© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/02 15. Februar 2002

 
Vom Ringen um Gerechtigkeit
Im Streit: Das Grundrecht der NPD auf Verachtung der Verfassung
Richard M. Göttmann

Je mehr V-Leute im NPD-Verbotsverfahren auftauchen, desto „erdrückender“ werden die Beweise. Die krude Logik des Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) und seiner in fast allen Parteien zu findenden Gefolgsleute will uns dies zumindest vorgaukeln. Fast könnte man vermuten, die Antragsteller benötigen überhaupt keine Beweise, so sicher sind sie sich ihres Erfolgs.

Hingegen diskutiert man an den virtuellen Stammtischen der Intellektuellen, in ihren Zeitschriften für die Fachkollegen und ihren Postillen für das gemeine Volk, etwas kontroverser. Wobei auffällt, daß die Spezialisten fürs Allgemeine, die Politikwissenschaftler, getreu ihrem Wahlspruch „Wes Brot ich es, des Lied ich sing“, ähnlichen Optimismus verbreiten wie Schily, Wiefelspütz & Co. Eine hierfür repräsentative Argumentation hat, kurz vor dem Platzen der V-Mann-Bombe, der Chemnitzer Politologe Eckhard Jesse entfaltet. Denn für den Nicht-Juristen Jesse, als Herausgeber eines Jahrbuchs zur „Extremismusforschung“ selbst im Vorfeld der VS-Berichte angesiedelt, steht so fest wie das Amen in der Kirche: das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wird die NPD aufgrund der „erdrückenden“ Beweislast verbieten, und dieses Verbot wäre selbstverständlich „rechtmäßig“ (Politische Vierteljahresschrift, Heft 4/01).

Jesse hat für juristische Argumente wenig übrig

Um zu diesem selbstgewissen Urteil zu gelangen, schenkt Jesse sich und seinen Lesern, was er für juristischen Kleinkram hält. Ihm ist daher unwichtig, daß der Artikel 21 des Grundgesetzes (GG) Verbotsvoraussetzungen normiert, die eine Partei mit ihren Aktivitäten erst erfüllen muß, bevor man überhaupt daran denken darf, sie vom politischen Meinungsstreit auszuschließen. Im Rechtsstaat benötigt man also einen gesetzlichen Tatbestand, um einen Regelverstoß ahnden zu können. Zum Beispiel muß jemand eine „fremde bewegliche Sache“ wegnehmen, um den Tatbestand des Diebstahls zu erfüllen. „Fremd“ muß die Sache halt sein, denn sich selbst kann man nicht bestehlen. Das leuchtet ein. Ebenso evident sollte darum sein, daß Art. 21 GG zwei Tatbestandsalternativen kennt: eine Partei ist dann verfassungswidrig, wenn sie darauf ausgeht, „die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“.

Wann geht eine Partei „darauf aus“, die Verfassung zu „beeinträchtigen“? Zugegeben, das ist schwerer zu entscheiden als die Frage: was ist „fremd?“. Während des Kalten Krieges, bei den Verbotsverfahren gegen KPD und SRP, hat das BVerfG eine uferlose Auslegung bevorzugt: Auch wenn nicht die geringste Aussicht bestehe, daß sich das „Daraufausgehen“ in absehbarer Zukunft realisiere, sei die Verfassung bereits „beeinträchtigt“. „Daraufausgehen“ ist in dieser Interpretation also identisch mit der Kundgabe einer politischen Absicht. Fast fünfzig Jahre später findet Eckhard Jesse, als Verfechter der „wehrhaften Demokratie“, eine solch exzessive Exegese immer noch plausibel: Entscheidend sei nicht, ob die Partei eine realistische Chance habe, ihre proklamierten Ziele zu erreichen. „Eine konkrete Gefahr muß für die Rechtmäßigkeit eines Verbots nicht vorliegen.“

Der Hamburger Rechtsanwalt und Publizist Horst Meier, Jahrgang 1954, kann sich einen derartigen Dogmatismus nicht leisten, denn unter Juristen wirkt so etwas einfach unprofessionell (Leviathan, Heft 4/01). Er glaubt auch nicht, daß das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2002 in diesem Schematismus von 1952 fortfährt. Hoffnung auf eine engere Auslegung macht ihm eine Äußerung von Bundesverfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch, dem im Zweiten Senat zuständigen Berichterstatter für das Verbotsverfahren: Für das Parteiverbot müsse ein „angemessener Maßstab“ nunmehr „neu erarbeitet“ werden. „Diese Ankündigung“, so glaubt Meier, „läßt hoffen, daß die auf bloße Ziele und Absichten fixierte Interpretation aus den Anfängen der Rechtsprechung nicht umstandslos für die Gegenwart fortgeschrieben wird.“

Im Lichte dieser Hoffnung auf eine restriktive Auslegung des Tatbestandes, die nicht wie Jesse dem Geist der fünfziger Jahre huldigt und „jede Wahnvorstellung politischer Sektierer bereits als Störung der Verfassungsordnung einstuft“, sondern nach der „objektiven Gefährlichkeit“ des „Daraufausgehens“ fragt, behandelt Meier die fast 600 Seiten umfassenden Anträge von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat jetzt schon als 2,3 Kilogramm Altpapier. Nichts substanziell Neues werde darin geboten. Lediglich nationaldemokratische Rhetorik und Propaganda werde zitatenreich belegt. Die „Sanktionierung eines vagen Propagandaschadens“ sei aber mit der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ ebensowenig vereinbar wie mit rechtsstaatlichen Prinzipien von der Berechenbarkeit und Klarheit des Gesetzes. Zum Freiheitsverständnis einer demokratischen Verfassung gehöre auch das Recht ihrer Verächter, sie ungehindert in Frage stellen zu dürfen.

Dabei sei es aus Sicht der Bürgerrechte „ganz einerlei, was gerade als anstößig definiert“ wird, schrieb Meier bereits vor knapp einem Jahr in der Zeitschrift Merkur (Heft 3/2001). Das Problem sei, daß der Staat sich überhaupt anschicke, Denk- und Diskussionsprozesse zu kontrollieren. Staatliche Verbote berührten das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. In Abgrenzung zu dem hierzulande vorherrschenden Verständnis von Meinungsfreiheit untersuchte Meier die in der Verfassung der Vereinigten Staaten verankerte freedom of speech und die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in Washington, um zu einem für deutsche Verhältnisse vernichtenden Urteil zu gelangen: „Zwischen Meinungsfreiheit und freedom of speech liegen Welten.“ Als Maßstab für die Einschränkung der Redefreiheit komme es auf eine tatsächlich drohende Gewalt an. „Reine Klimadelikte hingegen“, so Meier, „mit denen man in Deutschland gern ‚Signale‘ setzt, verletzen das Recht der freien Rede - jedenfalls in den USA.“

Verbotsanträge sind für Meier Altpapier

Obwohl die Antragsteller unisono dekretieren, so Meier jetzt in seinem Leviathan-Aufsatz, für ein Verbot sei eine „konkrete Gefahr“ nicht erforderlich, sind sie doch bestrebt, in ihren Zitatenhalden eine politische Nähe der NPD zur Gewalt zu suggerieren. Meiers kühle Analyse läßt auch von diesem vermeintlichen Belastungsmaterial, das ohnehin nur 20 von fast 600 Antragsseiten ausmacht, nichts übrig. Kein einziges Beispiel werde dafür beigebracht, daß die NPD-Propaganda wenigstens eine „konkrete“ Gewalttat provoziert habe. Bis auf wenige Ausnahmen seien NPD-Anhängern keine „einschlägigen“, politisch motivierten Straftaten anzulasten. Ebensowenig sei die These zu belegen, die NPD sei zur „Schaltzentrale fremdenfeindlicher Gewalttaten“ geworden. Auch der Versuch, der Partei ein gewalttätiges „Umfeld“ zuzurechnen, wirke nur krampfhaft und erinnere an die Symphatisantenhatz zur Zeit der RAF-Hysterie.

Für Meier ergibt sich daraus selbstverständlich das Fazit: „Das Material reicht nicht aus.“ Und diese Schlußfolgerung beruht bereits auf seiner generösen Konzession, Schily könne die vorgetragenen Tatsachenbehauptungen im Hauptverfahren allesamt beweisen. Das, so Meier hellseherisch im Dezember 2001, sei aber angesichts der Fülle von „Behördenzeugnissen“ unwahrscheinlich, „denn diese Zeugnisse stammen aus dem Milieu der V-Leute, also jener NPD-Anhänger, die der Verfassungsschutz für Informationen bezahlt. Erfahrungsgemäß schöpft man bei diesen Quellen aus dem Trüben.“


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen