr für die sozialistische Gesellschaft“. Augenblicklich sind die Zeiten vorbei, wo Castro die jungen Prostituierten, als „die Lokomotive der Privatwirtschaft“ bezeichnete. Zur Zeit gelten sie auf der Karibikinsel als Abschaum und Parasiten. Als solche werden aber auch Kubaner bestraft, die Ausländer zu sich nach Hause einladen, sie gar übernachten lassen und dabei ertappt werden, daß sie die Führung kritisieren. „Kuba ist schön“, raunt ein Kubaner, der lange in der DDR gelebt hat, nach ein paar Bier dem Fremden zu, „wenn man es versteht.“


 
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