© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/02 15. Februar 2002

 
Die Kirche im Dorf lassen
Bundesanstalt für Arbeit: Mit einer besseren statistischen Erfassung ist das Problem der Massenarbeitslosigkeit nicht zu lösen
Jörg Fischer

Die mediale Auffregung war groß, als letzte Woche bekannt wurde, daß der Bundesrechnungshof in einer „Prüfungsmitteilung“ beanstandet habe, daß mehr als zwei Drittel der Arbeitsamtsvermittlungen von Arbeitslosen „statistisch fehlerhaft“ erfaßt seien.

Als „Beweis“, daß man an höchster Stelle schon Tage zuvor informiert war (den Medien aber nicht sogleich Meldung machte), diente ein Brief eines Revisors der Bundesanstalt für Arbeit (BA) aus Rheinland-Pfalz an Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD). In dem Schreiben vom 24. Januar weist der BA-Prüfer darauf hin, daß „das BA-Controlling zumindest im zentralen Aufgabenbereich Arbeitsvermittlung mit Daten und Zahlen arbeitet, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einem hohen Maße unzuverlässig und daher nicht geeignet sind, die realen Ergebnisse und Wirkungen der BA-Tätigkeit abzubilden.“ Sein Urteil: „Die vielen Möglichkeiten, die Ergebnisse zu frisieren, waren die oder eine der wesentlichen Ursachen für die miserable Qualität des Vermittlungsprozesses. Man ging (und geht offenbar nach wie vor) eben den leichteren Weg. Das ist nur allzu menschlich, besonders wenn einem dieser leichtere Weg in der Tat so leicht gemacht wird, wie das bei der Bundesanstalt für Arbeit der Fall ist.“

Wegen der „Frisiertechniken“ schätzte der Revisor den Anteil „echter“ Stellenzugänge und Arbeitsvermittlungen „auf maximal ein Viertel bis ein Drittel der Werte, die die offizielle BA-Statistik ausweist“. Den Berichten des Bundesrechnungshofs sei zu entnehmen, „daß man in der BA nicht nur mit statistischen Zahlen über vermeintlich selbst erzielte Arbeitsergebnisse, sondern auch mit dem Geld der Beitrags- und Steuerzahler sehr großzügig, aber wenig erfolgsorientiert umzugehen scheint.“ Die angestellten Untersuchungen würden belegen, daß man sich in der BA beim Fördern von Arbeitslosen „nicht daran orientiert, was letztlich alleine zählen sollte: der Integrationserfolg. Nein, man sieht seinen Erfolg bereits darin, daß genügend Maßnahmeteilnehmer rekrutiert werden, daß die jeweilige Maßnahme ‚voll‘ ist, die Haushaltsmittel möglichst vollständig gebunden oder ausgegeben werden…“

Nach diesem vernichtenden Urteil über die Arbeit der Arbeitsämter hatte sogleich jeder eine Idee parat - nach dem Motto: „Was ich schon immer mal sagen wollte…“: Der grüne Haushaltsexperte Oswald Metzger bezeichnete die BA im ZDF als „gutes Beispiel für eine Mammutbehörde“. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, forderte den Umbau der Bundesanstalt in eine „moderne Dienstleistungsbehörde“. Für diese Reform könnten Erfolgsprämien für die Vermittler ebenso helfen wie eine Zusammenarbeit mit privaten Agenturen. FDP-Vize Rainer Brüderle sprach sich - wie nicht anders zu erwarten - dafür aus, die Vermittlung neuer Stellen gegebenenfalls ganz an private Agenturen abzugeben. Die BA müsse nach einer „Auflösung des Arbeitsministeriums“ beim Wirtschaftsressorts als nachgeordnete Behörde angesiedelt werden. Der seit 1993 an der BA-Spitze stehende CDU-Sozialpolitiker Bernhard Jagoda wurde zum Rücktritt aufgefordert - nur Unionspolitiker hielten sich in dem Punkt auffällig zurück. Dabei kann der BA-Präsident als Beamter auf Zeit nur bei schwerem persönlichen Fehlverhalten abgesetzt werden.

Lediglich aus Gewerkschaftskreisen waren moderate Töne zu hören. „Fehlerhafte statistische Zuordnungen sind wesentlich darauf zurückzuführen, daß allein im vergangenen Jahr 41 mehrseitige Erlasse zur Statistik-Erstellung für Unübersichtlichkeit gesorgt haben. Selbst mit der besten statistischen Erfassung ist das Problem der Massenarbeitslosigkeit nicht zu lösen“, gab Verdi-Bundesvorstandsmitglied Isolde Kunkel-Weber zu bedenken. DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer (sie sitzt im BA-Aufsichtsgremium) mahnte, bei einer Umgestaltung der Bundesanstalt die „Kirche im Dorf zu lassen“.

Denn die 1952 unter Ludwig Erhard, dem „Vater des Wirtschaftswunders“, gegründete Behörde mit ihren zehn Landes- und 181 Arbeitsämtern ist nicht nur zuständig für die Arbeitsvermittlung. Die BA verwaltet die Beiträge der Arbeitslosenversicherung. Die Behörde zahlt Arbeitslosengeld und -hilfe, aus der Familienkasse Kindergeld, Winterausfallgeld für Bauarbeiter sowie Kurzarbeiter- und Insolvenzgeld. Die Nürnberger Behörde organisiert darüber hinaus die Berufs- und Ausbildungsberatung, Arbeitsförderungsmaßnahmen (ABM), die Förderung der beruflichen Bildung und Umschulungen.

Die BA ist auch dafür zuständig, illegale Beschäftigung - zusammen mit der Polizei - zu bekämpfen. Im BA-Verwaltungsrat wie im geschäftsführenden Vorstand sitzen zu je einem Drittel Vertreter von Arbeitnehmern, Arbeitgebern sowie Bund, Ländern und Gemeinden.

Und die gleichen Kritiker, die letzte Woche mit brachialen Forderungen in den Medien auftauchten, hätten den „Skandal im Arbeitsamt“ schon lange erkennen können - und müssen!

Wenn von den meist verbeamteten 90.000 BA-Mitarbeitern (Kosten 3,2 Milliarden Euro im Jahr) nur 10.300 als Arbeitsvermittler tätig sind, dann ist die Stellenvermittlung eben nur eine von vielen notwendigen (zum Teil auch entbehrlichen) Aufgaben. 22 Milliarden Euro fließen jedes Jahr allein in „Maßnahmen“ zur Fort- und Weiterbildung oder Arbeitsbeschaffung (ABM).

Schon 1997 lagen - laut einer Untersuchung des BA-eigenen Instituts für Arbeits- und Berufsforschung - die volkswirtschaftlichen Kosten der Arbeitslosigkeit in Deutschland bei etwa 85 Milliarden Euro pro Jahr. 55 Prozent davon waren Ausgaben für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe, 45 Prozent entstanden aus Mindereinnahmen bei direkten und indirekten Steuern sowie bei Sozialbeiträgen. So gesehen „kostet“ ein Arbeitsloser fast 20.000 Euro pro Jahr. Daran hat sich auch unter Bundeskanzler Gerhard Schröder nichts Grundlegendes geändert.

Im Gegenteil: Im Januar ist die Zahl der „statistisch“ als arbeitslos Geltenden auf 4,29 Millionen gestiegen - das sind fast 326.000 Erwerbslose mehr als im Dezember. Im Jahresvergleich wurden knapp 200.000 Menschen mehr registriert. Die Arbeitslosenquote liegt jetzt bundesweit bei 10,4 Prozent.

Und nach Ansicht des Vorsitzenden des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jürgen Donges, ist das Arbeitslosenproblem noch viel größer: „In Wahrheit brauchen wir in Deutschland nicht nur vier Millionen Arbeitsplätze, sondern mehr als 5,5 Millionen neue Jobs“, klagte der Kölner Ökonom jetzt in der Bild am Sonntag. Fast 800.000 Arbeitslose bezögen vorzeitig Rente, Hunderttausende seien bei ABM oder Weiterbildungen „geparkt“. „Die Arbeitslosenstatistik ist in der heutigen Form nicht vollkommen aussagefähig, weil die verdeckte Arbeitslosigkeit nicht mitgezählt wird“, so Donges. Es ist zwar eine Binsenweisheit, daß es in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes an Effektivität und Effizienz mangelt, doch sein Vorschlag, als Patentlösung private Arbeitsvermittler „zuzulassen“, zeugt allerdings von wenig Praxiserfahrung.

Jeder, der Sachkenntnisse nachweisen kann und in geregelten Vermögensverhältnissen lebt, kann schon heute eine behördliche Vermittlungserlaubnis erhalten. „Private Vermittler zeigen allerdings regelmäßig wenig Interesse an schwieriger zu vermittelnden Arbeitslosen und kümmern sich lieber um die leichteren Fälle“, warnte der Verdi-Gewerkschafter Christian Zahn letzte Woche. Gegenwärtig gäbe es etwa 5.800 private Vermittler, die 45.700 Arbeitslose pro Jahr vermittelt hätten - also gerade acht Fälle pro Vermittler. Und eine private „Headhunterin“ für Führungskräfte erklärte im Nachrichtensender n-tv, daß mit den Stellensuchenden vom Arbeitsamt sicherlich „kein Geld zu verdienen“ sei.

Der eigentliche Skandal sind 5,5 Millionen fehlende Arbeitsstellen - und nicht die Statistik einer Behörde. Doch das ging im Mediengetöse unter. Wahlkämpfer Schröder konnte sich sicher ein Schmunzeln nicht verkneifen.


 
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